Wie wird gesteinigt?

Steinigungen sind ein grausames Verbrechen: es gibt genau Abläufe, die befolgt werden müssen, um „richtig“ zu steinigen. Foto: Wolfgang Sauber CC 4.0 [Quelle: Wikimedia Commons]

Die islamischen Rechtsschulen haben in detaillierten Regelungen den Verfahrensverlauf und die Vollstreckung des Urteils festgelegt und überliefert. Der nach islamischem Recht „korrekte“ Ablauf einer Steinigung wird weiter unten an einem Beispiel aus dem Iran erläutert.

Die Unterschiede zwischen den Rechtsschulen sind in der Regel gering und beziehen sich oft nur auf Sonderfälle. Gemeinsam ist allen, dass es vor jeder Steinigung ein Verfahren geben muss, bei dem ein Schariarichter ein formelles Urteil fällt. In einigen muslimischen Staaten, wie z.B. in Nigeria, in Saudi-Arabien, Afghanistan u.a., existieren ganz offizielle staatliche Schariagerichte und sogar übergeordnete Schariagerichtshöfe als Berufungsinstanzen.

Theorie u. Praxis

In einigen Ländern sind in der Vergangenheit Steinigungen unabhängig vom kodifizierten Recht vollstreckt worden. In der Praxis wird die Prozessordnung der Scharia aber auch dort nicht immer oder nicht immer vollständig eingehalten, wo sie Teil des staatlichen Rechtes ist. In der Praxis gibt es alle Übergänge zwischen formellen Verfahren an staatlichen Schariagerichten bis hin zu „Ehrenmorden“ durch Familienangehörige.

Immer wieder kommt es aber auch zu Lynchmorden, bei denen Muslime durch Dorfälteste oder einen Imam zu einer Steinigung aufgestachelt werden , beziehungsweise sich aufstacheln lassen. Beobachter sprechen dabei von so genannten „wilden“ Steinigungen. Ein Beispiel: Am 5. Juli 2002 wurde der 40-jährige geistig verwirrte Zahid Shah von einer Gruppe aufgebrachter Muslime im Dorf Chak Jhumra bei Faisalabad in Pakistan zu Tode gesteinigt, weil er sich selbst als den „letzten Propheten des Islams“ bezeichnet hatte. Der Imam Maulvi Fakir Mohammed hatte die Betenden in seiner Moschee dazu angestiftet, Zahid Shah wegen Blasphemie zu steinigen, obwohl seine geistige Verwirrung bekannt war.

Übergänge zwischen Gerichtsverfahren und Lynchjustiz

Nicht immer entsprechen alle Verfahren vor einem Scharia-Richter allen Vorgaben der islamischen Strafprozessordnung und des islamischen Strafrechts, selbst dann, wenn es sich bei den Richtern um muslimische Geistliche handelt. Es sind sogar Fälle bekannt, in denen Lynchmorde von Imamen angeführt wurden.

Ein Beispiel für einen Grenzfall zwischen Scharia-Prozess und Lynchmord schildert die Zeugenaussage einer unbegleiteten Minderjährigen, die am 27. September 2002 aus Nigeria floh und in Österreich um Asyl bat. In der Niederschrift der Anhörung vom 10. Januar 2003 geht sie unter anderem auf die Steinigung ihrer Mutter ein. Das Mädchen ist Muslimin und gehört zur Volksgruppe der Haussa. Sie stammt aus dem südwestnigerianischen Egbema.

„Mein Vater war mit 2 Frauen verheiratet. Meine Mutter hatte ein Problem mit meinem Vater. Die 1. Frau hat keine Kinder auf die Welt gebracht, meine Mutter hat mich auf die Welt gebracht. Mein Vater hat meine Mutter mit einem Mann erwischt. Meine Eltern gingen zum „Alikali“, das ist der Führer des Dorfes. Eine verheiratete Frau darf keinen anderen Mann treffen. Ich ging mit ihnen mit. Sie begannen zu streiten und meine Mutter wurde geschlagen. Als ich das sah, ging ich nach Hause. Meine Mutter wurde gesteinigt, weil sie nicht das Recht hatte, als verheiratete Frau einen anderen Mann zu treffen.“

Frage: Können Sie erklären, warum Ihre Mutter den Seitensprung gestanden hat, bevor sie hingerichtet wurde?

Antwort: Ich weiß es nicht, es war, als sie begannen, sie zu schlagen.

Wilde Steinigungen / Lynchmorde

Die Lynchmorde durch Steinigung sind ebenso wie Steinigungsurteile nur aus einer begrenzten Zahl von Ländern bekannt. In wenigen Einzelfällen hat es Morde durch Steinigung gegeben, die keinen oder sehr wahrscheinlich keinen islamischen Kontext hatten. In der ganz überwiegenden Zahl der Lynchmorde oder „Ehrenmorde“ durch Steinigung stammten die Täter aus dem islamischen Kulturkreis. Dieser Befund kann nicht überraschen, da heute ,soweit der IGFM bekannt , die Scharia das letzte Rechtssystem ist, dass noch immer die Steinigung legitimiert. Die Steinigung ist in manchen islamischen Regionen eine allgemein bekannte, fast selbstverständliche und akzeptierte Strafe. Wie stark diese Akzeptanz ist, zeigt sich daran, dass in einigen Fällen in kürzester Zeit größere Menschenmengen versuchten, an den Steinigungen selbst teilzunehmen. Ein Beispiel aus Nigeria mag das veranschaulichen:

Eine aufgebrachte Menge aus radikalen Muslimen ermordeten am 28. Juni 2006 in der Stadt Izom im Bundesstaat Niger eine christliche Nigerianerin, deren Name nicht geklärt werden konnte. Die Nigerianerin hatte sich mit jugendlichen Muslimen über Glaubensfragen unterhalten und einigen von ihnen christliche Traktate gegeben. Nachdem die Frau weitergegangen war, wurden die Jugendlichen von älteren Muslimen über das Gespräch befragt. Als diese Männer erfuhren, dass die Frau christliche Glaubensinhalte verbreitet hatte, behaupteten sie, die Christin habe damit den muslimischen Propheten Mohammed beleidigt.

Durch diese Behauptung angestachelt, machten sich schließlich hunderte Muslime auf die Suche nach der Frau. Ihre unmittelbare Ermordung konnte durch das Eingreifen der Polizei verhindert werden, die die Frau mit auf die Polizeiwache von Izom brachte und sie so vor ihren Verfolgern schützte. Die muslimische Menge umstellte und stürmte jedoch die Polizeiwache und forderte die Herausgabe der Christin, um sie nach der Scharia zu steinigen. Um ihr eigenes Leben zu retten, lieferten die Polizisten die Frau schließlich an den muslimischen Mob aus. Die Frau wurde umgehend gesteinigt und mit Knüppeln erschlagen.

Nach Angaben des Informationsdienstes Compass Direct vom 6. Juli 2006 war die Polizei im Besitz eines Papiers, dass das Opfer weitergegeben haben soll. Örtliche Kirchenvertreter durften das Schriftstück lesen, sie bestreiten, dass es in irgendeiner Form herabsetzende Inhalte über Mohammed enthielt.

Straßenevangelisation ist in Nigeria weit verbreitet. Nach der nigerianischen Verfassung, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und dem von Nigeria ratifizierten Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte hat jeder Mensch das Recht, seine Religion in der Öffentlichkeit zu bekunden. Gleichzeitig gilt nach der Scharia sowohl der Abfall vom Islam als auch das Abwerben vom Islam als todeswürdiges „Verbrechen“. Der nordnigerianische Bundesstaat Niger hat im Jahr 2000 im Widerspruch zur nigerianischen Bundesverfassung die Scharia offiziell eingeführt. In der Stadt Izom stellen Muslime etwa die Hälfte der Bevölkerung.

Wer steinigt?

Nach islamischer Tradition wird erwartet, dass der oder die Belastungszeugen mit der Steinigung beginnen und sich an der Steinigung beteiligen. Formell müssen die Steiniger Muslime sein. In der Praxis handelt es sich ausschließlich um männliche Muslime. Der IGFM ist kein einziger zeitgenössischer Fall bekannt, bei der sich auch nur eine einzige Frau an einer Steinigung beteiligt hätte. In Analogie zu „Ehrenmorden“ beteiligen sich an Steinigungen häufig männliche Familienmitglieder des Opfers, z.B. der Ehemann, der Vater, Brüder, die Söhne, aber auch entferntere Verwandte, Nachbarn und andere Einwohner des Ortes.

Der oder die Schariarichter – islamische Rechtsgelehrte und in der Regel Geistliche ,sind bei Steinigungen ebenfalls anwesend. Sind die Belastungszeugen nicht verfügbar oder erfolgte das Urteil aufgrund eines „Geständnisses“, wird erwartet, dass sie die Steinigung beginnen. Im Iran sollen sich, soweit bekannt, an Steinigungen oft Uniformierte beteiligen. Vermutlich handelt es sich dabei vor allem um Pasdaran (wörtlich: Armee der Wächter der Islamischen Revolution).

In Fällen von Steinigungs-Lynchmorden ist es in verschiedenen Ländern auch zu gewalttätigen Hassausbrüchen von zahlreichen Muslimen gekommen, die weder in verwandtschaftlicher Beziehung zum Opfer standen und die auch nicht Zeugen eines bestimmten Vorfalls geworden waren. Anlässe für solche Steinigungs-Lynchmorde waren z.B. Gerüchte über die angebliche Herabsetzung des islamischen Propheten Mohammed.

Die Frage drängt sich auf, warum sich immer wieder Menschen finden, die andere Menschen auf diese extrem grausame Art und Weise in den Tod quälen. Warum sich Menschen zu diesen Grausamkeiten aufstacheln lassen oder sich auch gegenseitig aufstacheln. Der Grund dafür liegt vermutlich darin, dass im Bewusstsein der Täter die Steinigung eine „legitime“, eine“harte aber gerechte“, eine „von Gott gewollte“ Strafe sei. Um die Steinigung zu überwinden, bedarf es daher mehr als Gesetzesänderungen. Die Steinigung muss in den Köpfen überwunden werden. Da die Steinigung ausschließlich religiös legitimiert wird, kommt muslimischen Geistlichen und Institutionen dabei die entscheidende Verantwortung zu.

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