DDR-Frauenzuchthaus Hoheneck

Birgit Schlicke wurde im Februar bzw. März 1988 verhaftet. Der Grund der Verhaftung: ein Brief in den Westen Deutschlands. Die Wende erlebte sie hinter Mauern. Foto: Margotinlove, Wikimedia / CC-BY-SA-3.0

Interview

Birgit Schlicke, ehemalige politische Gefangene der DDR

Birgit Schlicke war politische Gefangene der DDR und im Frauenzuchthaus Hoheneck inhaftiert.

Birgit Schlicke war politische Gefangene der DDR und im Frauenzuchthaus Hoheneck inhaftiert.

IGFM: Sie waren in der DDR als politische Gefangene fast zwei Jahre u.a. im berüchtigten Frauenzuchthaus Hoheneck inhaftiert. Wie kam es dazu? Gab es schon vor der Verhaftung Repressalien?

Birgit Schlicke: 1985 hatte meine Familie einen Ausreiseantrag gestellt, auf Grund dessen wurde unsere gesamte Familie massiv diskriminiert. Nachdem ich mich geweigert hatte, mich von meiner Familie loszusagen, wurde ich nach der 11. Klasse von der Schule geworfen. Die Begründung lautete, dass es „für die DDR nicht mehr ökonomisch sei“, mich weiterhin auszubilden. Ich hatte also Bildungsverbot, gleichzeitig wurde mir eine Lehrstelle verweigert, so dass ich arbeitslos war. Arbeitslose gab es aber offiziell in der DDR nicht. Wenn wir uns in Beschwerdebriefen an die Regierung und die zuständigen Behörden entsprechend äußerten, verwarnte man uns sofort mit Hinweis auf den Paragraphen 106 („Staatsfeindliche Hetze“) und es wurde Inhaftierung angedroht.

Mit 17 Jahren erlebte ich dann meine erste so genannte „Befragung“ durch Vernehmer des Ministeriums für Staatssicherheit. Mein Vater hatte eine Gruppe von Ausreisewilligen gegründet, die am Samstag eine Art friedlichen Schweigemarsch auf dem örtlichen Marktplatz durchführten. Bereits beim zweiten Treffen war die Stasi präsent, fotografierte uns heimlich aus Autos und Telefonzellen und hatte wohl auch Spitzel in die Gruppe eingeschleust. Beim dritten Treffen wurden wir auf dem Platz von Polizei eingekreist und vernommen. Am nächsten Tag landeten alle Teilnehmer dieses Treffens bei der Stasi zum Einzelverhör. Wieder drohte man uns mit Inhaftierung, und wir mussten unterschreiben, dass wir uns nicht mehr auf dem Marktplatz treffen würden, da laut Paragraph 217 StGB „Zusammenrottung“ ungesetzlich sei.

1987 spitzte sich die Lage für unsere Familie zu, und so schrieben mein Vater und ich einen ersten Brief an die IGFM mit der Bitte um Unterstützung für unser Ausreiseanliegen. Im Prinzip wussten wir von der Gefährlichkeit dieser Briefe, aber unsere Situation in der DDR wurde immer auswegloser. Also schickten wir Briefe, die ich mit der Schreibmaschine abgetippt hatte, per zuverlässigem Kurier in die Bundesrepublik. Allerdings hatte die Stasi ihre Spitzel überall und so gelangten Kopien dieser Briefe in kürzester Zeit in die Hände des Ministeriums für Staatssicherheit. Im Februar bzw. März 1988 wurden mein Vater und ich verhaftet.

IGFM: Sie wurden wegen eines Briefes verhaftet, den Sie nur mit der Schreibmaschine abgetippt hatten? Was stand in diesem Brief?

Birgit Schlicke: Das ist richtig. Laut Paragraph 99 StGB der DDR hatten wir uns damit der „landesverräterischen Nachrichtenübermittlung von nicht geheim zu haltenden Nachrichten an eine Feindorganisation“ strafbar gemacht. Die Mindeststrafe betrug zwei Jahre, Höchststrafe waren zehn Jahre. Bewährungsstrafen waren nicht vorgesehen und sogar der Versuch einer solchen Straftat war strafbar! Man musste also noch nicht einmal einen Brief verschickt haben, um bereits zwei Jahre hinter Gitter zu wandern. Diese in der DDR üblichen „Gummiparagraphen“ sprechen allein schon Bände über dieses Regime!

Im Brief standen lediglich die Tatsachen, zum Beispiel, wie wir aufgrund des Ausreiseantrages diskriminiert wurden. Wir berichteten über meinen Schulrausschmiss, die Schikanen, denen mein Vater in der Firma ausgesetzt war, die Tatsache, dass meine Geschwister wie ich trotz Bestnoten keine Lehrstelle finden konnten, dass man uns die Ausreise verweigerte usw. Alles entsprach der Wahrheit, nichts war übertrieben. Doch die Wahrheit auszusprechen, war in der DDR unerwünscht, und oft endete es damit, dass man ein paar Jahre hinter Schloss und Riegel verschwand. Dieser eine Brief, den ich als „Mittäterin“ wohlgemerkt nur abgetippt hatte, führte dazu, dass ich zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt wurde. Mein Vater als „Haupttäter“ wurde sogar mit vier Jahren und sechs Monaten Freiheitsentzug bestraft.

IGFM: Hatten Sie während der Untersuchungshaft Rechtsbeistand?

Birgit Schlicke: Gleich bei meinem allerersten Stasi-Verhör verlangte ich nach einem Rechtsanwalt. Dieser wurde mir aber verweigert, da offiziell noch kein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden war. Sechs Stunden nach diesem ganztägigen Verhör wurde dann zwar das Ermittlungsverfahren eingeleitet, einen Anwalt bekam ich aber trotzdem nicht zu Gesicht. Das erste Mal, dass ich meinen „Verteidiger“ Wolfgang Schnur sprechen konnte, war nach ca. vier Monaten. Zu diesem Zeitpunkt waren die Ermittlungen im Prinzip schon abgeschlossen. Wirklich geholfen hat mir dieser Verteidiger ohnehin nicht. Er hat mich zwar moralisch etwas aufbauen können, plädierte im Verfahren in meinem Fall auch auf Strafmilderung, aber prinzipiell änderte sich nichts. Und im Endeffekt war auch er ein inoffizieller Mitarbeiter der Stasi, wie sich später herausstellte. In der Diktatur gibt es nun mal keine unabhängigen Rechtsanwälte oder faire Prozesse!

IGFM: Wie haben Sie den Prozess erlebt? War es ein öffentlicher Prozess?

Birgit Schlicke: Der gesamte Prozess war eine Farce. Das Urteil stand schon vor der Verhandlung fest, die sich inklusive Urteilsverkündung vier Tage lang hinzog. Mein Vater und ich wurden als Staatsfeinde dargestellt und vom Staatsanwalt mehrfach angeschrieen und beleidigt. Er bezeichnete uns als „höchst gesellschaftsgefährlich“. Der gesamte Prozess fand zudem unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Noch nicht einmal meine Mutter durfte anwesend sein.

Nach meiner Verurteilung zu zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsentzug beschwerte ich mich bei meinem Stasi-Vernehmer über das hohe Urteil. Er grinste mich nur an und sagte, ich könne doch froh sein, denn mein Strafmaß liege nur geringfügig über der Mindeststrafe!

In Hoheneck herrschte militärischer Drill mit Zählappellen, exaktem Bettenbau, Razzien usw. Privatsphäre gab es nirgends.

IGFM: Nach der Verurteilung kam Ihr Vater ins Gefängnis nach Brandenburg und Sie in das berüchtigte Frauengefängnis Hoheneck. Wie waren die Zustände in diesem Gefängnis? Gab es einen speziellen Status als politische Gefangene?

Birgit Schlicke: Ich hatte große Angst vor Hoheneck. Sie müssen bedenken, dass ich gerade 19 Jahre alt war und noch nie eine Kriminelle aus der Nähe gesehen hatte. Von Hoheneck hatte ich bereits in der U-Haft einiges gehört, das mir Angst machte. Es war das schlimmste Frauengefängnis der DDR, in dem hauptsächlich Mörderinnen und auch drei ehemalige KZ-Aufseherinnen einsaßen. Einen speziellen Status als Politische gab es nicht. Offiziell gab es keine politischen Gefangenen in der DDR. Wir wurden deshalb in einen Topf mit den Mörderinnen geworfen und es wurde auch immer wieder betont, dass wir wie die Kriminellen gegen die Gesetze der DDR verstoßen hätten und demnach alle gleich wären. Diesen Kriminellen waren wir regelrecht ausgeliefert. In schwierigen Situationen schauten die Aufseher weg und überließen uns den Mörderinnen. Einige Politische haben diesen Druck nicht ausgehalten, hatten Nervenzusammenbrüche, wurden mit Psychopharmaka zum Schweigen gebracht oder in Isolationshaft und Dunkelzellen verbannt. Viele leiden heute noch enorm an den Hafttraumata. Mir ist sogar eine Frau bekannt, die sich aufgrund dieser Hafterlebnisse das Leben nahm.

Generell waren die Bedingungen in Hoheneck menschenunwürdig. Zu zwölft mussten wir in einer 30 m² großen Zelle mit sechs Doppelstockbetten und 6 Stühlen hausen. Wir durften nur einmal wöchentlich duschen. Das Essen war minderwertig und Vitamine oder Milchprodukte gab es so gut wie nie. Auch die ärztliche Versorgung war eine Katastrophe und fand im Prinzip nicht statt. Mitunter musste man Wochen und Monate warten, bis man einem Arzt vorgestellt wurde.

Allgemein herrschte in Hoheneck militärischer Drill mit Zählappellen, exaktem Bettenbau, Razzien usw. Privatsphäre gab es nirgends – wir wurden rund um die Uhr Tag und Nacht beobachtet und bewacht. Die Stasi unterhielt zusätzlich ein Büro im Strafvollzug und bespitzelte besonders die politischen Gefangenen, indem sie Informanten auf uns ansetzte.

Im Zuchthaus mussten wir auch schwer arbeiten. Es herrschte Arbeitszwang und so wurde von den Inhaftierten erwartet, dass man im 3-Schicht-System Akkordarbeit zu Minimalstlöhnen leistete. In meinem Fall bedeutete das, dass ich täglich 287 Bettbezüge nähen musste. Dafür erhielt ich 90 Ost-Mark Lohn im Monat. Wer die Arbeit verweigerte, landete sofort 30 Tage in einer der Dunkelzellen im Keller.

IGFM: Wurden Gefangene in Hoheneck auch misshandelt?

Birgit Schlicke: Am eigenen Leib habe ich körperliche Misshandlungen Gott sei dank nicht erfahren, aber in Hoheneck war es üblich, renitente Strafgefangene im Arrest anzuketten. Ich habe diese Frauen im Keller nachts oft schreien gehört. Ich weiß von Frauen, die das selbst miterlebt haben und mir glaubwürdig davon berichteten, dass sie mit Gummiknüppeln geschlagen wurden. Oft passierte das unter der laufenden Dusche, damit es nicht zu Blutergüssen kam. Wer drei Wochen in Isolationshaft im Arrestkeller zugebracht hat, quasi bei Wasser und Brot, bei Kälte und in Dunkelheit, der musste anschließend erst einmal in die Krankenstation, um wieder aufgepäppelt zu werden. Die Zustände in Hoheneck waren so unmenschlich, dass viele Gefangene sich Nadeln unter die Haut schoben oder Löffel und Scheren verschluckten, nur um eine Zeit lang in das Haftkrankenhaus zu kommen und so der Hölle des Gefängnisses zu entkommen. Ich habe auch Selbstmordversuche mitbekommen, u.a. in meiner Zelle. Und es gab die berüchtigten Wasserzellen im Keller. In den späten 80er Jahren waren sie nicht mehr im Einsatz, aber Langstrafer haben mir berichtet, dass Frauen dort früher in speziellen, fensterlosen Zellen tagelang in kaltem Wasser stehen mussten. Bei einem meiner späteren Besuche im jetzt stillgelegten Gefängnis habe ich diese Zellen gesehen. Dieser besondere Zellentrakt stand übrigens unter der alleinigen Verwaltung der Staatssicherheit und wurde streng geheim gehalten.

Ein Ereignis, das ich selbst erlebt habe und das mir besonders nachhaltig in Erinnerung blieb, war eine Großrazzia im Mai 1989. Unser Kommando kam gerade vom Freihof, als wir von ca. 20 bewaffneten Männern und Frauen in Uniform umzingelt wurden. Nach und nach wurde jede Strafgefangene einzeln in einen speziell vorbereiteten Raum geführt. Ich musste mich auf eine ausgebreitete Decke stellen, mit dem Gesicht zur Wand. Anschließend musste ich mich nackt ausziehen und sollte mit gespreizten Beinen zehn Kniebeugen machen. Als ich mich weigerte, mich umdrehte und nach dem Grund dieser Prozeduren fragte, wurde ich angeschrieen und bedroht. Widerwillig tat ich, was man von mir verlangte. Dabei wurde ich von mehreren Frauen genau beobachtet. Danach schaute man mir in Mund, Nase, Ohren und alle weiteren Körperöffnungen. Man durchstreifte meine Haare und tastete alle Nähte meiner Häftlingskleidung ab. Privatpost, die ich bei mir trug, und Vitamintabletten wurden beschlagnahmt und vernichtet. Zwischendurch wurde ich von mehreren Aufseherinnen mit Schlagstöcken und Knebelketten immer wieder angeschrieen und ich durfte nicht von der Wand wegschauen. Es war gängige Methode, uns regelmäßig zu erniedrigen. Als Gefangene war man den Aufsehern völlig ausgeliefert. Man wurde auch nie mit seinem Namen angesprochen, sondern war nur eine Nummer. Ich war Nummer 12055.

IGFM: Wie sah es mit psychischer Gewalt aus, gab es das auch?

Birgit Schlicke: Ja, und das war für mich fast schlimmer als zu befürchtende Schläge. Was wir in der Stasi-U-Haft erleben mussten, war Psychofolter. Sechs Monate lang lebten wir in ständiger Ungewissheit und Ohnmacht, waren komplett von der Außenwelt isoliert und wurden psychologisch „bearbeitet“.

Alle Stasi-Vernehmer waren psychologisch geschult. Die Verhöre fanden meist nach der Methode „good cop – bad cop“ statt. Wenn ein „freundlicher“ Vernehmer nicht weiterwusste, kam der fiese Vernehmer ins Spiel, der herumschrie, drohte, erniedrigte und manipulierte. Dem tagtäglich über Stunden ausgesetzt zu sein, war für mich wie Folter. Ich konnte mit niemandem reden, da ich befürchten musste, dass die Zellen verwanzt waren oder man Mitinhaftierte auf mich als Spitzel angesetzt hatte. Als ich darum bat, einen Seelsorger oder Pfarrer sprechen zu dürfen, wurde ich ausgelacht. Meinen Vater, der ein Stockwerk über mir inhaftiert war, durfte ich nicht sehen und die wenigen Briefe meiner Mutter wurden ebenso zensiert wie die Zeilen, die ich an sie schicken durfte. In den ersten Monaten hatte ich zudem wegen angeblicher Verdunklungsgefahr absolutes Besuchsverbot meiner Mutter. Monatelang sah ich nur meine beiden Vernehmer, Wachpersonal und zwei weitere Zelleninsassen. In der winzigen Zelle wurden wir rund um die Uhr durch den Türspion beobachtet. Nachts wurden wir am Schlafen gehindert, indem die Stasi-Aufseher alle 10 Minuten durch den Spion schauten und dabei einen grellen Halogenscheinwerfer einschalteten. Und das monatelang, Nacht für Nacht!

Ich hätte das alles nicht überstanden, wenn ich nicht meinen christlichen Glauben gehabt hätte, der mir Kraft gab. Das, der Rückhalt meiner Familie und die Hoffnung auf ein Leben in Freiheit haben mir in den Monaten der Haft sehr geholfen.

IGFM: Am 9. November 1989 fiel schließlich die Mauer. Wie haben Sie die Ereignisse in der DDR erlebt?

Birgit Schlicke: Als die Mauer fiel, war ich noch in Hoheneck. Von den vorhergehenden Demonstrationen im Land hatten wir lange nichts mitbekommen, denn wir waren ja hinter Mauern und Elektrozäunen komplett abgeschottet. Der Häftlingsfreikauf war zudem seit Wochen zum Erliegen gekommen – das waren schwere Zeiten für uns. Irgendwann merkten aber auch wir, dass da draußen irgendwas passierte. Die Aufseher wirkten unsicher, und am 4. November 1989 hörten wir voller Staunen die im Radio übertragenen Reden der großen Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz.

Am Tag nach dem Mauerfall, am 10. November, durften wir ausnahmsweise die Fernsehnachrichten sehen. Was wir sahen, konnten wir kaum glauben: Die Menschen aus dem Osten liefen einfach über die Grenzübergänge und spazierten den Ku-Damm entlang. Unglaublich! Wenig später erfuhren die politischen Gefangenen in Hoheneck, dass wir durch eine besondere Amnestie in die DDR entlassen würden. Darüber waren wir nicht besonders froh, denn wir wollten ja nicht in die DDR zurück und keiner wusste damals, ob sich die Mauer nach kurzer Zeit nicht doch wieder schließen würde. Am 17. November 1989 wurde ich dann nach 21 Monaten Haft aus Hoheneck entlassen. Mein Vater kam am 23. November 1989 aus Brandenburg-Görden frei und wenige Tage später reiste unsere gesamte Familie endlich in die Bundesrepublik aus.

IGFM: Das Schlagwort „Unrechtsstaat“ ist in der letzten Zeit oft Thema des öffentlichen Diskurses gewesen. Wie sehen Sie diese Diskussion?

Birgit Schlicke: Ich bin über den aktuellen Diskurs entsetzt. Die DDR war eindeutig ein Unrechtsstaat und eine Diktatur – es gibt genügend Beweise und Zeitzeugen, die dies belegen können. Wer etwas anderes behauptet, ist entweder blind oder gehört zu den Ewiggestrigen, die bewusst beschönigen und Ablenkungsmanöver inszenieren. Genau diese ehemaligen Lakaien der Diktatur sind nun wieder aktiv und versuchen uns einzureden, dass es „so schlimm ja nicht war“.

Wenn ich mir die jüngere Generation anschaue, bin ich auch immer wieder erschrocken, wie wenig sie eigentlich über die DDR-Diktatur weiß. Hier gibt es großen Aufklärungsbedarf. Nach einer Studie unter Gymnasiasten in Ost und West antworteten diese 2008 mehrheitlich: „Die DDR war keine Diktatur“, „Die Stasi war ein Geheimdienst, wie ihn jeder andere Staat auch hat“, „Die Mauer wurde von den Alliierten bzw. der Bundesrepublik gebaut“, „Adenauer und Brandt waren DDR-Politiker“ oder „Unter Erich Honecker gab es demokratische Wahlen“.

Wenn ich so etwas höre, stehen mir die Haare zu Berge. Was wird in unseren Schulen unterrichtet, frage ich mich, wenn Schüler noch nicht einmal die Basics wissen? Gleichzeitig schwelgen viele der Älteren in Ostalgie – kein Wunder, dass es die Jugend nicht besser weiß! Woher sollen sie wissen, weshalb die Menschen 1989 auf die Straße gingen, wenn es ihnen gar nicht oder durch ein falsches Bild vermittelt wird?

Ein differenziertes Geschichtsbild ist deshalb dringend notwendig. Die Vergangenheit muss nicht nur zu Feiertagen ins politische Bewusstsein zurückgeholt werden. Hier sind die Medien und vor allem auch die Politik gefragt. Es ist mir absolut unverständlich, weshalb diverse Politiker sich weigern, die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen. Weshalb nennt niemand die Dinge beim Namen? Eine Diktatur, in der die Herrschenden die eigene Bevölkerung einmauerte, in der Zwang, Einschüchterung und Unterdrückung herrschten, in der Grundrechte mit Füßen getreten wurden, in der es Todesstreifen und einen Schiessbefehl gab, in der Wahlbetrug betrieben wurde… Was soll das sein, wenn nicht ein Unrechtsstaat? Und das waren doch die wahren Gründe, weshalb mehr als vier Millionen DDR-Bürger den Staat in Richtung Westen verließen und nicht, weil man keine Bananen kaufen konnte oder weil man 14 Jahre auf ein Auto warten musste.

Ich hoffe jedenfalls, dass es 20 Jahre nach dem Ende der DDR-Diktatur gelingt, uns kritisch mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Meiner Meinung nach sind wir dazu verpflichtet. Der Philosoph George Santayana sagte: „Wer sich an die Vergangenheit nicht erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen“. Ich denke, er hat Recht.

Wer mehr über die Zustände in Hoheneck und die Verhörmethoden der Stasi erfahren möchte, dem empfehlen wir Birgit Schlickes Buch „Gefangen im Stasiknast – Tagebuch einer politischen Gefangenen im Frauenzuchthaus Hoheneck“ (Lichtzeichen Verlag GmbH Lage, ISBN: 978-3-86954-008-5).

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