Interview: Systematische Verfolgung der Rohingya in Myanmar

Die Rohingya sind eine in Myanmar – auch Burma genannt – massiv verfolgte und unterdrückte sunnitisch-muslimische Ethnie, deren größter Teil in Myanmar lebt, vor allem im Bundesstaat Rakhine an der Westküste. Die Vereinten Nationen haben diese Bevölkerungsgruppe als die wahrscheinlich „meist verfolgte Minderheit“ bezeichnet. Da sie im buddhistisch-dominierten Land seit dem sogenannten „Staatsbürgerschaftsgesetz“ von 1982 nicht als Staatsbürger anerkannt – und somit de facto zu Bürgern zweiter Klasse degradiert wurden – und ihnen grundlegende Menschenrechte verweigert werden, lebt etwa die Hälfte von ihnen als Flüchtlinge im Ausland. Rohingya werden Opfer systematischer Verfolgung und oftmals tödlicher Gewalt durch buddhistische Nationalisten und Armeeangehörige. Vergewaltigungen und Erniedrigungen sind an der Tagesordnung. Zehntausende vegetieren in menschenunwürdigen Lagern. Im Jahr 2015 gewann die Partei der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi überraschend die landesweiten Wahlen und konnte so die Militärregierung ablösen.

Ein Gespräch mit  dem Medienbeauftragten des European Rohingya Council (ERC), Mohammed Ibrahim.
Die Fragen stellten Maya Robinson und Daniel Holler, IGFM-Deutschland.

Quelle: Foreign and Commonwealth Office – Flickr, OGL

Können Sie uns etwas zur aktuellen Menschenrechtssituation in Myanmar sagen?
Zusammengefasst kann man sagen, dass die aktuellen Menschenrechtsverletzungen der myanmarischen Armee seit dem 9. Oktober 2016 genau das zeigen, was die UN offiziell als „ethnische Säuberung“ bezeichnet. Die myanmarische Armee vertreibt in Kya Gaung Taung (auch Rabailla genannt) weiterhin Rohingya-Männer aus ihren Dörfern und jagt deren Frauen und Kinder auf offene Felder in die glühende Sonne, ohne Wasser und Nahrung. Frauen und Kinder leiden Hunger und Durst. Wir erhalten immer wieder Berichte von Massenvergewaltigungen und -verhaftungen. Das Gebiet ist vollkommen abgeriegelt, der Zugang für unabhängige Medien und humanitäre Hilfe wird unterbunden. Die Bewegungsfreiheit der Leute ist massiv stark eingeschränkt. Die Regierung belügt die internationale Gemeinschaft, wenn sie sagt, dass es dort keine Menschenrechtsverletzungen gebe, aber gleichzeitig unabhängigen Medien den Zugang verweigert.
Zehntausende Rohingya sind 2016 nach Bangladesch geflohen. Wie bereits erwähnt, gibt es alarmierende Berichte von hunderten Vergewaltigungen und willkürlichen Verhaftungen; auch wurden hunderte Rohingya getötet. Laut der UN sind 3000 Rohingya-Kinder stark unterernährt; die Hälfte von ihnen wird verhungern, wenn keine Nothilfe geleistet wird.

Hat sich die Situation für Rohingya und unterdrückte religiöse Minderheiten seit den Wahlen und der Machtübernahme der NLD im November 2015 überhaupt verbessert? Wenn ja, inwiefern?
Leider hat sich die Situation der Rohingya bisher nicht zum Positiven verändert. Im Gegenteil: Die Lage ist sogar noch schlimmer geworden als je zuvor. Niemals in der Geschichte gab es so viele Massenvergewaltigungen und Menschenrechtsverletzungen gegen Rohingya wie heute.

Haben Sie noch immer Hoffnungen auf die Unterstützung durch Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi? Oder denken Sie, dass sie keine positive Auswirkung auf Ihre Situation haben kann?
Um ehrlich zu sein haben wir keinerlei Hoffnungen auf Unterstützung durch Aung San Suu Kyi. Sie verleugnet Verbrechen, die am helllichten Tag von der Armee begangen werden, ohne jemals die Tatorte zu besuchen oder die Verbrechen zu untersuchen. Sie weist die Vorwürfe einfach zurück. Deshalb haben wir jede Hoffnung verloren, dass sie für uns Partei ergreifen würde. Sie könnte natürlich einen positiven Einfluss haben, wenn sie sich dafür entscheiden würde. Aber leider sehen wir keine Anzeichen dafür, dass sie das machen möchte.

Myanmar öffnet sich der internationalen Gemeinschaft. Viele Politiker und Geschäftsleute kommen in das Land. Kann ein solcher Öffnungsprozess den Rohingya und anderen Minderheiten helfen? Wenn ja, warum?
Myanmar öffnet sich in Richtung der internationalen Gemeinschaft. Die westlichen und nicht-westlichen Unternehmen wetteifern miteinander um die bisher nichtgenutzten Ressourcen des Landes. In der Konsequenz ignorieren westliche Politiker gerne Myanmars Verbrechen gegen die Rohingya und andere Minderheiten, da sie negative Auswirkungen auf ihre Interessen – wirtschaftlich und politisch – befürchten. Myanmars Militär nutzt dies als einen Vorwand um ihren vorab geplanten Kriegszug gegen die Rohingya voranzutreiben.

Würde Myanmar europäischen Politikern und Unternehmen, die sich um Menschenrechte bemühen, Gehör schenken? Wenn ja, auf was sollten diese sich fokussieren?
Ja, sicherlich würden sie das. Ich glaube fest daran, dass europäische Politiker und Unternehmen eine große Rolle bei der Beendigung des inzwischen 37 Jahre dauernden Krieges gegen die Rohingya spielen könnten; sie sollten wirtschaftliche Sanktionen erheben und diplomatischen Druck auf die Regierung von Myanmar ausüben. Unternehmen können nicht in das Land gehen, dort ihre Geschäfte machen, und dabei die furchtbaren Menschenrechtsverletzungen ignorieren, so lange die Verfolgung von Rohingya und anderen Minderheiten fortgesetzt wird. Die Ironie liegt darin, dass, obwohl internationale Journalisten, Menschenrechtler, Forscher und Nobelpreisträger bewiesen haben, dass der Genozid oder die „ethnische Säuberung“ – egal welchen Begriff Sie verwenden – definitiv stattgefunden hat, westliche Führer weiterhin schweigen. Diese Tatsache ist für mich am enttäuschendsten.

Kürzlich hörten wir von schockierenden Berichten illegalen Organhandels, bei dem Rohingya Organe gestohlen wurden. Können Sie dies bestätigen?
Davon haben wir ebenfalls gehört. Wir können dies allerdings noch nicht durch unabhängige Belege bestätigen, da wir keinen Zugang zum Rakhine-Staat haben. Dort ist die Bewegungsfreiheit enorm eingeschränkt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Organhandel vorkommen könnte, da Rohingya sehr leicht Opfer von organisierter Kriminalität werden. Westliche Journalisten sollten diesen Gerüchten unbedingt nachgehen und sie an die Öffentlichkeit bringen.

Was wird von NGOs und anderen geleistet, um Rohingya zu unterstützen? Gibt es Strategien die bei der entsprechenden Unterstützung erfolgreich waren?
Glücklicherweise zeigen NGOs großes Interesse daran, der meistverfolgten Gruppe, den Rohingya, zu helfen. Manche von ihnen tun ihr Bestes im Bereich der Gesundheitsversorgung, Nahrungsversorgung etc. Jedoch hat die Regierung Myanmars den NGOs verboten, humanitäre Hilfe zu leisten. Die Regierung von Bangladesch schränkt NGOs den Zugang zu Flüchtlingslagern massiv ein und limitiert so ihre Möglichkeiten, dort Hilfe zu leisten. Dennoch sollten NGOs sich darauf konzentrieren, zuerst humanitäre Hilfe zu leisten, und erst dann die örtlichen Gruppen bei der systematischen Planung des Lebensunterhalts und der gesundheitlichen Grundversorgung zu unterstützen.

Was sind die Hauptprobleme, auf die sich die Menschenrechtsarbeit in Myanmar momentan fokussieren sollte?
Humanitäre Nothilfe ist die dringendste Angelegenheit, um die sich die internationale Gemeinschaft sofort kümmern muss. Während diese Hilfe unterwegs ist, sollte eine UN-geführte Untersuchung aller Menschenrechtsverletzungen folgen, die durch myanmarische Truppen begangen wurden.

Welche Strategien empfehlen Sie der IGFM für ihre Menschenrechtsarbeit in Myanmar?
Die IGFM kann sich sehr für die Menschenrechte in Myanmar engagieren. Als erstes empfehle ich, in der europäischen Gemeinschaft ein Bewusstsein für die schweren Menschenrechtsverletzungen zu schaffen. Zweitens sollte die IGFM mit den örtlichen europäischen Regierungsinstitutionen und den EU-Abgeordneten Kontakt aufnehmen, um die Problematik in das Europäische Parlament einzubringen. Drittens könnte sich die IGFM mit

Was können Privatpersonen tun, um den Rohingya in Myanmar zu helfen?anderen Menschenrechtsorganisationen vernetzen, um mit vereinten Kräften noch mehr zu erreichen. Schlussendlich würden wir es sehr begrüßen, wenn die IGFM ihre Kooperation mit Rohingya-Organisationen wie The European Rohingya Council verstärken würde, um gemeinsam die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und den internationalen Druck zu erhöhen.

Die Menschen können selbst „humanitäre Hilfe“ leisten [z. B. durch Spenden an die großen humanitären Organisationen], während sie gleichzeitig ihrer Regierung und ihren Abgeordneten, ihre Sorge über die dramatische Lage der Rohingya in Myanmar kundtun und politische Handlungen fordern. Die Menschen müssten sich in Solidarität mit den Meistverfolgten zusammenschließen. Dies ist eine Verantwortung, die wir gegenüber unseren Mitmenschen haben. Indem wir das tun, wird es einen weltweiten Bewusstseinswandel geben, der die Politiker zum Handeln drängen wird.

Können Sie uns abschließend eine Botschaft für unsere Mitglieder mitgeben?
Zuerst danke ich allen IGFM-Mitgliedern für ihre Unterstützung. Ich bitte Sie alle, den Völkermord an den Rohingya keinesfalls hinzunehmen. Wir müssen so hart wie möglich arbeiten, um Myanmars Krieg gegen die Rohingya zu stoppen. Es bleibt keine Zeit. Die Menschen hoffen auf Befreiung und ein Ende der Massenvergewaltigungen. Die Kinder brauchen dringend Nahrung und medizinische Versorgung. Bitte handeln Sie jetzt. Zum Schluss nur noch ein Wort: Danke.

 

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