Gesetze gegen Blasphemie und „Beleidigung des Islam“

Bei kritischen oder abwertenden Äußerungen über den Islam oder den Propheten Mohammed drohen in mehreren Staaten drastische Strafen – bis hin zur Todesstrafe. Verfolgt werden vielfach Meinungsäußerungen, die nach den Maßstäben des internationalen Rechts definitiv keine Straftaten sind, z.B. Glaubensinhalte nicht-muslimischer Religionen oder atheistische Überzeugungen.

Beispiel Pakistan

Christliche Einwohner der Stadt Gojra in Pakistan demonstrieren für die Abschaffung der Blasphemie-Gesetze. Die Einwohner sind Opfer gewalttätiger Übergriffe durch benachbarte Muslime, die wegen eines angeblichen Blasphemie-Falles in Gojra zahlreiche Häuser von Christen plünderten, zerstörten und niederbrannten.

In Pakistan ist eine unbekannte Zahl von Menschen ohne Anklage auf bloßen Verdacht hin umgebracht worden. Die große Mehrheit der Opfer sind Muslime und Hindus, doch gerade die Zahl der angeklagten Christen ist bedeutend höher, als es ihrem Bevölkerungsanteil entsprechen würde. Der Vorwurf der Blasphemie wird vielfach als Mittel bei persönlichen Auseinandersetzungen benutzt und um Andersdenkende und Angehörige von Minderheiten gefügig zu machen. In der Vergangenheit bedrohten islamische Eiferer Richter und Anwälte in Blasphemie-Verfahren mit dem Tod. In einigen Fällen sind Richter, die die Angeklagten freisprachen, von Islamisten umgebracht worden. Seit 1991 wurden über 650 Christen wegen des Verdachts auf Gotteslästerung angeklagt. In Pakistan handelt es sich beim sogenannten „Blasphemie-Gesetz“ um die folgenden beiden Artikel des Strafrechts:

Artikel 295-B – Schändung etc. von Ausgaben des Heiligen Korans
Wer auch immer eine Ausgabe des Heiligen Korans oder einen Auszug daraus willentlich schändet, beschädigt, entweiht oder in irgendeiner herabwürdigenden Weise oder für irgendeinen ungesetzlichen Zweck verwendet, wird mit lebenslanger Haft bestraft.

Artikel 295-C – Verwendung herabsetzender Bemerkungen etc. mit Bezug auf den Heiligen Propheten. Wer auch immer mit Worten, entweder gesprochen oder geschrieben, durch sichtbare Darstellung oder jegliche Unterstellung, Anspielung oder versteckte Andeutung, direkt oder indirekt, den heiligen Namen des Heiligen Propheten Mohammed (Friede sei auf ihm) besudelt, wird mit dem Tod oder lebenslanger Haft bestraft, und wird außerdem zu einer Geldstrafe verpflichtet.

Beispiel Iran

Der wichtigste im iranischen Strafrecht enthaltene Abschnitt zur Blasphemie ist Artikel 513. Die „Verunglimpfung des Propheten“ (saab al-nabi, ساب النبی) im weitesten Sinne wird mit dem Tod bestraft:

„Beleidigen heiliger religiöser Werte und Straftaten gegen staatliche Autoritäten“ Artikel 513 – Jeder, der die heiligen Werte des Islams, einen der Großen Propheten, die schiitischen Imame oder die Heilige Fatima beleidigt oder beschimpft, wird, sofern es sich um saab al-nabi handelt, mit Hinrichtung bestraft; andernfalls wird er zu einer Haftstrafe von einem bis zu fünf Jahren Haft verurteilt. [Anmerkung der IGFM: saab al-nabi, „Verunglimpfung des Propheten“ bezeichnet das Begehen von Taten, die mit der hadd Strafe für Beleidigen des Propheten geahndet werden]

Artikel 514 – Jeder der auf welche Weise auch immer den Imam Khomeini, den Gründer der Islamischen Republik und/oder den Obersten Führer beleidigt, wird zu einer Haftstrafe von sechs Monaten bis zu zwei Jahren verurteilt.

Auch andere „Delikte“ im Zusammenhang mit Blasphemie können im Iran mit dem Tod bestraft werden, z.B. Gottlosigkeit, die Verunglimpfung Gottes und der Abfall vom Islam. In der Islamischen Republik Iran gilt die Scharia, das islamische Rechtssystem, in der schiitisch-dschafaritischen Rechtsschule. Teile dieser Rechtsschule sind in Gesetzesform kodifiziert – wichtige Teile jedoch nicht. Darunter die zuvor genannten Delikte, die mit der Todesstrafe bedroht werden können. Sie sind dennoch in Kraft.

Handhabung nicht kodifizierter Straftaten

Der Schlüssel zum Verständnis liegt in der von der europäischen Rechtstradition abweichenden Auffassung davon, was als Recht bzw. als „Gesetz“ aufzufassen ist. Zunächst hält sowohl die iranische Verfassung (Art. 36) als auch das iranische Strafrecht (Art. 2) fest, dass die Grundlage der Rechtsprechung „Gesetze“ (qanun) sein müssen. Der Terminus „qanun“ kann sowohl konkrete Gesetze als auch allgemeine Rechtsgrundsätze bezeichnen. Art. 166 der Verfassung nennt darüber hinaus noch „Rechtsgrundsätze“, die zu Urteilen führen.

Über den Charakter von Gesetzen in der Islamischen Republik Iran macht die iranische Verfassung weitere Feststellungen: Alle Gesetze und Regulierungen müssen im Einklang mit islamischen Maßstäben stehen (Art. 4 Verfassung). Wobei Art. 12 der Verfassung festlegt, dass mit „islamisch“ die dschafaritische Rechtsschule, also die Rechtsschule der im Iran dominierenden ZwöIfer-Schia gemeint ist. Die Rechtsschulen der sunnitischen Minderheiten werden anerkannt, Art. 12 der Verfassung nennt mehrere Rechtsgebiete, in denen nach anderen Rechtsschulen Recht gesprochen werden darf, das Strafrecht gehört nicht dazu. Im Strafrecht bleibt die dschafaritische Rechtsschule allein maßgeblich.

Fehlen Gesetze, die über den vorgesehenen legislativen Weg erlassen wurden, so treten automatisch die entsprechenden islamischen Regelungen des islamischen Rechts (der dschafaritische Rechtsschule) in den Vordergrund. Nach der traditionellen islamischen Rechtsauffassung und vor allem nach der üblichen Rechtspraxis im Iran, haben die Regelungen des islamischen Strafrechtes ebenso Gesetzescharakter wie staatliche Gesetze. Wobei alle staatlichen Regelungen mit dem islamischen Recht konform sein müssen (Art. 4 Verfassung). Im Konfliktfall stehen die Regelungen des islamischen Rechtes immer über den Regelungen des Staates (Art. 170 Verfassung).

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Verfassung der Islamischen Republik Iran
Artikel 167
Der Richter ist verpflichtet, sich bei jedem Rechtsstreit um eine Urteilsfindung auf der Grundlage des geltenden Gesetzes zu bemühen. Sind solche Gesetze nicht vorhanden, so muss er seinen Urteilsspruch auf der Grundlage der authentischen islamischen Quellen oder der gültigen Fatwas fällen. Er ist nicht befugt, die Eröffnung des Verfahrens oder den Urteilsspruch unter dem Vorwand fehlender, unzureichender, zu allgemein formulierter oder sich widersprechender gesetzlicher Regelungen zu verweigern. [Hervorhebung: IGFM]

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Mit „authentischen“ islamischen Quellen oder (…) gültigen Fatwas (Art. 167 Verfassung) meint der Verfassungstext Quellen und Fatwas der dschafaritische Rechtsschule. Entsprechende Fatwas gibt es zu mehreren „Straftaten“, die im Iran mit der Todesstrafe geahndet werden können und wurden. Dazu gehört u.a. der Abfall vom Islam (irtidad).

Die Strafprozessordnung des Iran enthält die Bestimmung des Verfassungsartikels 167 ebenfalls:

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Strafprozessordnung der Islamischen Republik Iran, § 214:
Der Gerichtsbeschluss muss gerecht und plausibel sein, und belegt mit den Grundsätzen, mit welchen das Urteil erteilt wurde. Das Gericht ist verpflichtet, ein Urteil [bei jedem Rechtsstreit] auf der Grundlage des geltenden Gesetzes zu finden. Sind solche Gesetze für das Anliegen nicht vorhanden, so muss es seinen Urteilsspruch auf der Grundlage der authentischen Feqh-Quellen oder der gültigen Fatwas fällen. Die Gerichte sind nicht befugt, die Eröffnung des Verfahrens oder den Urteilsspruch unter dem Vorwand fehlender, unzureichender, zu allgemein formulierter oder sich widersprechender gesetzlicher Regelungen zu verweigern. [Anmerkung der IGFM: Begriff „Feqh“ bezeichnet die islamischen Rechtswissenschaften.]

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Darüber hinaus weist die iranische Verfassung in Art. 170 alle Richter an, Regelungen der Regierung dort zu missachten, wo sie im Widerspruch zu „islamischen“ Bestimmungen stehen. Auch auf diesem Weg verhinderte die iranische Verfassung, dass tatsächliche Religions- und Meinungsfreiheit inklusive der Möglichkeit zum Verlassen des Islam legalisiert werden kann.

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Verfassung der Islamischen Republik Iran
Kapitel 11: Judikative; Artikel 170
Die Richter sind verpflichtet, keine Erlasse und Verordnungen der Regierung durchzuführen, die im Widerspruch zu islamischen Gesetzen und Bestimmungen stehen oder die Zuständigkeit der Exekutive zu überschreiten. Jedermann kann die Aufhebung dieser Bestimmungen beim Hof der Verwaltungsgerechtigkeit beantragen.

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„Kampf gegen Gott“ (mohareb) und „Verderbenstiften auf Erden“ (mofsed)

Diese beiden Begriffe aus dem islamischen Recht beziehen sich eigentlich nicht auf Blasphemie, sondern vielmehr auf den bewaffneten Kampf gegen die „göttliche Ordnung“, insbesondere bandenmäßiger Raub. In der Praxis wendet die iranische Justiz diese Begriffe aber auch gegen friedliche Andersdenkende an, wenn sie das „System“ der Islamischen Republik kritisieren. Kritiker der Islamischen Republik und der Scharia sind mehrfach wegen „Kampf gegen Gott und Verderbenstiften auf Erden“ angeklagt und auch verurteilt worden. Das Strafmaß dafür liegt im Ermessen der Richter und reicht von Verbannung über Amputationen bis hin zu Todesstrafe und Kreuzigung. Die Kreuzigung ist soweit der IGFM bekannt allerdings bisher in der Islamischen Republik Iran nicht vollstreckt worden. Gleichwohl ist sie ausdrücklich Teil des iranischen Strafrechts.

Beispiel Saudi-Arabien

1.000 Peitschenhiebe, zehn Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von 1.000.000 Saudischen Rial (umgerechnet rund 194.000 Euro) war die Strafe, die der saudische liberale Internet-Aktivist Raif Badawi am 8. Mai 2014 wegen „Beleidigung des Islam“ erhielt. Badawi hatte im Internet erklärt, dass „Muslime, Christen, Juden und Atheisten gleichwertig“ seien. Die Anklage forderte daraufhin zunächst seine Hinrichtung wegen „Abfall vom Islam“.

Saudi-Arabien hat kein kodifiziertes Strafrecht. Es gilt die Scharia, das islamische Rechtssystem. Die Gerichte stützen sich dabei auf islamische Rechtsgutachten (Fatwas), Vorgängerurteile und Dekrete oder interpretieren die Quellen des islamischen Rechts selbst. Die größte Rolle spielt dabei die sunnitisch hanbalitische Rechtsschule. Gesetze, die der König erlassen hat, werden „Dekrete“ genannt, da nach saudischer Auffassung Gott alleine Gesetze erlassen kann.

Jede kritische Meinungsäußerung zum Islam wird mit „Terrorismus“ gleichgesetzt

Seit Januar 2014 hat Saudi-Arabien ein neues „Anti-Terror-Gesetz“ sowie mehrere andere königliche Dekrete und Anordnungen des saudischen Innenministeriums in Kraft gesetzt. Das Königreich befindet sich dadurch in einer Art nicht erklärtem Ausnahmezustand, durch den zahlreiche Menschenrechte praktisch außer Kraft gesetzt sind. Die gesetzlichen Regelungen sind außerordentlich weit und ungenau gefasst. Sie erlauben es den Behörden, praktisch jede kritische Meinungsäußerung zum Islam oder gegen die Regierung willkürlich zu verfolgen und mit langjährigen Haftstrafen zu belegen.

Forderungen der IGFM

Die IGFM fordert generell die Abschaffung aller Blasphemie-Gesetze weltweit. Es hat sich gezeigt, dass Gesetze dieser Art weder die Religionsfreiheit noch das Bekenntnis von Einzelnen oder Religionsgemeinschaften schützen können. Im Gegenteil werden Blasphemie-Gesetze oft sehr einseitig und völlig unangemessen eingesetzt.

Blasphemie-Gesetze abschaffen

Bei abwertenden Äußerungen über den Islam oder den Propheten Mohammed droht das pakistanische Strafrecht mit lebenslanger Haft oder der Todesstrafe. Der Vorwurf der Blasphemie dient vor allem in privaten Konflikten als Waffe und wird von Islamisten genutzt, um Andersdenkende und Minderheiten einzuschüchtern und zu tyrannisieren.

Weitere Infos zu Blasphemie

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