Ägypten: Interview mit Medhat Klada
Medhat Klada ist Executive Director der „European Union of Coptic Organisations for Human Rights“ in Genf. Die IGFM sprach mit ihm über die Lage der größten christliche Minderheit des Vorderen Orients. Die Fragen stellte Max Klingberg (IGFM, 26. August 2010)

Medhat Klada ist Executive Director der „European Union of Coptic Organisations for Human Rights“ in Genf, die sich für die Rechte der koptischen Minderheit in Ägypten einsetzt. Die IGFM sprach mit ihm über die Lage der größten christliche Minderheit des Vorderen Orients.
Herr Klada, was sind Ihrer Meinung nach die schwerwiegendsten menschenrechtlichen Probleme Ägyptens?
Es gibt heute zahlreiche Arten schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen in Ägypten. Am gravierendsten sind jedoch die Menschenrechtsverletzungen, die regelmäßig an den Christen begangen werden. Davon sind die Kopten, die größte christliche Minderheit des Vorderen Orients, d.h. ca. 15 Millionen Menschen betroffen. Extremisten möchte diese vernichten. Es handelt sich um organisierte Verbrechen. Staatliche Institutionen sind daran beteiligt. Die Verfolgung der Kopten erfolgt heute landesweit. Leider haben die islamistisch-extremistischen Ideologien auch die einfachen Menschen erfasst.
Können Sie uns die Situation der Kopten in Ägypten erläutern?
Die Kopten leiden sehr unter immer wiederkehrenden Verletzungen ihrer Rechte, ihrer Würde oder sogar Angriffen gegen ihr Leben sowie ihr Hab und Gut. Ihre Häuser, Läden, Autos usw. werden durch gewalttätige Gruppen zerstört, niedergebrannt oder geplündert. Die Täter, die den Kopten Schaden zufügen, werden von der Justiz nicht bestraft, so dass praktisch die Gewalttaten unter dem Schutz des Staates stattfinden. Auch koptische Kirchen und Klöster werden mit staatlicher Duldung zerstört. Minderjährige Koptinnen werden unter Duldung der Behörden, nicht selten sogar unter der Mithilfe der Behörden entführt und zwangsislamisiert. Gleichzeitig sind Kopten von höheren Ämtern im Staatsdienst praktisch ausgeschlossen.
Sie sind als koptisch-orthodoxer Christ in Ägypten aufgewachsen. Welche persönlichen Erfahrungen haben Sie mit Diskriminierung und Benachteiligung gemacht?
Eine schlimme Sache erlebte ich, als ich seinerzeit im seelsorgerischen Dienst der St.-Damiana-Kirche unweit von El-Zawya El-Hamra/Kairo tätig war. Am 17. Juni 1981, als wir in der Kirche versammelt waren, griffen islamistische Fanatiker die Kirche an. Die Polizei befahl uns Kirchenbesuchern, das Gebäude zu räumen und ließ die Angreifer dann die Kirche niederbrennen. Dann musste ich mit eigenen Augen ansehen, wie im gleichen Stadtteil die Läden und Häuser der Kopten zerstört und geplündert wurden, während die Polizei tatenlos zuschaute. Die Beamten standen einfach nur da. Als der Terror sich etwas beruhigt hatte, brachten sie einige der Attentäter in ihr gepanzertes Fahrzeug. Ich sah aber, dass sie sie wenig später wieder frei ließen. Sie haben uns einfach nur etwas Theater vorgespielt.
Durch eine andere Sache fühlte ich mich sehr verletzt: Es war 1991, als ich mich für eine Stelle als Buchhalter bei der staatlichen Gesellschaft Petrogas bewarb. Ich machte die entsprechende Prüfung und bestand mit der bestmöglichen Note. Daraufhin gratulierte mir die Prüferin. Da sie aus meinem Namen nicht erkennen konnte, ob ich Christ oder Muslim war, fragte mich danach ihr Kollege, Herr Mustafa, genauer nach meinem Namen. Er wollte auch die Namen meines Großvaters und Urgroßvaters wissen, aus denen er dann erkennen konnte, dass ich Christ war. Ich erhielt keinerlei Benachrichtigung wegen der Stelle. Als ich später deswegen bei der Gesellschaft anrief, gab man offen zu, dass man mich wegen meiner christlichen Religion von der Kandidatenliste ausgeschlossen hatte.
Eine andere traurige Erfahrung machte ich bezüglich der Entführung und Zwangsislamisierung zweier koptischer Mädchen aus meinem Bekanntenkreis: Ich war mit einem christlichen Ehepaar befreundet, Nadir und Manal. Plötzlich verschwanden ihre beiden auch nach ägyptischem Recht minderjährigen Töchter. Die Eltern waren verzweifelt. Jahre lang suchten sie nach ihren Kindern. Als sie wieder auftauchten, waren sie Muslimas. Jede hatte ein Kind.
Wo bleibt in solchen Fällen die Justiz? Immer wieder musste ich erleben, wie in Ägypten die Rechte der Kopten mit Füßen getreten werden.
Hat sich die Situation der Kopten in den letzten Jahren verbessert?
Ich wünschte, ich könnte diese Frage mit „Ja!“ beantworten. Leider muss ich aber sagen, dass die Regierungszeit von Präsident Hosni Mubarak die schwärzeste Zeit seit Langem ist, die die Kopten erlebt haben. Früher gab es eine Verfolgung der Kopten, die durch einige Extremisten verübt wurde. Heute aber, nachdem der ganze Staatsapparat und die Medien durch die Islamisten unterwandert wurden und von ihnen beherrscht werden, ist sozusagen die Gewalt staatlich organisiert.
Gibt es in Ägypten einen staatlichen Druck auf Nichtmuslime, zum Islam überzutreten?
Vielleicht kann man nicht von „staatlichem Druck“ im ganz wörtlichen Sinne sprechen. Aber ich habe ja schon im Vorherigen die Rolle staatlicher Stellen beschrieben. Der Druck besteht heute vor allem in wirtschaftlichem Druck mit der Gefahr bis in die absolute Armut abzusinken. Christliche Minderjährige sind gezwungen Muslime zu werden, wenn ein Elternteil den Islam annimmt. Vor allem aber gibt es eine Benachteiligung durch diskriminierende Gesetze und einen Druck, der nicht einfach an Gesetzen festgemacht werden kann.
Gegenwärtig arbeitet die ägyptische Regierung an einem neuen Gesetz zur Kontrolle von Nichtregierungsorganisationen. Zahlreiche ägyptische Menschenrechtsorganisationen sehen das Ende der ägyptischen Zivilgesellschaft, falls die Pläne der Regierung realisiert werden sollten. Was ist ihre Einschätzung?
Ja, das wird das Ende der Zivilgesellschaft in Ägypten bedeuten. Die ägyptische Regierung will die volle Kontrolle über alle Menschenrechtsorganisationen im Lande haben. Sie sind ihr suspekt.
Aber schon heute ist der Nationalrat für Menschenrechte in Ägypten ein staatliches Instrument und arbeitet mit dem Ziel einer Vernichtung der unabhängigen Organisationen der Zivilgesellschaft.
In Ägypten gibt es keine Zivilehen, sondern ausschließlich Ehen nach religiösem Recht, mit allen Konsequenzen, wie z. B. Heiratsverbote für muslimische Frauen oder das Scheidungsverbot für Kopten. Gerade über den Punkt der bisher verbotenen Wiederheirat de facto geschiedener Kopten kam es im Juni 2010 zu einer hitzigen öffentlichen Debatte. Können Sie uns die Situation erläutern und sehen Sie Lösungsmöglichkeiten?
Doch, es gibt in Ägypten so etwas wie Zivilehen. Sie werden jedoch weder von der koptischen Kirche, noch von islamischer Seite als kompatibel mit den religiösen Auffassungen betrachtet. Die koptische Kirche verbietet die Scheidung, außer im Falle des Ehebruchs. Die katholische Kirche lässt gar keine Scheidungen zu. Leider hat der Staat in letzter Zeit versucht, die Kirchen zu zwingen, Scheidung und Wiederheirat zuzulassen. Die Kirchen lehnen dies ab. Sie können aber niemand verbieten, fern der Kirche eine Zivilehe einzugehen.
[Anmerkung der IGFM: gemeint ist die sogenannte „Urfi-Ehe“, in der Praxis ein formloser Zivilvertrag, der in der Regel heimlich geschlossen wird, z.B. zwischen Studenten. Die Urfi-Ehe ist eine gesellschaftlich wenig anerkannte Form der Eheschließung nach islamischem Recht, die im Falle einer Schwangerschaft einen Schutz für die Mutter darstellt. Die Möglichkeit zu einer religionsunabhängigen, säkularen Ehe besteht in Ägypten nicht.]
Welche Entwicklungen erwarten Sie für die mittlere und fernere Zukunft?
Ich denke, es ist keine Wende zum Besseren in Sicht. Weder was die Situation bezüglich der Menschenrechte betrifft, noch in politischer Hinsicht. Ich bin sicher, dass die islamistischen Tendenzen sich in der Zukunft in Ägypten verstärken werden. Ich gehe davon aus, dass die Kopten nach und nach das Land verlassen werden, so wie es ja bereits mit den Christen im Irak geschah.
Was sollte ihrer Meinung nach die ägyptische Regierung vordringlich tun?
Die ägyptische Regierung muss die Artikel 40 und 46 der ägyptischen Verfassung einhalten, die Religionsfreiheit und Gleichheit aller Bürger im Staate bestimmen. Sie muss gemäß Artikel 1 der ägyptischen Verfassung handeln, welcher allen Ägyptern volle Bürgerrechte garantiert und gleichzeitig Artikel 2 aus der ägyptischen Verfassung streichen, der besagt, dass die islamische Scharia die erste Quelle der Gesetzgebung ist. Die Regierung muss ein Gesetz gegen religiöse Diskriminierung erlassen und jeden zur Rechenschaft ziehen, der sich religiöser Diskriminierung schuldig macht. Außerdem sollte sie ein einheitliches Gesetz für den Bau von Moscheen und Kirchen erlassen und vor allem den heutigen religiösen Staat zu einem säkularen Staat machen.
Was können die europäischen Staaten tun, um die Menschenrechtssituation in Ägypten zu verbessern?
Die EU-Staaten sollten Ägypten mit Nachdruck auffordern, seine internationalen Vereinbarungen zur Gewährleistung und Schutz der Menschenrechte zu erfüllen. Außerdem sollten sie finanzielle Hilfe für das Land nur noch mit einer Koppelung an seine Fortschritte bei der Wahrung der Menschenrechte gewähren.
Herr Klada, danke für das Gespräch.
(Credit Vorschaubild: Medhat Klada, livenet.ch/ Link: https://www.livenet.ch/news/international/interkulturelles_mission/317904-kopten_nach_juengsten_enttaeuschungen_wir_haben_die_spielerei_satt.html)