Barach A. Tschemursiew

Der Universitätsdozent wurde wegen seiner Beteiligung am Protest gegen die geplante Grenzverlegung am 3. April 2019 verhaftet. Ihm wurde „Organisation von Gewalt, die für das Leben oder die Gesundheit von Vertretern der Behörden im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer Amtspflichten gefährlich ist“ vorgeworfen und er wurde zu 8 Jahren Gefängnis verurteilt. Nach vollständiger Verbüßung seiner Strafe im Zusammenhang mit dem zweiten Anklagepunkt wurde er am 18. Februar 2025 entlassen. Für sechs Monate darf er seinen Wohnort nicht wechseln, muss sich monatlich bei den Behörden melden und darf drei Jahre lang keine öffentlichen Ämter bekleiden.
Frei nach Verhaftung wegen friedlichem Protest
Barach Tschemursiew wurde am 17. Mai 1969 in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny geboren. Heute wohnt er in Staniza (Bezeichnung für Kosakensiedlung) Troizkaja, im Sunschenski Bezirk Inguschetiens. Er ist Vorsitzender der öffentlichen Bewegung „Unterstützung von Inguschetien“, Mitglied des inguschetischen Komitees für nationale Einheit/IKNE sowie Mitglied des Präsidiums des Weltkongresses der Inguschen. Er ist Vater von drei Kinder, eins seiner Kinder leidet an Zerebralparese.
1988 schloss Tschemursiew die Fachoberschule als KfZ-Mechatroniker ab und war in der Russischen paramilitärischen Vereinigung zur Unterstützung der Armee unter anderem als Fallschirmspringer aktiv. Später leistete er seinen Militärdienst in den Bautruppen der russischen Armee und studierte im Anschluss Wirtschafts- und Finanzwesen und Wirtschaftsmanagement in St. Petersburg. Er verfügt über einen Doktortitel im Wirtschafts- und Finanzwesen. Während der gesamten Studienzeit jobbte er in verschiedenen Bereichen, um sich und seine Herkunftsfamilie, die der Tschetschenien-Krieg mittlerweile zu Flüchtlingen in Inguschetien gemacht hatte, über Wasser zu halten. Von 2008 bis 2018 arbeitete er als Privatdozent an der Wirtschaftsuniversität in St. Petersburg. Hiernach kehrte er im Alter von 49 Jahren mit seiner Familie zur elterlichen Familie nach Inguschetien zurück.
Festnahme und Verurteilung
Am 27. März 2019 wurde in Magas eine Kundgebung gegen die Änderung der Verwaltungsgrenze zu Tschetschenien aufgelöst. Es war der Beginn der Repressionen gegen die inguschische Opposition. Infolgedessen wurden Verwaltungsverfahren gegen Hunderte von Teilnehmern des Volksprotests eingeleitet und Strafverfahren gegen Dutzende eingeleitet, so auch gegen Barach Tschemursiew. Er wird nach Artikel 318, Absatz 2 des StGB RF angeklagt („Organisation von Gewalt, die für das Leben oder die Gesundheit von Vertretern der Behörden im Zusammenhang mit der Erfüllung ihrer Amtspflichten gefährlich ist“, bis zu 10 Jahren Gefängnis), sowie nach Artikel 282.1, Absatz 2 (seit 16.1.2020, „Teilnahme an einer extremistischen Gemeinschaft“, bis zu 6 Jahre Haft). Seit dem 3. April 2019 befindet er sich in Untersuchungshaft.
Im Dezember 2021 verurteilte das Stadtgericht Kislowodsk bei einer Besuchssitzung in Yessentuki die Angeklagten im „Inguschen-Fall“ zu Haftstrafen von 7,5 bis 9 Jahren, Barach Tschemursiew zu 8 Jahren. Sie wurden für schuldig befunden, Gewalt gegen Behördenvertreter angewendet zu haben (Artikel 318 des Strafgesetzbuches), eine extremistische Gemeinschaft gegründet zu haben (Artikel 282 Absatz 1 des Strafgesetzbuches) und sich an ihr beteiligt zu haben.
Am 28.7.2023 bestätigte das Bezirksgericht Stawropol in Pjatigorsk das Urteil im „Fall Inguschen“. Die Verteidigung wies nach, dass die Angeklagten wegen ihrer Popularität und Autorität in der inguschischen Gesellschaft verfolgt wurden. Das Berufungsgericht ignorierte die Argumente der Verteidigung und verschärfte sogar die Strafe bezüglich der Freiheitsbeschränkung nach Haftverbüßung, indem es die Bewegungsgrenzen von „am Aufenthaltsort“ auf „innerhalb des Stadtbezirks“ änderte.
Im Januar 2024 legte die Verteidigung Beschwerde gegen die Berufungsentscheidung ein und beanstandete Fehler im Sitzungsprotokoll. Am 7. Juni 2024 zog Richter Timur Kouaje die Kassationsbeschwerde zurück und verwies den Fall an die Berufungsinstanz. Am 21. Juni 2024 prüfte das Fünfte Kassationsgericht in Pjatigorsk die Kassationsbeschwerde gegen die Verurteilung der sieben inguschischen politischen Gefangenen im dritten Versuch und ließ sie unverändert. Am 18. Februar 2025, nach Verbüßung der vollen Strafzeit in der Anklage „Beteiligung an einer extremistischen Organisation“ wurde er aus dem Gefängnis entlassen, so auch Bagaudin Khautiev und Sarifa Sautieva. Ismail Nalgiev sowie drei weitere Gefangene befinden sich derzeit weiterhin im Gefängnis.
Barach Tschemursiew darf nun sechs Monate lang seinen ständigen Wohnsitz nicht wechseln und seine Gemeinde nicht ohne die Zustimmung der zuständigen staatlichen Behörde verlassen. Des Weiteren muss sich Tschemursiew einmal im Monat bei dieser Behörde melden, erklärte sein Anwalt Magomed Bekov. Außerdem ist es den entlassenen Verurteilten drei Jahre lang untersagt, staatliche und öffentliche Ämter zu bekleiden.
Stand: März 2025
Anderes
Am 6. März 2025 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Fall „Jalakow und andere gegen Russland“. Das Gericht stellte einen Verstoß gegen Artikel 5 der Europäischen Konvention (Recht auf Freiheit und Sicherheit) fest und sprach allen Antragstellern Entschädigungen zu. Einer der Antragsteller war Barach Tschemursiew, Angeklagter in der „Inguschen-Sache“. Er hatte gegen die Weigerung des Regionalgerichts Stawropol Berufung eingelegt, die Entscheidung des Stadtgerichts Kislowodsk zur Verlängerung seiner Untersuchungshaft zu überprüfen.
Der EGMR bestätigte, dass die russischen Behörden die Rechtmäßigkeit seiner Inhaftierung nicht ordnungsgemäß überprüft hatten, und sprach ihm 500 Euro zu. Zuvor hatte der EGMR bereits anerkannt, dass es keine stichhaltigen Gründe fürTschemursiews Inhaftierung gab und ihm ein unparteiisches Verfahren vorenthalten wurde. Im Sommer 2024 ordnete der EGMR an, dass Russland Barach Tschemursiew 5.000 Euro zahlen muss.


