
„Es gab Folter und sexuelle Gewalt…“
Interview vom 19.12.2024
Oleksandr Wassiljew
Die Einwohnerin von Saporischschja, Olena Jahupowa, geriet in russische Gefangenschaft, wo sie zahlreiche Misshandlungen erlitt. Ihr Kopf wurde mit einer zwei-Liter-Flasche eingeschlagen, sie wurde mehrere Tage gefoltert und musste „zum Wohl der Russischen Föderation“ Zwangsarbeit verrichten.
Mein Name ist Olena Jahupowa. Ich wurde in Saporischschja geboren und bin dort aufgewachsen. Während der groß angelegten Invasion befand ich mich in meiner Heimatstadt Kamjanka-Dniprovska, in der Nähe von Enerhodar, wo sich das größte Atomkraftwerk Europas befindet – das Kernkraftwerk Saporischschja.
Nach Beginn der Invasion wurde unsere Stadt innerhalb von zwei bis drei Tagen besetzt. Damit war ein normales Leben vorbei. Ich geriet nicht sofort in Gefangenschaft. Ich wollte fliehen, hatte aber Angst, weil mein Mann bereits seit zwei Jahren im Krieg war. Ich wusste, wie geschickt die neue sogenannte „Regierung“ war und dass sie bereits Listen besaß. Während ich meine Flucht vorbereitete, wurde ich denunziert. Am 6. Oktober 2022 kamen Vertreter der Militärbehörden zu mir.
Angeführt wurde die Gruppe von einem Mann, der sich als FSB-Vertreter ausgab und mir seinen Ausweis zeigte. Sie durchsuchten mein Haus und brachten mich zur örtlichen Polizeiwache, wo die Folter begann. Dies dauerte mehrere Tage. Ihr Vorgehen war immer gleich: Schläge, Strangulation, Scheinerschießungen.
Mir wurde mit einer Zwei-Liter-Flasche Wasser der Kopf eingeschlagen, wodurch ich zwei Wunden erlitt. Meine Kleidung war vollständig mit Blut getränkt. Ich erlitt ein geschlossenes Schädel-Hirn-Trauma. Danach wurde ich in ein Untersuchungsgefängnis gebracht. Ohne ins Detail zu gehen, kann ich sagen, dass es dort Drohungen und sexuelle Gewalt gab.
Mein Leben verwandelte sich in eine neue Hölle. Auch in den Gefängnismauern wurde gefoltert. Wir wurden gezwungen, die russische Hymne zu singen – manchmal stundenlang, sogar nachts. Das hing von der Laune des Polizeichefs oder des Gefängnisdirektors ab. Menschen wurden geschlagen, ihre Rippen gebrochen, sie wurden physisch und psychisch gequält.
Später wurde ich zur Zwangsarbeit gezwungen und an die zweite Verteidigungslinie der russischen Streitkräfte in der Region Saporischschja gebracht. Die Bedingungen waren entsetzlich: Es war ein kalter Dezember, wir schliefen auf dem Boden ohne Heizung, Essen gab es nur einmal am Tag. Wir wurden als „zivile Geiseln“ bezeichnet, aber das halte ich für falsch. Wir waren keine Geiseln, sondern Kriegsgefangene, denn wir lebten unter denselben Bedingungen wie die Soldaten.
Nach dem Gefängnis wurden wir mit Säcken über dem Kopf in ein Filtrationslager gebracht. Dort wurden Propagandavideos gedreht, die heute im Internet zu finden sind. Die Videos suggerieren, dass wir freigelassen wurden und Hand in Hand nach Hause gehen. Das war eine Lüge. Nach den Dreharbeiten wurden wir in einen Kofferraum geladen und zu einer russischen Militäreinheit gebracht. Dort bekamen wir Schaufeln und mussten „zum Wohl der Russischen Föderation“ arbeiten.
Am 18. Januar, bei Schneeregen, wurden wir gezwungen, Schützengräben auszuheben und Bunker zu bauen. Die Kleidung stammte aus Lagern und war oft unpassend. Ich erhielt beispielsweise Gummistiefel in Größe 45 und eine viel zu große Militäruniform. Die Männer bauten Bunker aus Materialien, die russische Soldaten aus den Häusern der Dörfer plünderten. Die Frauen mussten putzen, Wäsche waschen und Essen zubereiten – in Häusern, die von russischen Offizieren bewohnt wurden. Es war wahre Sklaverei – nicht nur körperlich, sondern auch sexuell. Gefangene wurden zwischen Einheiten weitergegeben oder sogar verkauft. Man wusste nie, was der nächste Tag bringen würde.
Ein glücklicher Zufall ermöglichte mir und einigen anderen die Flucht. Eine Person konnte Kontakt zu Verwandten in den besetzten Gebieten aufnehmen, die dann jemanden in Moskau informierten. Daraufhin trafen Beamte einer russischen Sicherheitsbehörde ein und ließen uns frei. Uns wurde gesagt, dass wir unter keinen Umständen nach Telefonen suchen oder Wachen um Hilfe bitten dürften, da dies mit dem Tod bestraft werde. Doch dank des „menschlichen Faktors“ überlebten wir.
Jetzt bin ich in Sicherheit. Doch in den besetzten Gebieten gibt es weiterhin Menschen, die vergessen werden. Jeden Tag verschwinden sie spurlos. Sie hoffen auf Hilfe – doch diese ist nur mit aktiver Unterstützung durch internationale Organisationen und Menschenrechtsaktivisten möglich. Ich möchte, dass all diese Menschen gerettet werden. Wir müssen etwas tun, um ihnen zu helfen. Die Welt muss wissen, dass sie nicht allein sind.
Das Interview wurde von der Charkiwer Menschenrechtsgruppe vorbereitet und von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte übersetzt.

Foto: Kindersuchdienst Magnolie. Olena Jahupowa