Liusiena Zinovkina im Interview

Liusiena Zinovkina ist die Ehefrau des verschleppten ukrainischen Zivilisten Kostiantyn Zinovkin. Während der Veranstaltung Café Kyiv in Berlin am 19. Februar besuchte sie den Stand der IGFM und berichtete über das Schicksal ihres Mannes.

Liusiena Zinovkina ist die Ehefrau des verschleppten ukrainischen Zivilisten Kostiantyn Zinovkin. Während der Veranstaltung Café Kyiv in Berlin am 19. Februar besuchte sie den Stand der IGFM und berichtete über das Schicksal ihres Mannes. Bildquelle: Michael Leh

„Jetzt ist die Spur von Kostia wieder verloren. Ich wiederhole alles von vorne. Ich schreibe wieder Anträge, ich schreibe wieder Appelle, aber im Moment kann ich meinen Mann nicht finden.“

Beim Café Kyiw 2024 interviewt die IGFM die Ukrainerin Liusiena Zinovkina zu der Verschleppung und Inhaftierung ihres Mannes. Sie berichtet von ihren Versuchen seine Freilassung zu erreichen und was die Ukraine bisher unternimmt, um Zivilgefangene aus Russland in ihre Heimat zurückzubringen. Obwohl die junge Frau dadurch enormen psychischen Druck durchlebt, äußert sie sich zur Zukunft hoffnungsvoll.

Interview vom 19.02.2024

IGFM:
Guten Tag! Wie heißen Sie und von wem möchten Sie uns heute erzählen?

Liusiena Zinovkina:
Mein Name ist Liusiena Zinovkina und heute möchte ich die Geschichte meines Mannes erzählen, der sich jetzt in einer Strafkolonie in der Russischen Föderation befindet.

Der Einmarsch der Russen war am 24. Februar. Wie und wo haben Sie das erlebt?

Zu Beginn der Invasion waren wir in verschiedenen Städten. Ich war in Kyjiw, Kostia war in Melitopol. Melitopol wurde sehr schnell, in nur zwei Tagen besetzt. Die russischen Truppen waren dort. Und wir haben mit meinem Mann entschieden, dass es keinen Sinn hat, dass ich in die Besatzung gehe. Und er konnte nicht gehen, weil seine alte Mutter und seine alte Großmutter noch dort waren. Wir haben beschlossen, dass ich fliehen muss, denn damals gab es Straßenkämpfe in Kyjiw. So bin ich nach Deutschland gegangen und Kostia blieb in Melitopol in der Besatzung.

Erzählen Sie uns von Kostia vor der Gefangenschaft: Wer war er?

Kostiantyn ist von Beruf Ingenieur. Obwohl er Ingenieur ist, war er auch ein sehr guter Tänzer, und so haben wir mehrere Jahre im Ausland als Tänzer gearbeitet. Wir verdienten Geld, weil Kostia einen Traum hatte – eine eigene Werkstatt. Und wir sammelten Geld, um alles zu organisieren, damit er seine eigene Werkstatt eröffnen konnte. Und das haben wir geschafft. Wir verdienten genug,um all seine Maschinen zu kaufen, und Reparaturen durchzuführen. Aber leider wurde die Werkstatt nach Kostias Verhaftung komplett geplündert und von allem, was wir verdient und gemacht haben, ist leider nichts mehr da.

Liusiena Zinovkina. Bildquelle: Michael Leh

Kostiantyn Zinovkin

Wann und unter welchen Umständen wurde Ihr Mann vom russischen Militär entführt?

Mein Mann ist am 12. Mai 2023 entführt worden. Er verließ morgens das Haus und kam einfach nicht zurück. Stattdessen kamen drei Männer zu uns nach Hause. Sie haben sich nicht ausgewiesen. Sie sagten Kostias Mutter, dass sie ihn wegen Verletzung der Ausgangssperre festhalten würden und sagten: „Keine Sorge, wir werden die Sache klären und ihn gehen lassen“. Aber seit 10 Monaten ist er immer noch weg.

Haben Sie versucht, Kostia selbst zu finden?

Ja, natürlich. Wir haben die Suche nach Kostia in zwei Fronten aufgeteilt. Denn seine Mutter blieb in Melitopol. Sie ging zur Polizei, der Kommandantur, der russischen Garde, und sie fragte überall: „Haben sie Kostia?“ Aber überall bekam ich die Antwort: „Wir haben ihn nicht, warum kommen Sie hierher? Wir verhaften keine Zivilisten“ usw. Dann habe ich angefangen, Anfragen an Russland zu schicken, zum Beispiel an das Verteidigungsministerium, an Moskalkowa, an die LVR, an die DVR, an die Krim. Im August erhielt ich eine Antwort vom Ombudsmann der Krim, dass meine Anfrage angenommen und weitergeleitet wurde. Später erhielt ich eine Antwort von der Staatsanwaltschaft Melitopol. Mir wurde gesagt, dass mein Mann des Terrorismus beschuldigt wird und ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet wurde und er sich nun in der SIZO im Dorf Tschongar befindet. Das ist die Region Cherson, in der Nähe der Krim. Und seine Mutter wiederum konnte nach Chongar fahren. Sie hatte die Möglichkeit, ihm die Lebensmitteln zu senden. Jetzt ist die Spur von Kostia wieder verloren. Ich wiederhole alles von vorne. Ich schreibe wieder Anträge, ich schreibe wieder Appelle, aber im Moment kann ich meinen Mann nicht finden.

Gibt es derzeit in der Ukraine einen Mechanismus für die Rückführung von Zivilgefangenen aus Russland?

Das ist in der Tat eine sehr schwierige und wichtige Frage, denn alle Kriegsgesetze und die Genfer Konvention verbieten die Gefangennahme von Zivilisten, und wenn wir von Austausch und Verhandlungen hören, geht es eher um Kriegsgefangene. Ende 2022 wurde in der Ukraine eine Änderung des 257. Beschlusses des Ministerkabinetts angekündigt. Es ging um die Schaffung einer separaten Stelle, die sich mit zivilen Kriegsgefangenen befassen und der Koordinierungsstelle unterstellt werden sollte. Bis heute sind jedoch keine endgültigen Änderungen vorgenommen worden und diese Stelle existiert nicht. Daher sollten die Zivilisten ohne Austausch freigelassen werden. Aber sie werden nicht freigelassen. Es ist also ein Teufelskreis.

Wie gehen Sie mit diesem Trauma um? Bieten die ukrainischen Behörden Hilfe an, die den Angehörigen von Zivilgefangenen hilft, dieses Trauma zu verarbeiten?

Ich persönlich befinde mich in einer therapeutischen Behandlung. Ich gehe einmal in der Woche zu meinem Psychologen, der mir irgendwie hilft, die psychische, physische und moralische Last zu tragen, aber ich unterziehe mich der Therapie aus eigenem Antrieb. Ja, ich gebe mein Geld für meine Gesundheit aus, aber ich weiß, dass es in der Ukraine Organisationen gibt, die kostenlos psychologische Hilfe für Angehörige und Familien anbieten. Zum Beispiel leistet das Rote Kreuz in der Ukraine solche Hilfe, und es gibt noch einige andere Organisationen, die das tun, aber leider kann ich mich im Moment nicht an ihre Namen erinnern.

Was sind Ihre Hoffnungen?

Ich hoffe, dass ich dieses Jahr meinen Mann sehen werde und dass wir uns hier treffen können, in der Stadt in der ich jetzt bin. Ich weiß nicht, wie das möglich ist, mit all den Einschränkungen, die es gibt, aber ich glaube, dass es einen Austausch geben wird, dass alles, was wir tun, alles, was unsere Behörden tun, was die Angehörigen der Zivilgefangenen tun, dass unsere Stimmen endlich gehört werden und dass die internationale Gemeinschaft reagiert und es endlich einen Mechanismus geben wird, der uns hilft, unsere Angehörigen nach Hause zu bringen. Ich habe mir gesagt: „2024 werde ich Kostia unbedingt sehen“.

Vielen Dank für das Gespräch!

Ich danke auch Ihnen!

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