Interview Ensaf Haidar

Rebecca Schönenbach, Nevşin Mengü, Ensaf Haidar, Wazhma Tokhi und Anne Brasseur (v.l.n.r.) beim Raif Badawi Talk auf der Frankfurter Buchmesse. Bildquelle: IGFM.
Raif Badawi Talk – IGFM-Interview mit Ensaf Haidar
Frankfurt am Main, 23. Oktober 2023 – Der Raif-Badawi-Talk 2023 fand unter dem sehr passenden Titel „Women. Press. Freedom.“ statt. In der diesjährigen Podiumsdiskussion, die im Rahmen der 75. Frankfurter Buchmesse am 21. Oktober 2023 stattfand, kamen bekannte Journalistinnen aus Afghanistan und der Türkei zu Wort und diskutierten über die Herausforderungen, mit denen sie sich und ihre Kolleginnen und Kollegen weltweit konfrontiert sehen. Die von der Friedrich-Naumann-Stiftung und dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels initiierte Veranstaltung ist Teil des Engagements der Stiftung zur Unterstützung unabhängiger Journalisten und des Rechts auf freie Meinungsäußerung weltweit.

Die Journalistinnen Wazhma Tokhi und Nevşin Mengü mit Moderatorin Rebecca Schönenbach (v.l.n.r) während der Podiumsdiskussion. Bildquelle: IGFM.
Ein besonderer Gast war Ensaf Haidar, die Ehefrau des Namensgebers des Talks, Raif Badawi. Zwei IGFM-Praktikantinnen waren vor Ort und sprachen mit ihr anschließend über ihren Mann sowie über die Unterstützung im Kampf für Meinungsfreiheit. Der saudi-arabische Aktivist Raif Badawi wurde aufgrund seines Internet-Blogs, auf dem er über Politik und Religion in seiner Heimat schrieb, unter anderem zu zehn Jahren Haft verurteilt. Aktuell hat er seine Haftstrafe zwar verbüßt, unterliegt aber einem zehnjährigem Ausreiseverbot, was ihn weiterhin daran hindert, seine Frau und Kinder, die in Kanada im Exil leben, zu sehen.
IGFM:
Guten Abend, Frau Haidar. Zuerst einmal vielen Dank für Ihre Bereitschaft, dieses Interview mit uns durchzuführen. Ganz besonders interessiert uns zu Beginn: Wie geht es Raif?Ensaf Haidar:
Wie es ihm geht, ist tatsächlich die schwierigste Frage, die es für mich zu beantworten gilt. Denn ja, Raif ist „frei“ gelassen worden. Er kann seinen Tag so anordnen, wie er möchte. Er kann sein Telefon zurückhaben, er kann schlafen, wenn er möchte, rausgehen, wenn er möchte. Aber das ist trotzdem nicht die volle Freiheit. Es gibt immer noch sehr viele Dinge, die ihm vorenthalten sind.Er kann zum Beispiel nicht zu seinen Kindern. Unsere Älteste ist 20, unser Sohn ist 19, unsere Jüngste ist schon 16. Er hat die Kinder nicht aufwachsen sehen und das ist sehr belastend – für uns alle. Er spricht nicht darüber, obwohl es ihn belastet, weil er Angst davor hat dann zusammenzubrechen. Aber es ist sehr schwer, es ist schwer für mich zu ertragen und es ist auch schwer erträglich für ihn.

Im Mai 2021 startete die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) die Gefängnispost-Initiative VERY IMPORTANT STAMPS. Das Portrait für Raif Badawi erstellte der namhafte Künstler Andreas Preis. Die Briefmarke war im IGFM-Webshop bestellbar.
IGFM:
Viele Menschen haben die Forderung für Raifs Freilassung unterstützt. Was ist Ihre Nachricht an sie?Ensaf Haidar:
Vielen herzlichen Dank von tiefstem Herzen an alle, die damals und immer noch an Raif erinnern und an ihn denken. Die Friedrich Naumann Stiftung hat uns ja seit 2015 und bis heute unterstützt und wir erinnern jedes Jahr an seinen Namen.Vielen, vielen Dank an dieser Stelle und bitte: Vergesst ihn nicht. Jetzt ist er zwar „frei“, aber er ist noch nicht tatsächlich frei und wir haben noch einen langen Weg vor uns. Ich glaube, er wird erst dann frei sein, wenn er, ich und die Kinder wieder zusammenleben können.

Ensaf Haidar auf der Bühne beim Raif Badawi Talk 2023. Bildquelle: IGFM.
IGFM:
Sind Sie der Meinung, seine Unterstützer sollten sich auch weiter für Menschenrechte in Saudi-Arabien einsetzen?Ensaf Haidar:
Ja, der Kampf für Meinungsfreiheit hört ja nicht auf. Jeder, der daran glaubt, dass es einem Menschen zusteht, seine Meinung frei zu äußern, wird auch weitermachen. Das ist eine Pflicht.IGFM:
Das war es schon mit dem Interview. Vielen Dank, Frau Haidar, dass Sie das Interview mit uns geführt haben. Wir wünschen Ihnen und Ihrer Familie alles Gute.
Belarus, China, Iran, Kuba, Saudi-Arabien, Türkei und in vielen weiteren Ländern – weltweit sitzen Systemkritiker, Menschenrechtler und Künstler im Gefängnis – nicht selten ohne ein beweisbares Vergehen, ohne Anklage oder die Möglichkeit, sich zu verteidigen.
Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) mit Sitz in Frankfurt am Main ist eine der ältesten Menschenrechtsorganisationen Deutschlands. Durch zahlreiche Aktionen und Kampagnen setzt sie sich, neben anderen Menschenrechtsthemen, immer wieder für die Unterstützung von politischen Gefangenen ein.