Prof. Schröter im Interview

Professorin Susanne Schröter äußert sich im Interview zur geschichtlichen und aktuellen Entwicklung der Menschenrechte in islamisch geprägten Ländern und erklärt die Rolle Intellektueller in diesem Rahmen. Auf dem Bild zu sehen ist Prof. Susanne Schröter auf der Tagung „Aufstände gegen Diktaturen". Bild: Privat
„Unterstützen Sie die unterdrückten Intellektuellen"
Den Menschen(rechten) gerecht werden
Dezember 2023 – Interview mit Professorin Susanne Schröter, Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam über den holprigen Weg zur Durchsetzung der Menschenrechte in der Geschichte und Gegenwart islamisch geprägter Länder. Die Fragen stellte Michaela Koller, IGFM-Referentin für Religionsfreiheit
In vielen islamischen Ländern, die Sie untersuchen, wird die Universalität der Menschenrechte geleugnet, insbesondere wenn es um die Gleichberechtigung der Frauen geht. Der Einsatz für Freiheiten und Rechtsstaatlichkeit wird gar als „imperialistisch" gebrandmarkt. Was halten Sie dieser Argumentation entgegen?
Wenn das antikoloniale Argument bedeutet, die Gesellschaften des globalen Südens lehnen allesamt Menschenrechte ab und bevorzugen Verhältnisse, in denen Frauen unterdrückt, Homosexuelle ermordet werden, in denen es weder Demokratie noch Toleranz gibt, sondern eine fundamentalistische Religion mittels einer korruptionsanfälligen religiösen Elite über das Wohl und Wehe aller Menschen entscheidet, dann wäre das doch traurig. Das würde auch jede Möglichkeit einer postkolonialen Kooperation verschließen. Das wird den Menschen nicht gerecht.
Gibt es auch Ausnahmen?
In Afghanistan haben die Taliban extrem viel Zuspruch. Wir dürfen nicht ignorieren, dass es auch Gesellschaften gibt, die Spielarten des Islams große Begeisterung entgegenbringen, die alles andere als menschenrechtsorientiert sind.
Die Freiheitsrechte sind immer die Rechte einzelner Menschen, wenn sie etwa ihrer Regierung widersprechen. Die gesellschaftliche Akzeptanz einer Führung kann auch zurückgehen und so kann es schließlich zum Umsturz kommen. Sie haben sich intensiv mit der iranischen Geschichte beschäftigt. Wie sind die Islamisten damals an die Macht gekommen?
Der Schah ist von einer breiten Allianz von Kräften gestürzt worden, die politisch sehr unterschiedlich ausgerichtet waren. In der Gesellschaft gab es Kreise, die keinerlei Veränderung wünschten, vor allem nicht in Bezug auf die asymmetrische Geschlechter-Ordnung, bei der die Männer die Frauen kontrollieren und dominieren. Diese Gruppe war stark unter der Landbevölkerung und unter den städtischen Armen vertreten. Der Schah und seine säkulare Elite stellten ihren Reichtum zur Schau und kümmerten sich recht wenig um die Armen, anders aber die Islamisten, die auf diese Weise eine enorme Anhängerschaft rekrutierten. Islamische Kleriker, die auf traditionelle Kreise großen Einfluss hatten, bezeichneten die Reformen des Schahs als unislamische Projekte und die Elite als gottlos. Daraus ergab sich ein Legitimationsproblem. Im Iran gab es sowohl eine islamistische als auch eine kommunistische Front gegen den Schah. Ayatollah Chomeini, der ein charismatischer Mensch war, hat es jedoch recht bald geschafft, wesentliche Teile der Bevölkerung für die Idee einer islamistischen Republik einzubinden. Chomeini begann aber bald mit einer massiven Repression gegen die Linken.
Und dabei waren dem iranischen Volk Vorstellungen von Demokratie, Freiheit und Gleichberechtigung gar nicht fremd…
Der Iran ist eine multikulturelle Gesellschaft. Es gibt zudem eine lange Tradition von demokratischem Engagement in der Gesellschaft, die ins 19. Jahrhundert zurückreicht. In der Zeit finden wir schon erste weibliche Intellektuelle, die sich für Veränderungen stark gemacht haben. Besonders bemerkenswert ist auch die konstitutionelle Revolution von Anfang des 20. Jahrhunderts. Reza Schah Pahlavi erfüllte viele Forderungen der Frauenbewegung, führte die Schulpflicht ein, eröffnete Schulen, insbesondere für Mädchen, die Berufe ergreifen durften. Er gründete die Universität von Teheran und ermöglichte auch dort jungen Frauen den Zugang. Nachdem Frauen, die sich entschleierten, in der Öffentlichkeit körperlich angegriffen wurden, verbot der Schah diese Verhüllung. Er schuf Ansätze eines modernen Gesundheitswesens und einer modernen Infrastruktur. All das führte aus einer religiös begründeten Rückständigkeit heraus und fand zu einer Zeit statt, als es auch im Westen nicht gut um die Demokratie stand. Auch in Europa sind etwa Frauenrechtlerinnen im Gefängnis gelandet. Die Befreiungsbewegungen begannen in Orient und Okzident zur gleichen Zeit, und in einigen islamischen Ländern vollzog sich die Entwicklung durch säkulare Herrscher sogar rapider. Dazu zählen auch Reza Schah und Mohammed Reza Schah.

Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi, die für ihren mutige Verteidigung der Menschenrechte inhaftiert ist.
Nun sind es gerade die mutigen Frauen, die das System mit seiner asymmetrischen Geschlechterordnung, wie Sie es bezeichnet haben, zum Erodieren bringen. Die Benachteiligung der Frauen stellt einen Grundpfeiler dieser Diktatur dar. Warum haben wir nicht schon früher solch ein Aufbegehren wie seit dem Tod von Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam sehen können?
Erste Proteste bald nach der Revolution gegen den Verschleierungszwang, den Chomeini eingeführt hatte, wurden mit äußerster Gewalt niedergeschlagen. Diese Frauen hatten damals noch keine Chance. Es gab auch gläubige muslimische Frauen, die hofften, in diesem islamischen Staat Gerechtigkeit erfahren zu können. Sie hatten durchaus auch Reformideen wie die Gleichberechtigung im Namen des Islam, mit denen sie in die Politik gingen. Dabei mussten sie regelmäßig erleben, dass sie ausgebremst wurden, was zu einer großen Enttäuschung unter diesen progressiven Islamistinnen führte. Sie waren nicht bereit, sich in ein vormodernes Geschlechterverhältnis einzuordnen. Ich erinnere an die Grüne Bewegung nach der iranischen Präsidentschaftswahl 2009, bei der viele hofften, durch den Sieg eines Reformkandidaten langsam die streng religiöse Islamische Republik zu überwinden.
Welche Perspektive sehen Sie für die Zukunft des Iran?
Der große gesellschaftliche Einfluss des schiitischen Klerus ist nun nicht mehr vorhanden. Selbst die religiösen Eliten agieren dort nicht einheitlich. Es gibt auch Kleriker, die völlig entpolitisiert sind. Nach mehr als 40 Jahren Islamischer Republik und brutalen Reaktionen auf Widerspruch ist der Zauber verflogen, auch in den armen Schichten. Selbst die Händler, lange Zeit die Basis des Systems, haben während der jüngsten Proteste ihre Läden geschlossen, um durch Boykott dazu beizutragen, dass diese Repression aufhört. Die religiöse Begeisterung hat sehr stark abgenommen, gerade unter jungen Leuten. Wir beobachten seit Jahren regelmäßig im gesamten Iran – auch in der Provinz – Aktionen des zivilen Widerstands gegen Angehörige des Regimes. Die islamistische Führung hat ihre Legitimation verloren und hält sich nur noch mit Gewalt an der Macht. Dazu setzen sie die Revolutionsgarden ein, deren Angehörige vom Regime profitieren und mit einem Umsturz sehr viel verlieren würden, weil sie die Wirtschaft kontrollieren. Aber auch in deren Reihen bröckelt bereits die Zustimmung zur Diktatur. Diejenigen, die als Aktivisten oder Wissenschaftler sich quasi täglich mit der Entwicklung auseinandersetzen, sehen auf lange Sicht keine Zukunft für das Regime, da es von innen ausgehöhlt ist. Der entscheidende Nachteil der Oppositionsbewegung ist, dass sie nicht organisiert ist und sie eher eine anarchische Struktur aufweist.
Was würde das für das internationale Gefüge bedeuten?
Das hätte enorme Auswirkungen auf die gesamte islamische Welt, auf die Beziehungen zum Westen und auch zu Israel. Der Schah war israelfreundlich. Das änderte Chomeini sogleich nach der Revolution und stellte die Vernichtung des jüdischen Staates auf die Agenda. Aus diesem Grund ist die Hisbollah aufgebaut worden und wird die Hamas unterstützt; deshalb gibt es schiitische Milizen im Irak und in Syrien, mit dem Ziel, Israel eines Tages den Todesstoß zu versetzen. Wenn ein neuer Iran entstehen würde, wird dieser vermutlich nicht mehr so israelfeindlich sein wie das jetzige Regime. Unter den Demonstranten sieht man öfters auch Protestierende, die die israelische Fahne zeigen.

Frau Professor Schröter, Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam
Sie beschäftigen sich mit weiteren Emanzipationsprozessen in der islamischen Welt. Viele Menschen, die für Demokratie und Menschenrechte eintreten, setzten 2010/2011 zunächst große Hoffnungen in den sogenannten „Arabischen Frühling", wurden jedoch bitter enttäuscht…
Die Rebellion wurde auch durch wirtschaftliche Probleme ausgelöst, nicht nur durch politische Repression. In der Geschichte war es letztendlich in den nordafrikanischen Ländern nicht anders als im Iran. Es gab semi-säkulare Herrscher, die ein Modernisierungsprogramm vorangetrieben haben, das auch Frauenrechte stark förderte. Tunesien war in dieser Hinsicht besonders vorbildlich für die arabische Welt. Habib Bourguiba, erster Präsident der 1957 ausgerufenen Republik Tunesien, orientierte sich sehr am Modell des Laizismus und stand daher in einem Spannungsverhältnis zu den frommen Teilen der Bevölkerung.
Bourguiba löste die sehr vermögenden religiösen Stiftungen auf, überführte ihr Kapital in die Staatskasse, säkularisierte das Justizsystem und löste die Scharia-Gerichte auf. Er etablierte ein säkulares Bildungssystem, reduzierte die Koranschulen und stellte die verbliebenen unter staatliche Aufsicht. Bereits 1956 wurde in Tunesien das fortschrittlichste Personenstandsrecht in der arabischen Welt eingeführt. Tunesische Frauen durften berufstätig werden, ein Bankkonto eröffnen, selbständig reisen und Unternehmen gründen. Die Zivilehe wurde eingeführt, die islamisch gerechtfertigte Verstoßung der Frau unter Strafe gestellt und das Heiratsalter angehoben.
Seine Gegenspieler und die seines Nachfolgers Ben Ali waren stets die Islamisten, ähnlich wie im Iran, in Syrien, im Irak oder Afghanistan. Im Jahr 1988 wurde dort die Ennahda gegründet. Aus den ersten freien Wahlen 2011 ging sie als stärkste Kraft hervor. Sie hielt am alten Projekt eines islamischen Staates fest, wenn auch mit Kompromissen angesichts einer starken säkularen städtischen Bevölkerung und aus Angst vor einem Putsch wie in Ägypten, um die alte Ordnung wiederherzustellen. Das wurde mir durch ein Interview mit Parteichef Rached al-Ghannoushi bestätigt.
Politiker wie al-Ghannoushi betonen ja gerne, dass sie sich als Demokraten sehen. Wie sieht es denn mit der Vereinbarkeit ihrer politischen Vorstellungen mit den Menschenrechten aus?
Sie wollen eigentlich nur, dass Gottes Gesetz auf Erden Recht wird. Menschenrechte spielen da gar keine Rolle. Obwohl sie wesentliche globale Menschenrechtspakte wie die UN-Frauenrechtskonvention unterzeichnet hatten, entsandten die Mitgliedsstaaten der Organisation der Islamischen Konferenz Vertreter im Jahr 1990 und formulierten eine eigene Erklärung zu den Menschenrechten im Islam. Die sogenannte Kairoer Erklärung annulliert alle Menschenrechte, weil sie sie unter den unbedingten Scharia-Vorbehalt stellt. Die Scharia ist nun nicht kodifiziert, aber in der Regel wird sich stark am Koran und den Sprüchen des Propheten Mohammed orientiert, denen zufolge der Mensch zunächst einmal Gottes Befehlen gehorchen muss. Nicht-Muslime haben demnach definitiv nicht die gleiche Würde und die gleichen Rechte wie Muslime.
Was empfehlen Sie, um in islamischen Ländern für die Verwirklichung der Menschenrechte zu werben?
Überall in der islamischen Welt gibt es Intellektuelle, die absolut zu den Menschenrechten stehen, unterdrückt werden und die man unterstützen sollte. In einigen Ländern, in denen wir es nicht erwarten würden, ist die junge Bevölkerung nicht mehr bereit, unter dem Diktat der Religion zu leben und kritisiert offen die religiöse Elite.
Weitere Interviews von und mit uns




