Am 10. Mai 2007 beschloss der Deutsche Bundestag die “Verurteilung des Systems der Laogai-Lager in China” und nahm damit den Antrag an. (Foto von Wolfgang Pehlemann, Quelle: Wikipedia)

Verurteilung des Systems der Laogai-Lager in China durch den Bundestag

Am 10. Mai 2007 beschloss der Deutsche Bundestag die “Verurteilung des Systems der Laogai-Lager in China” mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis90/Die Grünen gegen die Stimmen der Linken. Die Abgeordneten nahmen damit den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, Bündnis90/Die Grünen vom 7. März 2007 an und folgten damit der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe des Bundestages (Drucksache 16/5146). Die IGFM dokumentiert im Folgenden den angenommenen Antrag, die Beschlussempfehlung, den Bericht der Abgeordneten und die Aussprache im Bundestag. (Quelle: Deutscher Bundestag, 16. Wahlperiode, Drucksache 16/4559 vom 07.03.2007)

Antrag für die Verurteilung des Systems der Laogai-Lager in China

Antrag
der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für die Verurteilung des Systems der Laogai-Lager in China
Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Eines der berüchtigtsten Unterdrückungsinstrumente eines totalitären Staates gegen seine eigene Bevölkerung in der Geschichte war das sowjetische “Gulag”-System von Straf- und Verbannungslagern, welches in der Stalinzeit seinen schrecklichen Höhepunkt erreichte. Im Westen erlangten die Gräuel, die in diesen Lagern begangen wurden, insbesondere durch das Werk “Der Archipel Gulag” des Literatur-Nobelpreisträgers Alexander Solschenizyn Bekanntheit.

Während das sowjetische Gulag-System der Vergangenheit angehört, besteht in der Volksrepublik China ein ähnliches Unterdrückungsinstrument fort. Dort werden politische Dissidenten ebenso mit dem so genannten Laogai-System drangsaliert wie Menschen, die wegen allgemeiner, nicht selten auch kleiner Delikte verurteilt sind. Betroffen sind aber auch Angehörige ethnischer Minderheiten wie Tibeter, Mongolen und Uighuren sowie Angehörige religiöser Minderheiten, insbesondere auch Falun-Gong-Anhänger. In über 1 000 Gefängnissen, Arbeitslagern und angeblichen psychiatrischen Kliniken, die ihren Ursprung in der Mao-Zeit haben, werden Andersdenkende ohne rechtsstaatliches Verfahren inhaftiert und “politisch umerzogen”. Die Zahl der Inhaftierten beträgt nach offiziellen Angaben 200 000. Nichtregierungsorganisationen gehen jedoch von einer weit höheren Zahl aus.

Neben politischer Gehirnwäsche werden die Gefangenen zu harter unentgeltlicher Arbeit gezwungen, bis zu 16 Stunden täglich, 7 Tage die Woche, bei nur 3 bis 4 Feiertagen im Jahr. Die Arbeit wird von den Häftlingen, zu denen auch Minderjährige zählen, in Fabriken, Landwirtschaftsbetrieben und Minen verrichtet. Neben dem Verstoß gegen das Verbot der Zwangsarbeit kommt es dabei auch systematisch zum Verstoß gegen das Verbot der Kinderarbeit. Die Haft- und Arbeitsbedingungen sind dramatisch. Häftlinge werden zum Umgang mit toxischen Chemikalien ohne Schutzbekleidung oder zur Arbeit in mit Asbest verseuchten Minen gezwungen, in denen die Sicherheitsvorkehrungen unzureichend sind. In den Lagern existiert keinerlei Arbeitsschutz.

Die Häftlinge werden auf unterschiedlichste Art gefoltert. Ihr Tod infolge von Unterernährung, Überarbeitung, Erschöpfung und Folter wird billigend in Kauf genommen. Zudem herrscht eine hohe Selbstmordrate unter den Häftlingen.

Zahlreiche im Ausland lebende ehemalige Laogai-Häftlinge versuchen immer wieder, im Westen über die Zustände in diesen Lagern aufzuklären (z. B. Laogai Research Foundation). Auch der UN-Sonderberichterstatter gegen Folter, Prof. Manfred Nowak, wies nach seiner China-Reise in einem Bericht vom Dezember 2005 auf die menschenunwürdigen Haftbedingungen in chinesischen Laogai-Lagern hin.
Die in den Laogai-Lagern begangenen Repressalien sind so gut dokumentiert, dass der US-Kongress am 16. Dezember 2005 mit 413 zu 1 Stimmen eine Resolution (H. Con. Res. 294) verabschiedete, die die unmenschlichen Lagerzustände verurteilt. Auch wenn Deutschland an konstruktiven Beziehungen mit der Volksrepublik China interessiert ist, darf die Bundesregierung zu den Zuständen in den Laogai-Lagern nicht schweigen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

1. die Zustände in den Laogai-Lagern weiterhin zu verurteilen, die Volksrepublik China zur Schließung der Einrichtungen aufzufordern und das Laogai-System im Rahmen des deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialogs sowie des EU-China-Menschenrechtsdialogs weiterhin zur Sprache zu bringen;

2. die Regierung der Volksrepublik China weiterhin um die Freigabe von Informationen über das Laogai-System zu ersuchen, einschließlich der exakten Zahl der Lager, deren genauer Lage und der Zahl der dort inhaftierten Personen;

3. die Regierung der Volksrepublik China um Informationen über die in den Laogai-Lagern hergestellten Produkte, die zugehörigen Produktbezeichnungen sowie über deren Exportländer zu ersuchen;

4. in Zusammenarbeit mit geeigneten Multiplikatoren (beispielsweise den Auslandshandelskammern) deutsche Unternehmen, die in China tätig sind, auf die Möglichkeit hinzuweisen, dass sie mit chinesischen Geschäftspartnern zusammenarbeiten, hinter denen sich Laogai-Einrichtungen verbergen;

5. sich auf EU-Ebene in Zusammenarbeit mit geeigneten Einrichtungen der Privatwirtschaft für die Schaffung eines freiwilligen Gütesiegels für jene chinesischen Produkte einzusetzen, welche keine in Laogai-Lagern hergestellten Komponenten enthalten, und auch im Rahmen des Global Compact für ein Vorgehen gegen die Verbreitung von in Laogai-Lagern hergestellten Produkten einzutreten;

6. die Regierung der Volksrepublik China weiterhin um die Freigabe von Informationen über die Zahl der Todesfälle in den Laogai-Lagern zu ersuchen;

7. die Regierung der Volksrepublik China weiterhin dazu zu drängen, uneingeschränkt Besuche der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, der UN-Sonderberichterstatter und von Mitarbeitern des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes in allen Laogai-Lagern zuzulassen;

8. im UN-Menschenrechtsrat darauf hinzuwirken, dass die Problematik der chinesischen Laogai-Lager in diesem Gremium umfassend thematisiert wird.

Berlin, den 7. März 2007
Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion Dr. Peter Struck und Fraktion Dr. Guido Westerwelle und Fraktion Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Zum Antrag für die Verurteilung des Systems der Laogai-Lager in China im pdf-Format, 59kB

Beschlussempfehlung und Bericht

des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss)
(Quelle: Deutscher Bundestag Drucksache 16/5146, 16. Wahlperiode 26. 04. 2007)

a) zu dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 16/4559 –

Für die Verurteilung des Systems der Laogai-Lager in China
b) zu dem Antrag der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen,
Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
– Drucksache 16/855 –

Für die Verurteilung des Systems der Laogai-Lager in China

A. Problem
Zu Buchstabe a
In dem gemeinsamen Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern die Fraktionen die Bundesregierung auf, die Zustände in den Laogai-Lagern in der Volksrepublik (VR) China weiterhin zu verurteilen und die VR China zur Schließung der Einrichtungen aufzufordern. Die Bundesregierung soll das Laogai-System im Rahmen des deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialogs sowie des EU-China-Menschenrechtsdialogs weiterhin zur Sprache bringen. Die Bundesregierung soll die VR China weiterhin um die Freigabe von Informationen über das Laogai-System ersuchen, einschließlich der exakten Zahl der Lager, deren genaue Lage und der Zahl der dort inhaftierten Personen. Darüber hinaus soll die Bundesregierung von der chinesischen Regierung Informationen ersuchen, über die in den Laogai-Lagern hergestellten Produkte, die zugehörigen Produktbezeichnungen sowie über deren Exportländer. Im VN-Menschenrechtsrat soll die Regierung darauf hinwirken, dass die Problematik der Laogai-Lager in diesem Gremium umfassend thematisiert wird.

Zu Buchstabe b
In dem Antrag der Fraktion der FDP fordert diese, dass die Bundesregierung die Zustände in den Laogai-Lagern öffentlich verurteilt, die VR China zur Schließung der Einrichtungen auffordert und sich auf europäischer Ebene für eine Verurteilung des Laogai-Systems einsetzt. Die Regierung der VR China soll um die Freigabe von Informationen über das Laogai-System ersucht werden und darauf gedrängt werden, uneingeschränkte Besuche von internationalen Menschenrechtsinspektoren zuzulassen.

B. Lösung
a) Annahme des Antrags auf Drucksache 16/4559 mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und DIE LINKE. bei Abwesenheit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

b) Erledigterklärung des Antrags auf Drucksache 16/855 mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und DIE LINKE. bei Abwesenheit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

C. Alternativen
Keine

D. Kosten
Keine

Beschlussempfehlung
Der Bundestag wolle beschließen, a) den Antrag auf Drucksache 16/4559 anzunehmen, b) den Antrag auf Drucksache 16/855 für erledigt zu erklären.
Berlin, den 28. März 2007
Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Dr. Herta Däubler-Gmelin Vorsitzende
Holger Haibach, Berichterstatter
Christoph Strässer, Berichterstatter
Florian Toncar, Berichterstatter
Michael Leutert, Berichterstatter
Volker Beck (Köln), Berichterstatter

Bericht der Abgeordneten

Bericht der Abgeordneten Holger Haibach, Christoph Strässer, Florian Toncar, Michael Leutert und Volker Beck (Köln)

I. Überweisung und Mitberatung

Der Antrag auf Drucksache 16/4559 wurde in der 85. Sitzung des Deutschen Bundestages am 8. März 2007 dem Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zur federführenden Beratung sowie dem Auswärtigen Ausschuss, dem Rechtsausschuss und dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie zur Mitberatung überwiesen.Der Antrag auf Drucksache 16/855 wurde in der 36. Sitzung des Deutschen Bundestages am 19. Mai 2006 dem Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zur federführenden Beratung sowie dem Auswärtigen Ausschuss und dem Ausschuss für Wirtschaft und Technologie zur Mitberatung überwiesen.

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage

In dem gemeinsamen Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern die Fraktionen die Bundesregierung auf, die Zustände in den Laogai-Lagern in der VR China weiterhin zu verurteilen und die VR China zur Schließung der Einrichtungen aufzufordern. Die Bundesregierung soll das Laogai-System im Rahmen des deutschchinesischen Rechtsstaatsdialogs sowie des EU-China-Menschenrechtsdialogs weiterhin zur Sprache bringen. Die Bundesregierung soll die VR China weiterhin um die Freigabe von Informationen über das Laogai-System ersuchen, einschließlich der exakten Zahl der Lager, deren genaue Lage und der Zahl der dort inhaftierten Personen. Darüber hinaus soll die Bundesregierung von der chinesischen Regierung Informationen ersuchen, über die in den Laogai-Lagern hergestellten Produkte, die zugehörigen Produktbezeichnungen sowie über deren Exportländer. Im VN-Menschenrechtsrat soll die Regierung darauf hinwirken, dass die Problematik der Laogai-Lager in diesem Gremium umfassend thematisiert wird.

Die Bundesregierung wird ferner aufgefordert, in Zusammenarbeit mit geeigneten Multiplikatoren deutsche Unternehmen, die in China tätig sind, auf die Möglichkeit hinzuweisen, dass sie mit chinesischen Geschäftspartnern zusammenarbeiten, hinter denen sich Laogai-Einrichtungen verbergen. Zudem soll die Bundesregierung sich auf EU-Ebene in Zusammenarbeit mit geeigneten Einrichtungen der Privatwirtschaft für die Schaffung eines freiwilligen Gütesiegels für jene chinesischen Produkte einsetzen, welche keine in Laogai-Lagern hergestellten Komponenten enthalten und auch im Rahmen des global compact für ein Vorgehen gegen die Verbreitung von in Laogai-Lagern hergestellten Produkten eintreten. Die chinesische Regierung soll ferner um die Freigabe von Informationen über die Zahl der Todesfälle in den Laogai-Lagern ersucht und darauf gedrängt werden, uneingeschränkte Besuche der VN-Hochkommissarin für Menschenrechte, der VN-Sonderberichterstatter und von Mitarbeitern des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes in allen Laogai-Lagern zuzulassen.

In ihrem Antrag legen die Fraktionen dar, dass in dem „Laogai“-System politische Dissidenten ebenso wie Menschen, die wegen allgemeiner, nicht selten auch kleiner Delikte verurteilt seien, drangsaliert würden. Betroffen seien aber auch Angehörige ethnischer Minderheiten wie Tibeter, Mongolen und Uighuren sowie Angehörige religiöser Minderheiten, insbesondere auch Falun-Gong-Anhänger. In über 1 000 Gefängnissen, Arbeitslagern und angeblichen psychiatrischen Kliniken würden Andersdenkende ohne rechtstaatliches Verfahren inhaftiert und „politisch umerzogen“. Die Zahl der Inhaftierten betrage nach offiziellen Angaben 200 000. Nichtregierungsorganisationen gingen aber von einer weit höheren Zahl aus. Die Haft- und Arbeitsbedingungen, so der Antrag weiter, seien dramatisch. In den Lagern existiere keinerlei Arbeitsschutz und die Häftlinge würden auf unterschiedlichste Art gefoltert.

Der Antrag der Fraktion der FDP ist in dem gemeinsamen Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weitestgehend aufgegangen. Über den gemeinsamen Antrag hinaus fordert die Fraktion der FDP in ihrem Antrag, dass die Bundesregierung die Zustände in den Laogai-Lagern öffentlich verurteilt und sich auch auf europäischer Ebene für eine Verurteilung des Laogai-Systems einsetzt. Die Regierung der VR China soll zudem dazu gedrängt werden, uneingeschränkte Besuche von internationalen Menschenrechtsinspektoren zuzulassen.

III. Stellungnahme der mitberatenden Ausschüsse

Zu Buchstabe a
Der Auswärtige Ausschuss hat den Antrag 16/4559 in seiner 38. Sitzung am 28. März 2007 beraten und einstimmig die Annahme empfohlen.
Der Rechtsausschuss hat den Antrag 16/4559 in seiner 55. Sitzung am 28. März 2007 beraten und mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE. die Annahme empfohlen.

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie hat den Antrag 16/4559 in seiner 33. Sitzung am 28. März 2007 beraten und mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE. die Annahme empfohlen.

Zu Buchstabe b
Der Auswärtige Ausschuss hat den Antrag 16/855 in seiner
38. Sitzung am 28. März 2007 beraten und einstimmig empfohlen, den Antrag für erledigt zu erklären.

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie hat den Antrag 16/855 in seiner 33. Sitzung am 28. März 2007 beraten und mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE. empfohlen, den Antrag für erledigt zu erklären.

IV. Beratung im federführenden Ausschuss

Der Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe hat die Anträge in seiner 32. Sitzung am 28. März 2007 beraten.

Die Fraktion der FDP bedankte sich für die sehr gute Zusammenarbeit mit den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Vorfeld dieser Entscheidung. Die Fraktion der FDP habe ja ihren Antrag zuvor eingebracht und durch die Zusammenarbeit sei man nun zu einer gemeinsamen Fassung gelangt. Dies sei sehr wichtig und für die Sache der Menschenrechte sehr gut. In dem Antrag werde ein Missstand sehr deutlich angesprochen, ohne dass man China pauschal an den Pranger stellen wolle. Es gebe sehr wohl auch Chancen, Entwicklungen und gute Perspektiven in diesem Land. Aber die Existenz des Laogai-Systems müsse angesprochen werden. Es sei wichtig, dass man dies einvernehmlich, mit großer Mehrheit und sehr deutlich tue. Bestimmte Dinge könnten noch auf eine zukünftige Entwicklung geschoben werden, aber elementare Menschenrechte, wie gerade auch das Recht von Strafgefangenen auf menschenwürdige Behandlung und richterliche Beschlüsse, müssten schon jetzt erwartet werden können. Und auch das Thema „Umerziehung“ von Andersdenkenden durch Haft, so die Fraktion der FDP, sei so dringend, dass man es jetzt ansprechen und einfordern müsse und nicht darauf vertrauen dürfe, dass es in zehn oder 20 Jahren eine Besserung gebe. Da man den gemeinsamen Antrag nun habe, erkläre die Fraktion der FDP sich einverstanden damit, ihren ursprünglichen Antrag für erledigt zu erklären.

Die Fraktion der CDU/CSU schloss sich den Ausführungen an und begrüßte ebenfalls, dass man sich so unkompliziert habe zusammentun können, um diesen gemeinsamen Antrag zu erarbeiten. Das Thema sei sehr wichtig. Man werde versuchen, dass die Debatte über diesen gemeinsamen Antrag im Plenum noch in der Woche vor dem EU-China-Menschenrechtsdialog stattfinden werde. Deshalb sei dies der richtige Zeitpunkt, um als Deutscher Bundestag ein Zeichen zu setzen. Wenn man thematisch so dicht beieinander liege, solle man auch bei anderen Dingen versuchen, möglichst interfraktionelle Einigkeit zu erzielen.

Die Fraktion der SPD betonte, sie halte es für sehr wichtig, dass man sich in diesem Punkt auf einen interfraktionellen Antrag verständigt habe. Dadurch könne man den Eindruck vermeiden, dass einzelne Fraktionen ein „China bashing“ betrieben. Die Situation in den Lagern in China müsse weiter aufmerksam verfolgt werden. Man gehe davon aus, dass bei der Delegationsreise des Ausschusses nach China im Herbst 2007 noch einmal vor Ort dieses Thema aufgegriffen werde. Man wolle diese Diskussion rational führen, auch wenn die chinesische Seite bereits sehr aufgeregt reagiert habe. Klar gemacht werden müsse, dass es einzig und allein um die Menschen gehe, die in diesen Lagern leben.

Die Fraktion DIE LINKE. stimmte dem Anliegen des Antrags ebenfalls zu und erklärte, auch aus ihrer Sicht dürfe man Menschen nicht aus Gründen der Umerziehung in einem Lager halten. Kritisch anzumerken sei aber, dass bei der Formulierung des Antrags die Fraktion DIE LINKE. wieder einmal bewusst ausgegrenzt worden sei. Deshalb wolle man das demokratische Verständnis der anderen Parteien hinterfragen. Man hoffe, dass sich die anderen Fraktionen bei zukünftigen Anträgen, wo es Gemeinsamkeiten gebe, anders verhalten würden.

Als Ergebnis der Beratungen hat der Ausschuss empfohlen,
a) mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und DIE LINKE. bei Abwesenheit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Antrag auf Drucksache 16/4559 anzunehmen,
b) mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und DIE LINKE. bei Abwesenheit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den Antrag auf Drucksache 16/855 für erledigt zu erklären.

Berlin, den 28. März 2007
Holger Haibach, Berichterstatter
Christoph Strässer, Berichterstatter
Michael Leutert, Berichterstatter
Volker Beck (Köln), Berichterstatter
Florian Toncar, Berichterstatter

Zum Bericht der Abgeordneten im pdf-Format, 73kB 

II. Wesentlicher Inhalt der Vorlage

In dem gemeinsamen Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern die Fraktionen die Bundesregierung auf, die Zustände in den Laogai-Lagern in der VR China weiterhin zu verurteilen und die VR China zur Schließung der Einrichtungen aufzufordern. Die Bundesregierung soll das Laogai-System im Rahmen des deutschchinesischen Rechtsstaatsdialogs sowie des EU-China-Menschenrechtsdialogs weiterhin zur Sprache bringen. Die Bundesregierung soll die VR China weiterhin um die Freigabe von Informationen über das Laogai-System ersuchen, einschließlich der exakten Zahl der Lager, deren genaue Lage und der Zahl der dort inhaftierten Personen. Darüber hinaus soll die Bundesregierung von der chinesischen Regierung Informationen ersuchen, über die in den Laogai-Lagern hergestellten Produkte, die zugehörigen Produktbezeichnungen sowie über deren Exportländer. Im VN-Menschenrechtsrat soll die Regierung darauf hinwirken, dass die Problematik der Laogai-Lager in diesem Gremium umfassend thematisiert wird.

Die Bundesregierung wird ferner aufgefordert, in Zusammenarbeit mit geeigneten Multiplikatoren deutsche Unternehmen, die in China tätig sind, auf die Möglichkeit hinzuweisen, dass sie mit chinesischen Geschäftspartnern zusammenarbeiten, hinter denen sich Laogai-Einrichtungen verbergen. Zudem soll die Bundesregierung sich auf EU-Ebene in Zusammenarbeit mit geeigneten Einrichtungen der Privatwirtschaft für die Schaffung eines freiwilligen Gütesiegels für jene chinesischen Produkte einsetzen, welche keine in Laogai-Lagern hergestellten Komponenten enthalten und auch im Rahmen des global compact für ein Vorgehen gegen die Verbreitung von in Laogai-Lagern hergestellten Produkten eintreten. Die chinesische Regierung soll ferner um die Freigabe von Informationen über die Zahl der Todesfälle in den Laogai-Lagern ersucht und darauf gedrängt werden, uneingeschränkte Besuche der VN-Hochkommissarin für Menschenrechte, der VN-Sonderberichterstatter und von Mitarbeitern des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes in allen Laogai-Lagern zuzulassen.

In ihrem Antrag legen die Fraktionen dar, dass in dem „Laogai“-System politische Dissidenten ebenso wie Menschen, die wegen allgemeiner, nicht selten auch kleiner Delikte verurteilt seien, drangsaliert würden. Betroffen seien aber auch Angehörige ethnischer Minderheiten wie Tibeter, Mongolen und Uighuren sowie Angehörige religiöser Minderheiten, insbesondere auch Falun-Gong-Anhänger. In über 1 000 Gefängnissen, Arbeitslagern und angeblichen psychiatrischen Kliniken würden Andersdenkende ohne rechtstaatliches Verfahren inhaftiert und „politisch umerzogen“. Die Zahl der Inhaftierten betrage nach offiziellen Angaben 200 000. Nichtregierungsorganisationen gingen aber von einer weit höheren Zahl aus. Die Haft- und Arbeitsbedingungen, so der Antrag weiter, seien dramatisch. In den Lagern existiere keinerlei Arbeitsschutz und die Häftlinge würden auf unterschiedlichste Art gefoltert.

Der Antrag der Fraktion der FDP ist in dem gemeinsamen Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weitestgehend aufgegangen. Über den gemeinsamen Antrag hinaus fordert die Fraktion der FDP in ihrem Antrag, dass die Bundesregierung die Zustände in den Laogai-Lagern öffentlich verurteilt und sich auch auf europäischer Ebene für eine Verurteilung des Laogai-Systems einsetzt. Die Regierung der VR China soll zudem dazu gedrängt werden, uneingeschränkte Besuche von internationalen Menschenrechtsinspektoren zuzulassen.

 

Protokoll der Bundestagsdebatte zur Verurteilung des Laogai-Systems in China

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2007

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss)
– zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN
Für die Verurteilung des Systems der Laogai-Lager in China
– zu dem Antrag der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Werner Hoyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Für die Verurteilung des Systems der Laogai-Lager in China
-Drucksachen 16/4559, 16/855, 16/5146-
Berichterstattung: Abgeordnete Holger Haibach Christoph Strässer Florian Toncar Michael Leutert Volker Beck (Köln)

Es ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Christoph Strässer für die SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD) Christoph Strässer (SPD):

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Die wirtschaftliche und politische Entwicklung in China vollzieht sich in einer beeindruckenden Geschwindigkeit. China ist in jeder Hinsicht zu einem Global Player geworden. Die Volksrepublik ist heute ein wichtiger Akteur und Partner mit Verantwortung in der internationalen Politik und in unserer globalisierten Wirtschaft. Ein Land mit dieser Bedeutung steht natürlich auch im besonderen Fokus der Weltöffentlichkeit und hat auch besondere Aufmerksamkeit verdient. Dies meine ich zunächst durchaus in positivem und anerkennendem Sinne. Doch diese Aufmerksamkeit muss alle Bereiche in der gesellschaftlichen Entwicklung in diesem großen Land gleichermaßen betreffen. Wir wollen mit diesem Antrag die Bereiche, in denen diese Entwicklung noch nicht das Tempo erreicht hat, das erforderlich wäre, konkret beleuchten. Wir wollen dabei keine Bereiche aussparen. Ich denke, China ist sich dessen bewusst und sollte dies auch akzeptieren.

Die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und der Volksrepublik China sind in ihrer Geschichte selten besser gewesen als heute. Wir haben ein Interesse daran, das Verhältnis so zu gestalten, dass es stark und belastbar genug ist, dass auch kritische Fragen thematisiert werden können. Es geht uns dabei um eine konstruktive bilaterale Zusammenarbeit, auch und gerade in Fragen der Menschenrechte. Wir wollen diese Diskussion rational führen. Es geht uns nicht um eine pauschale Verurteilung, und wir tun dies auch nicht mit dem erhobenen Zeigefinger. Es geht um ganz konkrete Missstände, die wir in unserem Antrag benennen und die zum Wohl der Menschen einer Veränderung bedürfen.

Lassen Sie mich Folgendes an dieser Stelle mit der gebotenen Nüchternheit sagen: Die Auseinandersetzung mit gravierendsten Menschenrechtsverletzungen, wo auch immer auf dieser Welt sie geschehen, ist eine Notwendigkeit in allen nationalen Parlamenten. Sie ist eine Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen, und sie ist – darüber sind wir schon lange hinweg – keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes, sondern eine Erfüllung international geltender Normen. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Das Europäische Parlament hat vor zwei Wochen in Straßburg den Jahresbericht 2006 zur Menschenrechtslage in der Welt und zur Menschenrechtspolitik in der Europäischen Union verabschiedet. Darin heißt es – dem stimme ich uneingeschränkt zu -, dass der Menschenrechtsdialog auf dieser Ebene mit der Volksrepublik China fortgesetzt werden muss; Themen wie “Zwangsarbeit, Meinungs- und Religionsfreiheit, die Rechte religiöser und ethnischer Minderheiten und das Lagersystem Laogai sollten im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008 in Peking verstärkt ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden”.

In der kommenden Woche findet der nächste EU-China-Menschenrechtsdialog in Berlin unter der deutschen Ratspräsidentschaft statt. Deshalb war das Ansinnen der chinesischen Botschaft, das zu überdenken und eine Beschlussfassung auszusetzen, nicht wirklich zielführend. Wir wollen, dass diese Position des Deutschen Bundestages bei der Führung des nächsten Menschenrechtsdialoges Bestandteil der Verhandlungen ist. Ich glaube, das ist die richtige Antwort auf all das, was uns hier in diesen Tagen vorgehalten wird. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In den letzten Jahren – das verkennt keiner bei uns – ist in China durchaus ein Fortschritt bei wirtschaftlichen und kulturellen Rechten zu beobachten. Bei der Umsetzung der individuellen Freiheits- und Menschenrechte ist aber noch ein ganz großer Rückstand aufzuholen. Gerade bei Reformen im Justizwesen, vor allem im Bereich des Strafrechts, herrscht akuter Nachholbedarf.

Trotz wiederholter Forderungen aus dem In- und Ausland, das System der Laogai-Lager abzuschaffen, wird diese Form der Straf- und Arbeitslager weiter im großen Maßstab genutzt. Dieses Straflagersystem wurde erstmals 1957 flächendeckend eingesetzt. Seit Jahrzehnten und noch heute wird das System harter Arbeit als Umerziehungsmethode für Systemabweichler jeder Art, für Kleinkriminelle, für Angehörige von Religionsgemeinschaften, für Homosexuelle und für politische Kritiker genutzt. Es kam zu willkürlichen Verhaftungen von Wanderarbeitern, Obdachlosen und unterprivilegierten Bevölkerungsgruppen.

Ohne rechtsstaatliche Verfahren werden die Betroffenen inhaftiert und “politisch umerzogen”. Umerziehung durch Arbeit – Lao Jiao – heißt eine Form der Administrativhaft, durch die politische Dissidenten als “antisozialistische” und “parteifeindliche Elemente” ohne gerichtliche Überprüfung bis zu vier Jahren in solche Arbeitslager verbracht werden können. Die Entscheidungen werden von Komitees aus Vertretern der lokalen Verwaltung und der Büros für öffentliche Sicherheit getroffen.

Die Haft- und Arbeitsbedingungen sind katastrophal. Körperliche und psychische Demütigung und Folter sind nicht selten. Die Vorschriften zur Verhängung der Haft sind nur teilweise öffentlich einsehbar, und ihre Formulierungen sind oftmals derart vage und vieldeutig, dass sie einer eigenmächtigen Auslegung Tür und Tor öffnen.

Nach offiziellen Angaben der chinesischen Behörden sitzen circa 220 000 Menschen in solchen Umerziehungslagern ein. Schätzungen von Amnesty International und anderen Menschenrechtsorganisationen gehen allerdings von einer vielfach höheren Zahl inhaftierter Menschen aus. Wegen der restriktiven Informationspolitik der Regierung ist es schwierig, zu sagen, wie viele Umerziehungslager es tatsächlich in jeder Provinz gibt. Eine, wie ich finde, legitime Forderung in unserem Antrag ist deshalb, die Regierung der Volksrepublik China aufzufordern, die genaue Zahl und die genaue Lage dieser Lager anzugeben und Besuche internationaler Beobachter zu gestatten. Der Kollege Haibach wird eine Delegation unseres Ausschusses im Herbst in die Volksrepublik China anführen. Wir werden darauf bestehen, dass wir Zugang zu einem solchen Lager haben. Ich glaube, auch das gehört zur Vertrauensbildung in der internationalen Gemeinschaft. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist an der Zeit, diesem menschenrechtswidrigen System ein Ende zu setzen. Ein solches Unrechtsregime verhindert die weitere Entwicklung Chinas zu einem freiheitlichen, toleranten und demokratischen Rechtsstaat. Das System der Arbeitslager muss deshalb mittelfristig abgeschafft werden, und kurzfristig müssen die Lebens- und Arbeitsbedingungen in diesen Lagern spürbar verbessert werden.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen – wie wir es auch in den Dialogen tun -, an China zu appellieren, den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, der von China bereits 1998 gezeichnet wurde, endlich zu ratifizieren. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich möchte auch daran erinnern, dass die Volksrepublik als Mitgliedstaat der ILO, der Internationalen Arbeitsorganisation der UNO, Konventionen über die Rechte von Arbeitern und Arbeitsbedingungen unterzeichnet hat. Die chinesischen Behörden haben den Willen bekundet, das System der Administrativhaft umzugestalten. Wir spüren auch in den Dialogen, die wir führen, dass eine entsprechende Bereitschaft zur Veränderung des Strafrechts- und des Verwaltungsrechtssystems durchaus besteht. Wir sind sehr gespannt darauf, ob die Ankündigungen auf der jüngsten Tagung des Nationalen Volkskongresses, dass in China eine Reform der Administrativhaft eingeführt wird und im Jahr 2008 Geltung erlangt, Wirklichkeit werden. Angesichts der bisherigen Ankündigungen und ihrer Folgen muss ich allerdings sagen: Ich habe meine Zweifel. Aber ich denke, wir sollten an dieser Stelle weiterarbeiten.

Meine Damen und Herren, die Theorie ist die eine Seite der Medaille, die Praxis die andere. Neben den Bekundungen der Regierung bleibt das Problem der Implementierung und bleiben die Schwierigkeiten bei der Kontrolle der Umsetzung bestehen. Insbesondere die Menschen auf dem Land haben unter der Willkür der lokalen Bürokratien und der Parteisekretäre zu leiden, die es zu kontrollieren gilt. Daneben berichten Amnesty International und Human Rights Watch, dass im Vorfeld der Olympischen Spiele im Sommer 2008 die Anwendung der Administrativhaft, des Systems der Umerziehung durch Arbeit durch Behörden genehmigt wird, um Peking einerseits von Landstreichern, Kleinkriminellen und politisch Andersdenkenden “zu befreien” und andererseits öffentliche gerichtliche Verfahren zu umgehen.

Wir alle freuen uns auf die Olympischen Spiele. Sie mögen ein beeindruckendes Fest des Friedens und der Völkerverständigung werden. Aber oft genug sind große Sportveranstaltungen schon zu Propagandazwecken missbraucht worden. Deshalb ist es im Vorfeld dieses Events die Verpflichtung aller, insbesondere von Politik und Sport, nicht die Augen vor den Geschehnissen in diesem Land zu verschließen, sondern dieses Ereignis und die damit verbundene Aufmerksamkeit zu nutzen, um auf eine deutliche Verbesserung der Menschenrechtssituation in der Volksrepublik China hinzuwirken.
Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Florian Toncar spricht jetzt für die FDP.

Florian Toncar (FDP):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das, was hier gerade stattfindet, ist eine menschenrechtliche Sensation. So hat es jedenfalls die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte in einer Meldung vom Dienstag dieser Woche bezeichnet. Auch ich möchte meiner Freude darüber Ausdruck verleihen, dass es möglich war, den Antrag, den die FDP im letzten Jahr eingebracht hat, als Grundlage zur Erarbeitung eines fraktionsübergreifenden gemeinsamen Antrages zu verwenden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Im Wesentlichen sind es drei Punkte, die wir an den sogenannten Laogai-Lagern zu kritisieren haben. Der erste Aspekt betrifft das Prinzip der Administrativhaft:dass eine lokale Behörde und nicht etwa ein Richter anordnen darf, dass ein Mensch bis zu vier Jahre lang festgehalten wird. Das ist ein klarer Verstoß gegen Art. 9 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte. Wie berechtigt die Kritik, die in Europa an der Administrativhaft geäußert wird, ist, zeigt sich daran, dass die Administrativhaft für die chinesische Legislative eines der zentralen Reformprojekte der nächsten Jahre darstellt. Wir können davon, wie ich glaube, keine Abschaffung dieser Lager erwarten. Aber das macht deutlich, dass die Notwendigkeit einer Reform bzw. die Notwendigkeit, dieses System zu überprüfen, selbst in China erkannt wird. Daher glaube ich, dass unsere Kritik gar nicht so falsch sein kann. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Zweiter Punkt. Die Arbeitsbedingungen in den Laogai-Lagern sind menschenunwürdig. Zwangsarbeit darf es nicht geben. Das gilt auch für Gefangene. Überall auf der Welt haben Menschen ein Anrecht darauf, dass ihre Arbeitskraft nicht ausgebeutet wird, indem sie gezwungen werden, bis zu 16 Stunden am Tag zu arbeiten, ohne auch nur einen freien Tag im Jahr zu haben. So etwas dürfen wir nicht akzeptieren.

Dritter Punkt. Die Laogai-Lager werden im Gegensatz zu manch anderen Gefängnissen als Instrument des politischen Kampfes genutzt. Dieses System richtet sich nicht nur gegen Kleinkriminelle, sondern auch gegen sogenannte asoziale Elemente. Dazu gehören ausdrücklich auch die Gruppe der politischen Dissidenten, der sogenannten antisozialistischen oder parteifernen Elemente, und religiöse Minderheiten wie Falun Gong.

Von den Häftlingen, die in diesen Lagern untergebracht sind, ging keine Gefahr für das chinesische Recht aus. Diese Menschen haben keine Straftaten wie Diebstahl oder Körperverletzung begangen. Sie sollen schlicht und ergreifend aufgrund ihrer Weltanschauung oder Religion unterdrückt oder umerzogen werden. Dieser Aspekt macht deutlich, warum die Laogai-Lager ein ganz besonders berüchtigtes und schlimmes System darstellen, das abgeschafft werden muss. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist keine Frage der Zeit, bis die Laogai-Lager der Vergangenheit angehören, sondern es ist eine Frage des politischen Willens. Es stimmt, dass sich im Zuge einer zunehmend positiven Entwicklung eines Landes auch die Situation im Bereich der Menschenrechte von allein verbessert. Aber es gibt Menschenrechte, die so elementar sind, dass wir sie nicht einfach der Entwicklung des Landes überlassen und sie zehn Jahre lang ignorieren können. Wenn es um die Einhaltung elementarer Menschenrechte geht, muss eine Verbesserung sofort eintreten. Daher müssen wir sie heute einfordern. Das tun wir mit unserer heutigen Initiative.

Ein Punkt, der mir noch besonders wichtig ist: Wir sollten alles dafür tun, zu vermeiden, dass in den Laogai-Lagern hergestellte Produkte auch auf den deutschen Markt kommen. Ich bin mir sicher, dass unsere heimischen Verbraucher selber solche Produkte nicht wollen. Kontrollen von Zollbehörden können die Herkunft eines solchen Produktes zwar manchmal, aber oft eben auch nicht aufdecken, zumal wenn es sich nur um Komponenten, um einzelne kleine Teile von importierten Produkten handelt. Wer soll das herausfinden? Wie soll man das erkennen? Deswegen ist es wichtig, dass wir auf die Hersteller und die Importeure zugehen, dass wir sie motivieren, sich genau darüber zu informieren, wo sie ihre Komponenten beziehen, mit wem sie auf chinesischer Seite zusammenarbeiten und ob sich nicht vielleicht doch auch eine Laogai-Einrichtung hinter einer gewöhnlichen Fabrik verbirgt.

Beispielhaft möchte ich – weil es wirklich ein gutes Beispiel ist – eine Initiative der deutschen Spielwarenindustrie nennen. Die hat in den letzten Monaten über den Branchenverband eine Liste von 125 deutschen Spielwarenherstellern erstellt. Da fehlt praktisch keiner von denen, die man kennt. Diese Hersteller haben sich verpflichtet – es sind viele, die auch in China produzieren -, sich darüber zu informieren, ob alle Spielwaren unter menschrechtskonformen Bedingungen hergestellt worden sind. Ich glaube, was die deutsche Spielwarenindustrie geschafft hat, das können auch andere Branchen. Ich halte diese Initiative ausdrücklich für vorbildlich und nachahmenswert. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich halte es für nötig, dass wir uns auch mit der chinesischen Seite über dieses Thema auseinandersetzen, und zwar auch außerhalb der institutionalisierten Menschenrechtsdialoge, die stattfinden. Deswegen finde ich es zunächst einmal richtig, dass wir auf unsere Initiative auch von chinesischer Seite eine Reaktion bekommen. Die Frage ist nur, ob man mit einer “Kaltfront” oder mit einer sehr pauschalen, schnellen Drohung hinsichtlich der Qualität der Beziehungen in der Sache unbedingt weiterkommt.

Die Chinesen haben jedes Recht der Welt, ihre Meinung zu unserem Antrag zu äußern. Aber sie täten auch gut daran, uns zu ermöglichen, beispielsweise diese Lager zu sehen. Es ist doch bezeichnend, dass es entgegen aller internationalen Übung, entgegen sämtlichen Standards nicht gelingt, die UN-Sonderberichterstatter in diese Lager zu lassen, dass es nicht gelingt, das Rote Kreuz in diese Lager zu lassen. Ein allererster Beitrag dafür, dass man sich auch mit der chinesischen Seite sachlich über dieses Thema auseinandersetzen könnte, wäre die Schaffung von Transparenz. Lassen Sie uns diese Lager besichtigen! Lassen Sie uns ein Urteil vor Ort fällen! Dann können wir mit der chinesischen Seite objektiver über die Situation in diesen Lagern diskutieren. Die pauschale Drohung hinsichtlich der Qualität der Beziehungen hilft mit Sicherheit nicht weiter.

Einen Erfolg – ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin – hat unsere Initiative mit Sicherheit schon jetzt gehabt: Sie hat dafür gesorgt, dass ein in Europa bisher kaum bekanntes Thema auf die Tagesordnung gekommen ist und dass es im öffentlichen Bewusstsein ist. Vielleicht ist das ein Beitrag – neben dem, was wir im Antrag verlangen -, dass die Laogai-Lager schon bald der Vergangenheit angehören werden. (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt die Kollegin Erika Steinbach.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Erika Steinbach (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! “China droht dem Bundestag mit Kaltfront” titelt heute die “Tageszeitung”. Der Deutsche Bundestag lässt sich nicht drohen, von niemandem. Wir sind auch Anwalt von Menschen, die in ihren Ländern keinen Anwalt haben. Menschenrechte bedürfen des Anwaltes. Der Deutsche Bundestag nimmt diese Themen auf, ob sie China oder andere Länder betreffen. Das mag letzten Endes auch China akzeptieren. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Genauso wie die russischen Gulags längst zum Inbegriff für … systematische Menschenverachtung geworden sind, sollte auch das chinesische Wort Laogai in jedes Wörterbuch aufgenommen werden. Das ist ein Zitat von Harry Wu, dem Vorsitzenden der Laogai-Stiftung und vielen von Ihnen als sehr engagierter Kämpfer gegen das chinesische Laogai-Zwangsarbeitersystem bekannt. Von ihm wissen wir sehr viel. Sein Wunsch hat sich inzwischen erfüllt. Der Duden hat den Begriff Laogai mittlerweile in seinen Wortschatz aufgenommen. Ich wünsche mir allerdings, dass dieses Wort eines Tages wieder daraus verschwinden kann, nämlich dann, wenn der Schrecken, den es bezeichnet, auf dem Schutthaufen der Geschichte gelandet sein wird, wo er hingehört.

19 Jahre hat der Katholik Harry Wu als sogenannter rechter Abweichler in einem der chinesischen Laogai-Lager eingesessen. Er selbst bezeichnet diese Lager als ein “ausgeklügeltes System für die physische, geistige und psychische Vernichtung eines Menschen”. In der Tat handelt es sich derzeit um das weltweit größte System von Umerziehungs- und Arbeitslagern – eine moderne Form der Sklaverei. Bis zu 50 Millionen Menschen, so schätzt man, haben seit der Einführung des Laogai-Systems unter Mao Zedong ihr Leben in diesen Lagern gefristet.

Unabhängige Schätzungen gehen davon aus, dass gegenwärtig 4 bis 6 Millionen Chinesen – die Zahl ist nicht genau bekannt, aber wir wollen das irgendwann auch einmal wissen – in bis zu 1 000 Lagern einsitzen. Dazu gehören politisch Inhaftierte genauso wie Angehörige von ethnischen oder religiösen Minderheiten wie Tibeter, Mongolen, Uiguren und Falun-Gong-Praktizierende; aber auch Drogensüchtige und Homosexuelle werden oft jahrelang in Lagerhaft genommen.

Das chinesische Strafgesetzbuch sieht vor, dass jeder arbeitsfähige, rechtskräftig verurteilte Verbrecher eine – wie es da heißt – Reform durch Arbeit durchlaufen soll. Nicht alle Laogai-Insassen sind jedoch nach rechtsstaatlichen Verfahren – selbst nach chinesischen Maßstäben von Rechtsstaatlichkeit, die der unseren durchaus nicht entspricht – bzw. Verfahren, die in China für rechtsstaatlich gehalten werden, verurteilt worden. Die sogenannte Administrativhaft macht es möglich, dass missliebige Personen einfach so per Polizeiverfügung bis zu drei Jahre eingesperrt werden können. Davon wird in der Praxis sehr rege Gebrauch gemacht. Die Betroffenen haben dann überhaupt kein Recht auf Verteidigung oder Berufung. Nicht selten werden Aussagen, die durch Folter erpresst wurden, als Geständnis deklariert.

Die Lager – das wurde auch schon deutlich – sind an Fabriken, Minen oder Farmen angeschlossen. Hier werden die Häftlinge bis zu 18 Stunden täglich zur unentgeltlichen Arbeit gezwungen. Wer das Arbeitspensum nicht schafft, dem droht dann auch noch Nahrungsentzug mit der Folge, dass er noch schlechter arbeiten kann.

Die Lebensbedingungen in diesen Lagern sind menschenverachtend. Misshandlungen, Mangelernährung, auch sexueller Missbrauch sind dort trauriger Alltag. Angewandte Foltermethoden sind seit jeher aus kommunistischen und anderen Lagersystemen bekannt, nämlich Hiebe, Schlafentzug, Stromschläge oder psychische Folter. All das kennen wir aus anderen Lagersystemen. Neben Zwangsarbeit ist Gehirnwäsche, die sogenannte Gedankenreform – man muss sich das Wort Gedankenreform einmal vorstellen -, eine zweite Komponente des Laogai-Systems. Die Lagerinsassen müssen ihre realen oder auch vermeintlichen Missetaten gestehen, Selbstkritik üben und schließlich Reue zeigen. Ziel ist es, ihren Willen zu brechen und ihre Selbstachtung zu untergraben, um sie so zu treuen Anhängern des Sozialismus chinesischer Prägung umzuerziehen.

Ein besonders schockierender Auswuchs dieses Systems hat uns in den letzten Monaten immer wieder beschäftigt, nämlich ein blühender Organhandel. Es ist längst kein Geheimnis mehr, dass toten Häftlingen Organe entnommen und diese gewinnbringend für Transplantationszwecke weiterverkauft werden. Dies alles geschieht laut offizieller chinesischer Lesart mit der angeblich freiwilligen Zustimmung der Gefangenen bzw. deren Familienangehörigen. In einem solchen Lagersystem muss allerdings jede angeblich freiwillig abgegebene Erklärung als höchst fragwürdig betrachtet werden. Ich traue dem Ganzen nicht über den Weg. Besonders erschütternd sind Berichte, die man immer wieder einmal hört, über Tötungen ausschließlich zum Zwecke der Organentnahme. Dabei sollen durch zuvor stattfindende Reihenuntersuchungen geeignete Personen identifiziert werden, die dann erst bei Bedarf getötet werden.

Die chinesische Regierung hat inzwischen angekündigt – das ist immerhin ein Fortschritt -, den illegalen Handel mit Organen gesetzlich zu unterbinden. Die Gesetzesänderung ist offensichtlich eine Reaktion auf den anhaltenden internationalen Druck von Politikern und Menschenrechtsorganisationen. Das macht auch deutlich, wie wichtig es ist, dass wir im Bundestag über diese Themen sprechen. Organentnahme ohne Einwilligung des Spenders soll nunmehr strafrechtlich verfolgt werden. Das wäre schon ein Schritt in die richtige Richtung. Ob jetzt nur Papier beschrieben wurde oder sich die Praxis tatsächlich ändert, wird sich zeigen.

Geschäfte werden jedoch nicht nur mit den Organen der Häftlinge gemacht, sondern auch mit ihrer kostenlosen Arbeitskraft. Was die Aufklärungsarbeit erschwert, ist ein mangelnder Überblick unsererseits über Produktionsstätten und Produktionsmethoden. Daher ist es nicht ganz einfach, nachzuvollziehen, welche Produkte tatsächlich aus Zwangsarbeiterlagern kommen. China verweigert – mit ganz wenigen Ausnahmen – internationalen Delegationen regelmäßig einen Besuch in den Lagern. Unsere Ausschussvorsitzende musste das kürzlich selbst erfahren, als sie China besuchte. Vielleicht haben die Kollegen beim nächsten Besuch mehr Erfolg; ich hoffe es sehr. (Holger Haibach [CDU/CSU]: Das hoffen wir auch!)
– Ich drücke die Daumen. Nur der Aufklärungsarbeit von Menschen wie Harry Wu ist es zu verdanken, dass wir etwas Licht in das Dunkel bekommen haben und dass wir immer wieder auf die Menschenrechtsverletzungen hingewiesen worden sind.

Die chinesische Regierung bestreitet offiziell den Export von Laogai-Produkten. De facto werden sie aber in alle Welt exportiert. So werden beispielsweise 20 Prozent der chinesischen Kohleproduktion durch Laogai-Häftlinge gefördert, und es ist zu vermuten, dass ein Drittel des chinesischen Weltmarkttees aus diesen Lagerproduktionen stammt. Mit dem Laogai-System stehen dem chinesischen Regime Millionen von kostenlosen Arbeitskräften für zahllose Produkte zur Verfügung. Damit bekommt die Aussage “Made in China” einen besonders bitteren Beigeschmack.

Allen internationalen Protesten zum Trotz hat China Anfang dieses Jahres angekündigt, die Laogai-Lager und die Administrativhaft nicht abzuschaffen, sondern lediglich zu verbessern. Berichten zufolge wird über eine Umwandlung der Laogai-Lager in ein System von Erziehungsanstalten nachgedacht. Ich halte es für wichtig, dass man sie nicht umbenennt, sondern ganz einfach abschafft, um die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern.

China hat kürzlich angekündigt, dass es auch in Zukunft keine unabhängige Justiz geben wird. Das lässt für die Bekämpfung von Folter nichts Gutes erahnen, da China zwar Fortschritte bei der Gesetzgebung macht, aber bei der Durchsetzung von Recht nach wie vor die Kommunistische Partei die Entscheidung über Urteile fällt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der große Chinese Konfuzius sagte: “Einen Fehler begangen haben und ihn nicht korrigieren: Erst das ist ein Fehler.” – Der chinesische Drache ist ein Symbol für Weisheit. So können wir vielleicht gemeinsam hoffen, dass China seine menschenverachtende Politik in Weisheit endlich korrigiert. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Michael Leutert hat jetzt das Wort für die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)

Michael Leutert (DIE LINKE):

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Auch für uns besteht kein Zweifel, dass dieses Laogai-Lagersystem keiner menschenrechtlichen Betrachtung standhält, dass es verurteilt und abgeschafft gehört.(Beifall bei der LINKEN)

Trotzdem möchte ich auf zwei Punkte des Antrags kritisch eingehen. Der erste Punkt ist, wie ich vermute, ein Lapsus, aber doch etwas zynisch: Den US-Kongress als Kronzeugen der Menschenrechte heranzuziehen, wenn es um ein Lagersystem geht, das wir verurteilen wollen, halte ich nun wirklich für verfehlt und zynisch. (Beifall bei der LINKEN – Peter Bleser [CDU/ CSU]: Das ist eine Unverschämtheit!)

Gerade die USA, die mit Guantánamo ein Lagersystem – das ist ja bekannt – aufgebaut haben! Von den Amerikanern habe ich bis heute noch kein Zeichen, ob ich meine Reise nach Guantánamo antreten darf. Der Botschaftsrat hat uns in Vorbereitung auf unsere Delegationsreise nach China immerhin angekündigt, unser Vorhaben zu unterstützen, dieses Lager zu besuchen. (Peter Bleser [CDU/CSU]: Da vergleichen Sie Äpfel mit Birnen!)

– Diesen Vergleich muss man sich schon gefallen lassen, wenn man die USA im Antrag erwähnt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich bin der Meinung, man sollte das Angebot des Botschaftsrats annehmen und entsprechend handeln.

Punkt zwei; das ist der inhaltlich stärkere Kritikpunkt. Uns geht der Antrag bezüglich der Kritik an der Zwangsarbeit einfach nicht weit genug. In diesem Antrag wird Zwangsarbeit nur mit Blick auf die Laogai-Lager verurteilt. Die Zwangsarbeit bei den “Normalarbeitsverhältnissen” wird nicht angesprochen. Das führt meines Erachtens zu einer Verharmlosung der Situation in der übrigen Arbeitswelt in China.
Ich möchte ein Beispiel nennen. Ich bin erstaunt, dass niemand sonst dieses Beispiel genannt hat. Wir reden im Forderungskatalog von einer Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft. Kollege Toncar, Sie hatten die Spielwarenindustrie angesprochen.
Ich nenne einmal ein anderes Beispiel. Die “taz” titelte am 8. Mai 2007 – es ist also kein alter Bericht -Teuer bezahlte Aldi-Schnäppchen

Darunter heißt es:
Aldi ist der achtgrößte Textilhändler der Republik. Viele Hemden und Hosen kommen aus China, wo die Näherinnen oft sieben Tage die Woche schuften, neben den Fabrikhallen schlafen und weniger als den gesetzlichen Mindestlohn verdienen.
Weiter heißt es:
Morgens um acht haben sie an der Maschine zu sitzen, abends um neun endet ihr Werktag …
Das ist also ein Dreizehnstundentag.
In manchen Fabriken gilt die 7-Tage-Woche …
Um noch eins draufzusetzen:
Wer kündigen will, braucht dafür die Erlaubnis des Arbeitgebers …
Nichts anderes schreiben wir zu dem Laogai-Lagersystem. Es gibt dort eine Siebentagewoche, einen Sech-zehnstundentag; die Leute sind eingesperrt und Repressalien ausgesetzt. Wenn man seinen Arbeitgeber fragen muss, ob man kündigen darf, ist man natürlich ebenso eingesperrt. Wenn dazu kein Satz in diesem Antrag steht, ist das für mich natürlich ein Problem. Das zeigt uns doch zumindest eines: Mit reiner Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft ist es nicht getan. Es muss hier eine Verpflichtung her und nicht nur eine Selbstverpflichtung. (Beifall bei der LINKEN)

Letzter Punkt. Ich freue mich, dass es bei der CDU/ CSU einen Erkenntnisgewinn gibt. Denn Sie können den Antrag nur dann mit einreichen, wenn Sie Ihr Motto “Sozial ist, was Arbeit schafft”, das Sie einmal aufgestellt haben, korrigieren. (Unruhe bei der CDU/CSU)

Denn dieses Beispiel dürfte uns zeigen – die Internationale Arbeitsorganisation und die entsprechenden Normen sind angesprochen worden -: Sozial ist Arbeit nur, wenn sie unter humanen Bedingungen und für einen gerechten Lohn geleistet wird.
Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN – Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Einfach nur peinlich!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Jetzt spricht Thilo Hoppe für das Bündnis 90/ Die Grünen.

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Leutert, Sie vermischen da ganz verschiedene Themen, die alle gesondert diskutiert werden müssten. Natürlich müssen wir Debatten über notwendige ökologische und soziale Mindeststandards sowie über Freihandels- und Sonderwirtschaftszonen führen.

Aber dies mit der jetzigen Debatte zu vermengen, halte ich für völlig unangebracht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Denn das, was in den Laogai-Lagern geschieht, ist noch einmal zehn Nummern schärfer und kann mit prekären Arbeitsverhältnissen in anderen Bereichen nicht verglichen werden.
Auch zu Guantánamo gab es kritische Worte aus vielen Fraktionen. Aber es geht heute um die Laogai-Lager. Darauf sollten wir uns konzentrieren und gemeinschaftlich und fraktionsübergreifend einen scharfen Protest zum Ausdruck bringen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Die chinesische Wirtschaft boomt. Fast 20 Prozent des Außenhandels der Volksrepublik werden mit den EU-Ländern getätigt, und Deutschland ist auf Platz fünf im Außenhandelsranking. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers forderte kurz nach seiner Chinareise, den Handel mit China kräftig zu erweitern. Das ist legitim. Aber wir müssen viel stärker der Frage nachgehen, was denn der Hintergrund von den vielen Billigimporten aus China ist und unter welchen Bedingungen sie produziert wurden. Das ist die Kehrseite der verlockenden Geiz-ist-geil-Angebote.

Leider ist es noch immer so, dass die Boomwirtschaft China sich sehr wenig um soziale Mindeststandards und Menschenrechte kümmert. Billigprodukte sind oft deshalb so billig, weil sie aus den Laogai-Arbeitslagern kommen. Der geringe Preis kommt dadurch zustande, dass der Faktor Arbeit in diesen Lagern nichts kostet. Die Menschen – es sind mindestens zwei Millionen -werden unter unsäglichen Bedingungen ausgebeutet; das ist schon von vielen Rednerinnen und Rednern vor mir gesagt worden, und ich muss es nicht wiederholen. Es gibt Demütigungen – vereinzelt auch Folter -, und Menschen werden auf eine unmenschliche Art und Weise ausgebeutet.

Die Laogai Research Foundation schätzt, dass seit der Regierungszeit von Mao Zedong 40 Millionen bis 50 Millionen Menschen in diesen Arbeitslagern umgekommen sind. Kein Wunder also, dass die chinesische Botschaft viel unternommen hat, um die Debatte, die wir heute führen, zu unterbinden. Die Aussage der chinesischen Botschaft, die Umerziehung durch Arbeit sei ein legitimes Mittel, um die innere Sicherheit zu gewährleisten, klingt zynisch und muss nicht weiter kommentiert werden. Ein chinesisches Sprichwort sagt, frei übersetzt: “Wenn Du nicht willst, dass Dein Handeln jemand erfährt, dann handele einfach nicht so.”

Wir erkennen an, dass es im Menschenrechtsdialog mit China in einzelnen Sektoren Fortschritte gibt. Die chinesische Regierung muss aber aushalten, dass hier auch über die Schattenseiten, über die prekären Verhältnisse offen und schonungslos debattiert wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Sie muss aushalten, dass wir Menschenrechte und Wirtschaftsfragen nicht miteinander aufwiegen. Die Drohungen, die im Vorfeld dieser Debatte ausgestoßen wurden,haben mich doch mehr als irritiert. Frau Kollegin Steinbach hat darauf hingewiesen, dass uns sehr erschreckende Meldungen über illegale Organentnahmen bei Menschen, die hingerichtet wurden oder hingerichtet werden sollen, erreicht haben. Es gibt auch Berichte von einem ehemaligen kanadischen Staatssekretär und von einem Menschenrechtsanwalt, dass auch Falun-Gong-Anhänger Opfer dieser illegalen Organentnahmen geworden sind. Die Berichte, die wir gehört haben, klingen schier unglaublich. Der Wahrheitsgehalt dieser Berichte kann so schnell nicht verifiziert werden, aber wir bitten die Bundesregierung, diesen Vorwürfen, diesen Anschuldigungen sehr sorgsam und gründlich nachzugehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Wir müssen auch bei der Ausbildung von Medizinern aufpassen – es gibt ja eine deutsch-chinesische Kooperation auf diesem Gebiet -, dass wir nicht unbewusst zu Komplizen bei der illegalen Organentnahme werden. Das wäre gar nicht auszuhalten. Ich bin sehr froh, dass wir hier weitgehend fraktionsübergreifend die unmenschlichen Bedingungen in den Laogai-Arbeitslagern scharf verurteilen. Wir erwarten jetzt von der Bundesregierung, dass dieser gemeinsame Protest der chinesischen Regierung gegenüber klar und deutlich zum Ausdruck gebracht wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Die Initiative der Spielwarenindustrie wurde von Ihnen, Herr Toncar, schon angesprochen. Wir fordern, dass sich auch andere Sektoren der deutschen Wirtschaft stärker für Transparenz einsetzen und dass sich die Verbraucherschutzverbände dieses Themas annehmen.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Die Konsumentinnen und Konsumenten müssen die Möglichkeit erhalten, die Augen aufzumachen und Produkte aus diesen Arbeitslagern zu boykottieren. Ich danke Ihnen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und von Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel “Für die Verurteilung des Systems der Laogai-Lager in China”. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5146, den Antrag auf Drucksache 16/4559 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und der Fraktionen der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Linken angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/5146 empfiehlt der Ausschuss, den Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/855 mit dem Titel “Für die Verurteilung des Systems der Laogai-Lager in China” für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen.

Zum Protokoll der Bundestagsdebatte im pdf-Format 72kB

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