
Karl Hafen, ehemaliger Geschäftsführer der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM)
Karl Hafen zur Zwangsadoption in der DDR
1976 berichtete die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), dass sich Eltern an die IGFM mit der Bitte um Hilfe gewandt hatten, weil ihnen in der DDR im angeblichen Namen des Kindeswohls, tatsächlich jedoch aus politischen Gründen die Kinder zwangsweise entzogen und zur Adoption freigegeben worden waren. Ein Sturm der Entrüstung war die Folge. Jedoch richtete sich diese Entrüstung nicht nur gegen die DDR-Regierung, sondern über viele Jahre gegen die IGFM. Zu absurd erschien vielen Bürgern, Politikern und Presseleuten in der Bundesrepublik Deutschland, dass man Eltern aus politischen Gründen Kinder wegnehmen könnte.
Die Beteuerungen der DDR-Regierung, dass solche Verbrechen nie und nimmer geschehen wären, führte zum politischen Schluss, dass nicht sein kann, was nicht sein darf: Die Bemühungen der damaligen Bundesregierung waren halbherzig, die des Ministeriums für innerdeutsche Beziehungen kraftlos, unter Minister Egon Franke sogar abweisend. Eltern, die sich wehrten und sich an das Ministerium für innerdeutsche Beziehungen mit der Bitte um Hilfe wandten, bekamen viele Worte, aber keine ausreichende Unterstützung. DDR-Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Vogel, der sich in mehreren Fällen persönlich einschaltete, log im Sinne seines Auftraggebers, verschleppte die Verfahren, und die Unterhändler auf der Seite der Bundesrepublik ließen sich davon blenden.
Aufgrund dieser Dokumentation über Zwangsadoptionen und des stetigen Beharrens der IGFM an die DDR-Regierung, die Menschenrechte einzuhalten und die Beschlüsse von Helsinki umzusetzen sowie alle politischen Gefangenen freizulassen, erklärte Erich Mielke, Minister für Staatssicherheit, die IGFM zum Staatsfeind. Doch „Staatsfeind“ zu sein, hatte Folgen: Dass das Ministerium für Staatssicherheit alle Register zog, um die IGFM als unglaubwürdig hinzustellen, ist angesichts des Vorwurfs nachzuvollziehen. Nicht nachzuvollziehen jedoch ist, dass die westdeutsche Presse ihrer Verpflichtung zur Wahrheit und ordentlicher Recherche nicht nachkam. Im Gegenteil bemühten sich angesehene Teile der Presse, den Nachweis zu führen, dass die Vorwürfe der IGFM absurd und die betroffenen Eltern in Wahrheit Kriminelle waren, denen nicht zu Unrecht die Kinder weggenommen wurden.
Gott sei Dank hat die Staatssicherheit über alles, was sie veranlasst hatte, sehr genau Buch geführt. Und darum lässt sich beweisen, dass Redaktionen sich selbst um Material bemüht haben. So gibt es einen zig-seitigen Vorgang mit dem Titel „Vorschlag zur Lancierung einer Publikation in der BRD-Illustrierten ‚Stern‘ gegen die Hetze der IGFM im Zusammenhang mit Sorgerechtsfragen“, ausgearbeitet von Generalmajor Niebling vom 27. September 1985. Dort steht wörtlich: „Nach Mitteilung der XV A IX/3 bekundete die Redaktion des ‚Stern‘ den Wunsch und die Bereitschaft, durch einen entsprechenden Beitrag den wiederholten Verleumdungen und Verdrehungen im Zusammenhang mit den bekannten Fällen N.N. entgegenzutreten und eine objektive Darstellung zu bringen.“
Dieses Vorhaben mit dem handschriftlichen Randvermerk „ja, alle anderen Maßnahmen zurückstellen“ vom stellvertretenden Minister für Staatssicherheit Rudi Mittig abgesegnet, sah vor: „Dem Stern wird über das MfAA (Journalistische Beziehungen) der neutrale objektive Sachverhalt zur Verfügung gestellt. … Ausgewählten, durch DDR-Gerichte verurteilte Bürger der DDR, die Freiheitsstrafen wegen ihrer Zusammenarbeit mit der IGFM erhielten, um damit nachdrücklich erneut des Beweis anzutreten, dass die Aktivitäten der IGFM nur zum Nachteil des Betroffenen führen.“
Schließlich sollte auch ein Gespräch mit dem für die Öffentlichkeitsarbeit zuständigen Mitarbeiter des Generalstaatsanwaltes, Dr. Peter Przybilski, geführt werden. Der so recherchierte Artikel wurde am 10.4.1986 veröffentlicht. Drei westdeutsche Journalisten – je einer vom „Stern“, von der ARD und von dpa – sind in den Stasi-Unterlagen namentlich genannt und uns bekannt. Wenig später wurde ein Fernsehbericht in der ARD nachgezogen. Welche Rufschädigung das für die IGFM bedeutete, kann sich jedermann ausmalen, welche Gefühle solche Artikel aber bei den Eltern auslösten, als Kriminelle hingestellt zu werden, das können nur vom gleichen Schicksal Betroffene nachvollziehen. Weder „Stern“ noch ARD haben sich bis heute entschuldigt, weder bei den Eltern, noch bei der IGFM.
Als die IGFM 1976 die Fälle aufdeckte und 1977 eine Dokumentation darüber herausbrachte, schienen es die letzten Fälle zu sein, in denen Kinder aus politischen Gründen politisch missliebigen Eltern entzogen wurden. Wir wissen nicht, warum sich in der Folge unserer Dokumentation „Zwangsadoptionen“ keine weiteren Bürger an die IGFM gewandt haben. Dass diese Verbrechen fortgesetzt wurden und tausende anderer Eltern Opfer wurden, war der IGFM nicht bekannt. Es ist aber traurige Realität, dass die Zusammenführung der zwangsadoptierten Kinder und ihrer leiblichen Eltern in allen Fällen erst nach dem Mauerfall stattfand, wobei sich die leiblichen Eltern mit der Bürokratie von Jugend- und Sozialämtern auseinanderzusetzen hatten, die sich bei Adoptionen auf die Schweigepflicht hinsichtlich des Aufenthaltes und das Kindeswohl beriefen.
Alle sahen sich schließlich nach über 15-jährigem Kampf der Eltern wieder. Die DDR war ohne das Recht der leiblichen Eltern anzuerkennen, untergegangen. Kein Verantwortlicher der ehemaligen DDR und keiner in der Bundesrepublik Deutschland, der als Journalist bewusst falsche Fährten gelegt hat oder als Politiker durch Passivität oder Leichtgläubigkeit mitgeholfen hat, die Aufklärung zu verhindern, ist bisher zur Rechenschaft gezogen worden. Das wahre Ausmaß dieser Staatsverbrechen ist bis heute nicht bekannt.
Die IGFM dankt den Veranstaltern dieser Tagung für ihren Willen zur Aufarbeitung dieser Verbrechen, die zu so viel persönlichem Leid geführt haben, und bietet im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihre Mitarbeit an. Wir wünschen der Tagung einen guten und erfolgreichen Verlauf.
Für die IGFM
Karl Hafen
Ehemaliger Geschäftsführender Vorsitzender
Grußwort der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) zur Veranstaltung der UOKG am 14. September 2016 zu den Zwangsadoptionen in der DDR