Grundlagen der rechtlichen Stellung von Andersgläubigen im Islam

 

Zur Gleichberechtigung von Andersgläubigen im Islam
Die Oase Chaibar
Der Vertrag des Umar
Stellungnahmen und Beispiele zur rechtlichen Stellung von Nichtmuslimen
Islamisten und der Diskurs zur Minderheitenfrage
Literatur
Fußnoten

 

Zur Gleichberechtigung von Andersgläubigen im Islam

Nach klassischer islamischer Rechtsauffassung ist eine Gleichberechtigung von Andersgläubigen ausgeschlossen. Diese Ansicht gründet sich auf den Koran, die islamische Überlieferung (Sunna) und das Vorbild der sogenannten „rechtgeleiteten Kalifen“, den Nachfolgern des islamischen Propheten Mohammed. Liberale Muslime, die für Gleichberechtigung eintreten, werden von Islamisten, aber auch von sehr konservativen Muslimen, als „Abgefallene“ verunglimpft.  (Bild: Islamischer Staat (IS))

Mit der Forderung nach Gleichberechtigung, Integration und Einhaltung der Menschenrechte machen Minderheiten immer wieder auf ihre Situation aufmerksam, zum Beispiel auch in Deutschland lebende Muslime. Wenig erfährt man jedoch über die rechtliche und gesellschaftliche Stellung von Nichtmuslimen in islamischen Ländern. Gelegentlich gehen Meldungen von Konflikten zwischen Muslimen und Kopten in Ägypten oder von dutzenden oder gar tausenden von Toten im Norden Nigerias durch die Medien. Wie sieht es mit der Stellung von Nichtmuslimen in islamischen Ländern aus, wie sind ihre Rechte und wie ist ihre Lebenssituation?

Die folgenden Informationen stützen sich auf allgemeine Angaben in Werken zum Islam, angefangen mit frühesten Überlieferungen, Medienberichten, Äußerungen von Islamisten oder auch Abschnitten der iranischen Verfassung. Es werden einige Negativbeispiele genannt, die nicht auf die alltägliche und allgemeine Lebenssituation von Nichtmuslimen in islamischen Ländern rückschließen lassen. Jedoch wird unter anderem die Haltung mancher strenggläubiger Muslime oder Islamisten[1] und der theoretische Hintergrund von manchen (in unseren Augen) Missverhältnissen beleuchtet.

 

Die Oase Chaibar

Im heutigen Umgang und Verhältnis zu Andersgläubigen orientieren sich Muslime am Koran, der Sunna[2] und dem [3], so auch in ihrem Verhältnis zu Nichtmuslimen. Seit 628 nach Christus, als Muhammad eines der frühesten Abkommen mit Nichtmuslimen traf, liegt ein Präzedenzfall für den Umgang von Muslimen mit Nichtmuslimen vor. Inhalt und Kerngedanken früher Abkommen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen sind gerade auch heute wieder Gegenstand von Diskussionen und Forderungen von Islamisten, die an Modellen für einen modernen islamischen Staat arbeiten.

Bis 627 n. Chr. hatte Muhammad die Juden Medinas vertrieben bzw. ausgerottet. Als Grund wird Mangel an Unterstützung – sie erkannten Muhammads neue, monotheistische Religion nicht an – und Verrat – da sie mit den Mekkanern gegen die Muslime konspirierten – überliefert. Ein Teil der Vertriebenen floh in die rund 150 km entfernte Oase Chaibar. Diese unterwarf sich jedoch 628 nach elfeinhalb monatiger Belagerung den Muslimen. Muhammad ließ den Bewohnern das Leben, ihre Güter sowie die Ausübung ihrer Religion. Als Gegenleistung hatten sie die Hälfte des Ertrages von Feldern und Palmenhainen abzugeben. Die Muslime zu Muhammads Zeit verstanden sich vor allem auf Kampf und Handel, jedoch wenig auf Handwerk und Feldanbau. Sie waren also auf den Import von Waren und Lebensmitteln angewiesen. Zudem behielt sich Muhammad die Vertreibung der Juden vor. Diese fand unter dem zweiten der sogenannten vier rechtgeleiteten Kalifen, Umar b. al-Chattab[4] (herrschte 633 – 644), statt. Ein Hadith Muhammads besagt, dass keine Andersgläubigen im Hijaz (arabische Halbinsel) leben dürften. Die Lehrmeinungen der verschiedenen sunnitischen Rechtsschulen gehen darüber auseinander, ob oder unter welchen Bedingungen ein Nichtmuslim Mekka oder Medina betreten, oder dort beerdigt sein darf.[5]

Nichtmuslime könnte man Geduldete der Muslime nennen. Auf der arabischen Halbinsel lebten während der ersten Eroberungsphase Heiden sowie Monotheisten. Viele Ungläubige bekehrten sich zum Islam bzw. ergaben sich den Muslimen. Mit den Monotheisten/Ahl al-Kitab (etwa Angehörige des Buches)[6] gingen die Muslime ein Vertragsverhältnis (Dhimma) ein. Es war eine Schutz-Verpflichtung der Muslime gegenüber den Nichtmuslimen (Dhimmi), die als Gegenleistung eine Kopfsteuer (Jizya) zu entrichten hatten. Mit der Zahlung der Jizya wurde der Anspruch der Dhimmi auf Schutz verdeutlicht. Die Jizya musste in der Regel von gesunden, freien und volljährigen Männern entrichtet werden. Sie sollte keine zu große Belastung für die Dhimmis sein.

Die Praxis der Jizya stützt sich auf die Sure 9:29: „Bekämpfet die, welche nicht an Gott und den jüngsten Tag glauben und welche nicht für verboten halten, was Gott und sein Gesandter verboten haben, und nicht die wahre Religion bekennen, nämlich die Schriftbesitzer, bis sie die gizya (Jizya) zahlen, persönlich, in Erniedrigung.“[7] Die Jizya floss in die Staatskasse (Bait al-Mal) und fiel als Grundsteuer der gesamten Gemeinde zu. Unterworfene Heiden bzw. Polytheisten hingegen hatten lediglich die Wahl zwischen Konversion zum Islam und Tod bzw. Sklaverei.

Das Verhältnis zu nichtunterworfenen Nichtmuslimen, die einem Dar al-Harb[8] angehörten, war ebenfalls vertraglich zu regeln. Händler oder offizielle Vertreter anderer Nationen durften sich für eine vereinbarte Zeit auf islamischem Territorium aufhalten. Der Zeitraum sowie Konditionen wurden in einem sogenannten Aman (Schutzabkommen) fixiert. Dieser Aman konnte einzelnen Personen, zum Teil ganzen Gruppen oder Angehörigen einer Nation zugestanden werden.

Für viele Nichtmuslime der frühen Eroberungsphase (ungefähr bis in das 8. Jh. n. Chr.) bedeutete die islamische Herrschaft eine Verbesserung ihrer Lebenssituation. Anfangs enthielten die Abkommen keine demütigenden sondern vergleichsweise leichte Auflagen. Familiäre, religiöse und gesellschaftliche Bräuche blieben erhalten, zumeist auch das Eigentum. Nur ein Verstoß gegen die getroffenen Vereinbarungen entließ die Muslime aus ihrer Schutzpflicht und konnte den Tod für den Vertragsbrüchigen sowie Enteignung und Versklavung der Familie bedeuten.[9]

Viele Wissenschaftler führen restriktive Vorschriften früher Verträge auf ein Selbstschutzbedürfnis der Muslime zurück (z.B. Kleider- und Reittiervorschrift zum Erkennen des Glaubensgenossen schon aus großer Distanz), da sie in ihren neuen Herrschaftsgebieten zahlenmäßig in der Minderheit waren.

 

Da neben dem Islam nur Christentum, Judentum und Zoroastrismus „geschützte“ Religionen sind, gehören alle anderen Religionen zu den „nicht geschützten“ Religionen. Wird ein Angehöriger einer solchen „nicht geschützten“ Religion oder ein Religionsloser ermordet, dann darf nach klassischer islamischer Rechtsauffassung weder „Vergeltung“ geübt, noch muss ein „Blutgeld“ gezahlt werden. Islamische Extremisten, wie die Kämpfer des „Islamischen Staates“ und ähnlicher Milizen, betrachten daher z.B. Jesiden als Freiwild. Im Bild sind junge jesidische Frauen zu sehen, die vom „Islamischen Staat“ freigekauft wurden und sich nun zusammen mit der IGFM für Flüchtlinge im kurdischen Nordirak einsetzen.

 

Der Vertrag des Umar

Seit der ersten Eroberungsphase findet der Vertrag des Umar besondere Beachtung. Er galt und gilt als Essenz aller Verträge Muhammads bzw. der ersten Kalifen mit Nichtmuslimen. Obwohl die Authentizität des Vertrags umstritten ist, avancierte er während der vergangenen Jahrhunderte zum wichtigsten Anhaltspunkt für Abkommen mit Nichtmuslimen. Seine Vorgaben werden nach wie vor zur Diskussion des legalen Status von Nichtmuslimen im islamischen Staat herangezogen. Allerdings besinnt man sich heute auf der Suche nach einer rechtlichen Basis aus dem Islam für eine Gleichstellung aller Bürger im islamischen Staat auf weitere frühe, weniger restriktive Verträge.

Der Vertrag des Umar ist von zahlreichen Autoren in unterschiedlichen Varianten überliefert worden. Die folgende Version des Vertrages, die als älteste erhaltene gilt, basiert auf der Überlieferung von Turtushi.[10] Die hier dargestellte Vereinbarung ist in Form eines Briefes von Christen an den Kalifen Umar (633 – 644) überliefert. Der Brief ist eine Bitte der Christen um Schutz für ihr Leben, ihre Nachkommen, ihren Besitz, und die Glaubensgenossen. Mit dieser Bitte verpflichten sich die Christen zugleich, folgende Bedingungen einzuhalten:

  • keine neuen Klöster, Kirchen, Mönchsklausen oder Einsiedeleien in ihren Städten und deren Umgebung zu bauen und die Gebäude, die verfallen sind bzw. in einem muslimischen Viertel stehen, weder tags noch nachts zu reparieren,
  • auf der Durchreise befindlichen Muslimen für drei Tage Herberge zu gewähren,
  • weder in Kirchen noch Privathäusern Spionen Zuflucht zu geben,
  • nichts vor den Muslimen zu verbergen, was ihnen schaden könnte,
  • Kindern nicht den Koran zu lehren,
  • weder öffentlich den christlichen Glauben zu praktizieren, noch ihn zu predigen und keinen Verwandten vom Übertritt zum Islam abzuhalten,
  • sich den Muslimen gegenüber respektvoll zu verhalten und ihnen den eigenen Sitzplatz zu überlassen, falls sie sich setzen wollen,
  • den Muslimen nicht ähneln zu wollen, weder in Kleidung, Qalansuwa[11], Turban, Schuhwerk oder der Art, die Haare zu kämmen,
  • weder die gleichen Redewendungen zu gebrauchen noch muslimische Kunyas[12] zu übernehmen,
  • nicht mit Sätteln zu reiten,
  • keine Säbel umzulegen, keine Waffen zu besitzen oder bei sich zu tragen,
  • keine arabischen Schriftzeichen in Siegeln zu verwenden,
  • keine fermentierten Getränke zu verkaufen,
  • den Vorderkopf zu rasieren,
  • sich an jedem Ort in der gleichen [erkennbaren] Weise zu kleiden und den Zunnar[13] umzubinden,
  • das Kreuz und die Heiligen Schriften nicht auf von Muslimen häufig frequentierten Wegen und auf ihren Märkten zur Schau zu stellen, in den Kirchen keine Naqus [14] zu schlagen bzw. nur leise, die Stimme nicht zu erheben, sofern Muslime zugegen sind, keine öffentlichen Prozessionen an Sonntagen, am Palmsonntag oder Ostern durchzuführen, die Verstorbenen während der Beerdigungsprozession nicht laut zu beklagen, nicht laut auf von Muslimen häufig frequentierten Wegen und auf ihren Märkten zu beten, die eigenen Toten nicht in Nachbarschaft zu Muslimen zu beerdigen,
  • keine Sklaven zu beschäftigen, die Muslimen zustehen.
  • niedriger zu bauen als die Häuser von Muslimen, damit sie keinen Einblick in deren Höfe und auf deren Dächer haben.

Dies sind die Bedingungen, denen sich die Christen in Gegenleistung der Schutzgewährung durch die Muslime unterwerfen. Falls eine der Vereinbarungen seitens der Christen gebrochen wird, ist der Anspruch auf die Dhimma verwirkt und die Christen unterliegen den für Rebellen bzw. Aufständische geltenden Strafen.

Umar soll dem zugestimmt haben, jedoch noch folgende zwei Klauseln angefügt haben:

  • Sie [die Christen] dürfen keine Personen kaufen, die von Muslimen gefangen genommen sind,
  • wer absichtlich einen Muslim schlägt, genießt nicht mehr den Schutz des Paktes.

 

Stellungnahmen und Beispiele zur rechtlichen Stellung von Nichtmuslimen

Dass in islamisch geprägten Staaten auch Nichtmuslime offen Gottesdienste feiern können, sollte eigentlich selbstverständlich sein. Annähernd alle muslimischen Staaten haben die entsprechenden völkerrechtlich bindenden Menschenrechtsverträge ratifiziert. In der Praxis gilt dieses Recht aber meistens nur eingeschränkt, für wenige Religionsgruppen oder auch gar nicht. Menschen, die früher Muslime waren, dies aber nicht mehr sein möchten, sind oft Zielscheibe von gewalttätigen Angriffen und Verfolgung.

In Ländern, in denen die Scharia allgemein die Rechtsgrundlage bzw. Teile davon ausmacht, gelten oft heute noch aus der Dhimma (Schutzvertrag, vor allem in Bezug auf den Vertrag des Umar) übernomme Prinzipien. So ist einem Ungläubigen nach wie vor nicht gestattet, eine Muslimin zu ehelichen. Ein prominentes Beispiel ist Prof. Dr. Nasr Hamid Abu Zaid. Er wurde in den 1990ern in Ägypten zwangsgeschieden. Man sprach ihm auf Grund seiner Publikationen seine Rechtgläubigkeit ab. Damit wurde er zu einem Ungläubigen und durfte nicht weiter mit seiner islamischen Frau leben. Im Iran wurde der Geschäftsmann Helmut Hofer verhaftet und sollte mit dem Tod durch Steinigung bestraft werden, da er angeblich ein Verhältnis mit einer iranischen Muslimin hatte.

In vielen islamischen Ländern haben Nichtmuslime und Muslime getrennte Rechtsprechung. Dhimmis können in einem muslimischen Gericht nicht als Zeugen für oder gegen Muslime auftreten bzw. ihr Zeugnis hat nach hanafitischem Recht[15] einen geringeren Aussagewert als das eines Muslims. Ein Rechtsstreit mit einem Muslim muss nach islamischem Recht verhandelt werden.

Der schiitische Islam war oft rigider gegenüber Nichtmuslimen als der sunnitische Islam. Vertreibung, Zwangskonversionen und Massaker waren selten im sunnitischen Islam, nicht jedoch bei Schiiten. Sie setzten sich stärker mit ritueller Reinheit und Unreinheit auseinander. Als Beschmutzung, die zu ritueller Unreinheit führt, zählte unter anderem der Kontakt mit Nichtmuslimen, ihrer Kleidung oder ihren Gegenständen. Sie verursachten rituelle Unreinheit, von der man sich vor der Verrichtung einer religiösen Handlung reinigen muss.

Ayatollah Khomeini etwa schrieb in “Principes politiques, philosophiques, sociaux et réligieux‘ [16]: „Die islamische Herrschaft ist eine Herrschaft durch göttliches Recht, das nicht geändert werden kann. Der Heilige Krieg bedeutet die Eroberung nichtmuslimischer Gebiete. Wenn er nach der Errichtung einer islamischen Regierung ausgerufen wird, ist jeder erwachsene Mann aufgefordert, freiwillig für das Ziel der weltweiten Verbreitung des koranischen Gesetzes zu kämpfen. Elf Dinge sind unrein: Urin, Kot, Sperma, Blut, Hunde, Schweine, ein Nichtmuslim und eine Nichtmuslimin, Wein, Bier, Schweiß eines Kamels, das Abfall frisst. Der ganze Körper eines Nichtmuslims ist unrein, sogar seine Haare, Nägel und alle körperlichen Ausscheidungen. Ein minderjähriges Kind ist unrein, wenn es keinen Muslim als Vorfahren hat. Der Körper, die Ausscheidungen und der Atem eines Nichtmuslims bzw. einer Nichtmuslimin werden automatisch rein, wenn sie sich bekehren. Die Kleider, die mit ihrem Körperschweiß vor ihrer Bekehrung in Berührung gekommen waren, sind weiterhin unrein. Einem Muslim ist es erlaubt, in einer Firma zu arbeiten, die Juden beschäftigt, solange nicht Israel in der einen oder anderen Weise durch die Produkte unterstützt wird. Jedoch ist es eine Schande, unter einem Juden als Vorgesetzten zu arbeiten.“[17]

Muslimische Rechtsschriften befassen sich ausführlich mit Nichtmuslimen, die den Islam beleidigen. Schiiten, Hanbaliten[18] und Malikiten[19] verlangen darauf die Todesstrafe, Hanafiten und Schafiiten[20] Schläge und Gefängnis. In der islamischen Republik Iran sind Nichtmuslime straffällig, wenn ihnen die Degradierung oder Gefährdung des Islam nachgewiesen werden kann.[21] Die Ablehnung des islamischen Gesetzes oder Einladung zur Abkehr vom Islam gilt als eine Gefährdung der Staatsordnung und ist strafbar, u.U. mit dem Tod. Wenn also ein Nichtmuslim einem Muslim Zeugnis von seiner Religion gibt, kann er sich damit schon strafbar machen.

Offene Religionslosigkeit ist für Regierungen islamisch geprägter Staaten ein rotes Tuch. Bekennende Religionslose sind in vielen Staaten Opfer von Anfeindungen, Willkür, Gewalt und Verfolgung.

Iran bietet sich als ein islamischer Staat für die Betrachtung des Umgangs mit Minderheiten an. Den als Buchreligionen anerkannten Nichtmuslimen ist nach der Verfassung die Ausübung ihrer Religion gestattet. Im Parlament sind sie mit fünf Vertretern repräsentiert. Gehobene Positionen im Rechtsapparat, dem Militär und in hohen Regierungsfunktionen sind Andersgläubigen verwehrt. Ihr rechtlicher Status begründet sich aus der Verrichtung des Militärdienstes. Da sie den islamischen Staat verteidigen und sich für seine Sicherheit und sein Bestehen einsetzen, brauchen sie kein Schutzgeld/keine Jizya mehr zu entrichten. Wesentlich schlechter geht es den Heiden bzw. den nachislamischen monotheistischen Religionen wie zum Beispiel den im Iran lebenden Bahais. Da sie aufgrund ihres „häretischen Glauben“ den Wehrdienst verweigern, haben sie keinerlei rechtlichen Status im Iran. Sie leiden unter starker Verfolgung.

In den Ländern, in denen heute das islamische Recht die Gesetzgebung bzw. Teile davon ausmacht, sehen sich Nichtmuslime immer wieder Diskriminierungen und Anfeindungen ausgesetzt. Die ägyptischen Kopten beklagen beispielsweise Benachteiligungen durch das ägyptische Ministerium für Religion, Restriktionen beim Bau von Kirchen, die Zulassung zur Universität auf Grund eines persönlichen Gespräches und nicht wegen des Notendurchschnitts, Quotenregelungen für christliche Studenten, Angriffe auf den christlichen Glauben und die Bibel, Diskriminierung bei Anstellungen etwa im universitären Bereich, Vorhaben zum Fernhalten von Christen von hohen Regierungsposten.[22]
1997 äußerte Mustafa Mashhur, Führer der ägyptischen Muslimbrüder und Vorsitzender der internationalen Organisation der Bruderschaft, in einem Interview mit al-Ahram-Weekly, dass Christen nicht im ägyptischen Heer sein dürften. Die Aufgaben des Militärs lägen ausschließlich in der Verteidigung der islamischen Umma (etwa ‚Gemeinschaft‘). Den Christen sei daher der Zutritt zu verwehren, ihnen obliege wie ehedem die Zahlung der Jizya als Gegenleistung für Schutz und Verteidigung.[23]

Der Begriff Jihad wird fälschlicherweise meist nur mit „Heiliger Krieg“ übersetzt. Das Wort an sich lässt sich mit Anstrengung oder Bemühung übersetzen. Dabei wird von vielen zwischen dem kleinen und großen Jihad unterschieden. Der kleine Jihad kann als kriegerischer Einsatz für die Verbreitung des Reiches Gottes verstanden werden; der große Jihad hingegen gilt als die persönliche Bemühung auf dem Wege Gottes, etwa im Einhalten der islamischen Pflichten[24]. Zur Legitimation des Jihad, in diesem Fall als Kampf gegen die Nichtmuslime interpretierbar, führt Scheich Abdullah Ghoshah[25], Oberster Richter des haschemitischen Königshauses, folgende Meinung verschiedener Gelehrter an:
„Der Jihad ist eines der Mittel zur Verbreitung des Islam. Andersgläubige haben demnach die Wahl, den Islam entweder freiwillig, über Erkenntnis bzw. durch Belehrung anzunehmen oder durch Kampf und Jihad. Dies bedeutet für die Außenpolitik eines islamischen Staates:

Es ist nicht erlaubt, den Jihad aufzugeben. Falls irgend jemand Muslime angreift, wird der Jihad zur Pflicht eines jeden Muslims. Wenn der Jihad nicht von der ganzen Nation durchgeführt wird, ist die ganze Nation sündhaft.
Der Krieg ist die einzige Beziehungsform von Muslimen zu ihren Gegnern, es sei denn, dass es Gründe für einen Frieden gäbe, wie deren Bekehrung zum Islam bzw. ein Vertrag, der einen Frieden ermöglicht.
Der Dar al-Islam ist die Heimat der Muslime, der den Gesetzen des Islam untersteht, dessen Bewohnern – ob Muslim oder Schriftbesitzer – Schutz zugesagt ist. Im Dar al-Harb sind Muslime nicht sicher. Bevor die Gegner des Islam angegriffen werden, muss ihnen die Bekehrung zum Islam angeboten werden. Friedensverträge mit Nichtmuslimen können gebrochen werden, wenn der Verdacht aufkommt, dass die Feinde die Muslime verraten.

Tabari[26] schreibt in al-Ausat: ‚Lügen sind Sünden, außer wenn sie zum Wohle eines Muslims erzählt werden bzw. um ihn aus einer Notsituation zu retten.'“[27] Gerade das Tabari-Zitat bestärkt manches Misstrauen gegenüber Äußerungen von Muslimen und begründet möglicherweise die doppelte Publikationstaktik verschiedener Islamisten, deren muttersprachlicher Text oft etwas anderes aussagt als das, was in der Übersetzung zum Beispiel ins Deutsche wiedergegeben ist.

 

Islamisten und der Diskurs zur Minderheitenfrage

Der schiitische Politologe Ridwan as-Sayyid[28] zeichnet in seinem Artikel al-masihiyun[29] die Entwicklung des islamistischen Diskurses seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts bis zur Gegenwart zu Konzepten des islamischen Staates und der Stellung der Christen nach. Zentrales Thema ist dabei die Qualität der Staatsbürgerschaft und der Rechte von Nichtmuslimen im islamischen Staat: Nach Auffassung von Islamisten muss sich in einem islamischen Staat die legale Stellung von Nichtmuslimen mit der Scharia begründen lassen und aus der Sunna legitimiert sein. Offensichtlich gibt es aber einige Vorschriften und Maßgaben aus der Scharia (islamisches Recht) und Sunna (islamische Tradition) etwa zur Stellung von Nichtmuslimen, Frauen und Apostaten, die nicht umgangen werden können, jedoch einer vollständigen Gleichberechtigung im Wege stehen.

In Kreisen der Muslimbruderschaft wird nach wie vor die Rechtmäßigkeit der Jizya (Kopfsteuer) propagiert: Sie könne möglicherweise entfallen, wenn sich Nichtmuslime in der Verteidigung des bestehenden Staates engagierten. Dies stütze sich auf Verträge aus der Frühzeit des Islam. Eine andere Gruppe vertritt laut as-Sayyid die Meinung, dass durch die Teilnahme der arabischen Christen im gemeinsamen Kampf für Unabhängigkeit die Dhimma (etwa „Vertragsverhältnis“ zwischen Muslimen und Nichtmuslimen) eine neue Form fände. Dies begründe eine gleichberechtigte aber unvollständige Staatsbürgerschaft: Es wäre eine erworbene und keine originäre Staatsbürgerschaft.

Nach klassischer islamischer Rechtsauffassung haben nur die allerwenigsten Religionen der Erde eine Daseinsberechtigung: Neben dem Islam sind das lediglich Christentum, Judentum und der Zoroastrismus. Den Anhängern anderer Religionen wird von vielen islamischen Geistlichen – und sogar von einigen Regierungen – das Existenzrecht abgesprochen. Opfer davon sind z.B. die Bahá’í in der Islamischen Republik Iran. Sie sind die größte religiöse Minderheit des Landes und werden von der Regierung systematisch verfolgt. Im Bild: Das 2008 willkürlich verhaftete Leitungsgremium der iranischen Bahá’í.

Für den Glaubensstaat – selbst den am osmanischen Kalifat orientierten – ergeben sich Probleme bei der Gleichstellung der Nichtmuslime in Bezug auf politische Rechte und Bekleidung von Ämtern, die in einer Beziehung zur Religion stehen (Staatspräsidentschaft, Ministerposten, parlamentarischer Abgeordneter, hohe Verwaltungsposten in der militärischen Führung, Präsidentschaft des Verfassungsgerichts…). As-Sayid bezweifelt, dass dies rechtens sei und fragt, wie man jemandem auf Grund der Religionszugehörigkeit die Nomination etwa zum Präsidentschaftskandidaten verwehren könne. Nach einer Veröffentlichung von A. Wessels[30] ist die Zahl der Christen in der arabischen Welt in den letzten 50 Jahren um 30% zurückgegangen. Er führt dies zum einen auf wirtschaftliche und politische Faktoren zurück, unterschlägt aber nicht Probleme der Christen mit den bestehenden Staaten und mit den fundamentalistischen Islamisten.

Muslime fordern auch in Deutschland die Anerkennung ihrer Religion und ihrer kulturellreligiösen Bedürfnisse. Glücklicherweise leben wir in einer Gesellschaft, die Demokratie und die Gleichberechtigung aller zu verwirklichen sucht. Im Dialog mit Muslimen werden jedoch oftmals oben erwähnte kritische Punkte unterschlagen und vor allem die aus dem Koran, der Sunna und den Hadith herauslesbare Diskriminierung Andersgläubiger verschwiegen. Muslime haben das Recht, in unserem Staat die volle Anerkennung und Gleichberechtigung zu fordern. Wie sieht es hingegen mit ihrem Einsatz für Rechte von Minderheiten und Nichtmuslimen in ihren Heimatländern aus?

In Zeiten der Globalisierung aber auch des zunehmenden Fundamentalismus sollten sich Muslime und islamische Länder von oben genannten Diskriminierungen distanzieren und den gleichberechtigten Status Andersgläubiger ermöglichen und schützen.


Literatur

Siehe hierzu u.a.:

Arnold, T.W.: The preaching of Islam. London, 1913.
Bat Ye’or: The Decline of Eastern Christianity under Islam. Cranbury, 1991.
Bat Ye’or: The Dhimmi. London, 1985.
Cragg, K.: The arab Christian. A History in the Middle East. 1991.
Fattal, Antoine: Le statut légal de non-musulmans en pays d’islam. Beirut, 1858.
Khoury, A.T.: Toleranz im Islam. Mainz, 1980.
Khoury, A.T., Hagemann, L.: Christentum und Christen im Denken zeitgenössischer Muslime. Würzburg, 1994.
Krämer, G.: Minderheit, Millet, Nation? Die Juden in Ägypten 1914 – 1952. Wiesbaden, 1982.
Lewis, B.: Die Welt der Ungläubigen. Frankfurt/M., 1983.
Lewis, B.: The Jews of Islam. Princeton, 1984.
Nagel, T.: Studien zum Minderheitenproblem im Islam 1. Bonn, 1973.
Tritton, A.S.: The Caliphs and their non-Muslim Subjects. Oxford, 1930.
Watt, W.M.: Muslim-Christian Encounters. London, 1991.

 

Fußnoten

  1. Islamisten sind Muslime, die die Errichtung einer Gesellschaft auf den Grundlagen des Koran und der Sunna anstreben (Sunna = islamische Tradition). Terrorismus ist allerdings nur eine kämpferische Variante des Islamismus, man darf daher nicht alle Islamisten, geschweige denn alle Muslime dazu zählen.
  2. Sunna – Brauch, Sitte, überlieferte Norm, als verbindliches Vorbild dienende Aussagen und Handlungen Muhammads
  3. Hadith – Überlieferung zu Muhammads Leben, Handeln, Aussagen und Beschlüssen.
  4. Nach Muhammad folgten die vier rechtgeleiteten Kalifen in der Leitung der Umma (Gemeinde). Dies waren Abu Bakr (632 – 34), Umar (634 – 44), Uthman (644 – 55) und Ali (654 – 61).
  5. Siehe Khoury, A.T.: Toleranz im Islam, S. 149 – 52.
  6. Als Ahl al-Kitab (etwa Leute des Buches) werden Bekenner einer prinzipiell monotheistischen Offenbarungsreligion wie Juden oder Christen (später auch Sabäer, Zoroastrier und Hindus) bezeichnet. Die Grundlagen ihres Glaubens beruhen auf einer von Gott offenbarten Heiligen Schrift, wenn diese auch nach islamischer Auffassung verfälscht wurde. Sie wurden auch als Dhimmi (etwa Vertragsbesitzer) bezeichnet.
  7. H.J. Wensinck, J.H. Krämer: Handwörterbuch des Islam. Leiden, 1941. S.144. Bei R. Parets Koranübersetzung ist etwas genauer „aus eigener Hand“ übersetzt.
  8. Dar al-Harb (etwa Haus des Krieges): das Gebiet, in dem der Islam nicht vorherrschende Religion ist oder ein Muslim seinen Glauben nicht frei ausüben kann. Der Dar al-Islam (etwa Haus des Islams) befindet sich in einem Kriegszustand mit dem Dar al-Harb, kann aber vorübergehend Frieden mit dem Dar al-Harb eingehen.
  9. Muhammad hatte sich gegen die Bestrafung einer ganzen Gemeinschaft für das Vergehen eines Einzelnen ausgesprochen, jedoch gab es schon unter ihm Gegenbeispiele.
  10. Ibn `Abi Randaqa Turtushi (gest. 1162), andalusischer malikitischer Rechtsgelehrter.
  11. Kopfbedeckung
  12. Arabische Namensgebung wie Abu/Ibn/Bint/Umm….
  13. Eine Art Gürtel/ Tuch, das um die Taille gewickelt wird.
  14. Klanghölzer
  15. Sunnitische Rechtsschule nach Abu Hanifa (697/699 – 767).
  16. S.R. Khomeini: Principes politiques, philosophiques, sociaux et réligieux. Paris, 1979. (Ü.d.V)
  17. Aus Bat Yeor, The Dhimmi, S. 56. (Ü.d.V)
  18. Sunnitische Rechtsschule nach Ahmad ibn Hanbal (780 – 855).
  19. Sunnitische Rechtsschule nach Malik Ibn Anas (708/715 – 795/ 97).
  20. Sunnitische Rechtsschule nach ash-Shafi´i (767 – 820).
  21. Aus der iranischen Verfassung nach der Revision 1988:
    „Article 4 All civil, penal, financial, economic, administrative, cultural, military, political, and other laws and regulations must be based on Islamic criteria. This principle applies absolutely and generally to all articles of the Constitution as well as to all other laws and regulations, and the fuqaha‘ (die Rechtsgelehrten, A.d.V.) of the Guardian Council are judges in this matter. …
    Article 13
    Zoroastrian, Jewish, and Christian Iranians are the only recognized religious minorities, who, within the limits of the law, are free to perform their religious rites and ceremonies, and to act according to their own canon in matters of personal affairs and religious education. …
    Article 14
    In accordance with the sacred verse; („God does not forbid you to deal kindly and justly with those who have not fought against you because of your religion and who have not expelled you from your homes“ [60:8]), the government of the Islamic Republic of Iran and all Muslims are duty-bound to treat non-Muslims in conformity with ethical norms and the principles of Islamic justice and equity, and to respect their human rights. This principle applies to all who refrain from engaging in conspiracy or activity against Islam and the Islamic Republic of Iran. …
    Article 20
    All citizens of the country, both men and women, equally enjoy the protection of the law and enjoy all human, political, economic, social, and cultural rights, in conformity with Islamic criteria. …
    Article 24
    Publications and the press have freedom of expression except when it is detrimental to the fundamental principles of Islam or the rights of the public. The details of this exception will be specified by law. …
    Article 64
    There are to be two hundred seventy members of the Islamic Consultative Assembly which, keeping in view the human, political, geographic and other similar factors, may increase by not more than twenty for each ten-year period from the date of the national referendum of the year 1368 of the solar Islamic calendar. The Zoroastrians and Jews will each elect one representative; Assyrian and Chaldean Christians will jointly elect one representative; and Armenian Christians in the north and those in the south of the country will each elect one representative. The limits of the election constituencies and the number of representatives will be determined by law.“Siehe Internetseite der iranischen Regierung.
  22. Aus Bat Yeor, S. 399: „Die ägyptischen Kopten wenden sich an Präsident Sadat (1972).“ Und: „1980 – 81 wurden in Ausschreitungen gegen Kopten Hunderte getötet, Kirchen niedergebrannt und verwüstet. Präsident as-Sadat verhaftete 1500 muslimische Fundamentalisten sowie 150 Kopten, darunter Priester und Bischöfe. Der zunehmende muslimische Fundamentalismus schürt den Hass gegen Christen und hat die Situation von Kopten verschlimmert. Fundamentalisten verlangen die Wiedereinführung der Scharia und damit auch der Dhimma.“ (Ü.d.V)
  23. Aus: Ridwan as-Sayyid: al-masihiyun wa jama´at al-islam as-siyasiy fi-l-watan al-´ara-biy (etwa „Die Christen und die Organisationen des politischen Islam in den arabischen (Heimat-)Ländern“). In Afaq, Nr. 20, Beirut, 1998. S. 77 – 100.
  24. Die Pflichten werden auch als fünf Säulen des Islam bezeichnet: 1. Bekenntnis der Einheit Gottes, 2. Gebet, 3. Fasten, 4. Spende, 5. Pilgerfahrt.
  25. In Ghoshah, A.: The Jihad is the Way to gain Victory. Kairo, 1968. S. 184 ff.
  26. Abu Ja´far Muhammad Ibn Tabari: 839(?) – 923, berühmter und weithin anerkannter Koranexeget und Historiker.
  27. Aus Bat Yeor: The Dhimmi. S. 392. (Ü.d.V)
  28. Ridwan as-Sayyid, 1949 in Libanon geboren, studierte in Kairo an der Azhar-Universität, promovierte 1977 in Tübingen, lehrt seit 1978 Islamwissenschaft an der Libanesischen Universität in Beirut, ist Herausgeber und Mitbegründer von al-Fikr al-Arabiy, eine Zeitung, in der dem Verhältnis von Intellektuellen zur Religion Hauptaugenmerk geschenkt wird, und seit 1988 Herausgeber von al-Ijtihad, eine Zeitung, die zu unterschiedlichen Themen, vorrangig zu religiösen Eliten und Islamismus (den er islamic rivivalism nennt) Artikel veröffentlicht, zum großen Teil auch Übersetzungen europäischer und amerikanischer Autoren.
  29. Siehe Fußnote 23
  30. A. Wessels „Arabs and Christians? Christians in the Middle East“, 1995.
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