Bürger zweiter Klasse: Einheimische religiöse Minderheiten in muslimischen Gesellschaften. Bild: St. Markus Kirche in Alexandria, Ägypten.

Spricht man im Hinblick auf islamische Gesellschaften von Minderheiten, so sollte grob zwischen ethnischen und religiösen unterschieden werden. Integrationsproblematiken mit ethnischen Minderheiten hängen meist mit deren Bestrebungen nach Abgrenzung oder Unabhängigkeit ab und beruhen weniger auf Religiösem. [1] Ganz deutlich unterscheidet sich hier die Problematik der religiösen Minderheiten. Ihre Stellung sowie heutige Verhältnisse und Äußerungen zu Integrationsfragen sind kaum ohne eine Beleuchtung der Traditionen und religiösen Vorgaben zu erfassen. Der Koran sowie Mohammed als Vorbild in seinem Handeln, Äußern und Gutheißen sind auch heute noch maßgeblich für Alltagsleben, Politik und Gesetzgebung in weiten Teilen der heutigen islamischen Welt.

In der Betrachtung von Mohammeds Leben und Entwicklung wird gerne der Wandel seines Verhältnisses zu Andersgläubigen erwähnt. Von der Zeit seines Out comings an in Mekka soll er keinerlei Kritik an anderen monotheistischen Zeitgenossen geäußert haben, bis sich dies bald nach seiner Auswanderung nach Medina wandelte und in der Vertreibung bzw. Ausrottung der jüdischen Stämme Medinas gipfelte. Entsprechend finden sich in den Überlieferungen zu Mohammed (Hadith) und im Koran Verse, die sich sowohl positiv etwa zu Juden und Christen äußern, als auch sehr kritische bis feindselige Verse. [2] Daneben existieren verschiedene Tradierungen zum Umgang Mohammeds mit Nichtmuslimen; als Prototyp wird gerne der so genannte Vertrag des ´Umar [3] herangezogen. Allerdings ist dieser Vertrag weder als authentisch belegt noch geht er auf Mohammed zurück. Jedoch enthält er wesentliche Bedingungen [4] der Duldung Andersgläubiger unter islamischer Regentschaft, die Inhalten von einigen Verträgen Mohammeds mit sich ihm unterwerfenden Andersgläubigen entsprechen.

Im Gegensatz zu anerkannten Nichtmuslimen ,dazu zählen die Anhänger einer vorislamischen monotheistischen Offenbarungsreligion , haben die nicht anerkannten, wie etwa Atheisten, Polytheisten oder nachislamische Monotheisten [5] keinerlei Existenzberechtigung. Für sie gab es in frühislamischer Zeit unter muslimischer Herrschaft nur die Alternativen Bekehrung zum Islam oder Tod durch das Schwert bzw. Versklavung, unter Umständen die Möglichkeit zur Emigration.

Heutige islamische Gesetzgebungen und die gesellschaftliche Integration nichtmuslimischer Minderheitenfinden fußt auf diesen Maßgaben. In einigen Ländern dürfen beispielsweise Andersgläubige auch heute noch weder missionieren, öffentlich Kreuze tragen, Kirchen renovieren oder gar neu bauen, Glocke läuten oder ein religiöses Symbol auf Sakralgebäuden montieren. Nichtmuslimen bleiben führenden Positionen in Politik, Militär oder Jurisprudenz ihrer Heimatländer verwehrt… Diese Lebenssituation weist deutliche Ähnlichkeiten zu Vorgaben eben jenes Vertrags des ´Umar, anderen frühen Verträgen Mohammeds mit Andersgläubigen und der islamischen Praxis durch die Jahrhunderte auf.

Noch erschreckender erscheint die Situation von so genannten nicht anerkannten Minderheiten. [6] Abgesehen von dem Stigma des unrein seins, das allen Nichtmuslimen anhängt, kommt hier hinzu, dass die fehlende Existenzberechtigung etwa die Errichtung von konfessionellen Schulen sowie Versammlungsorten unmöglich macht, Ehen können nicht legal geschlossen werden, da Eheschließungen in vielen islamischen Ländern ausschließlich konfessionell stattfinden. Kinder aus solch einer Verbindung sind damit unehelich und diese „unehelichen Ehe“ werden unter Umständen sogar als Ehebruch bestraft. Hinzu kommen allgemeine Schwierigkeiten bei Zugängen zu Studium und Beruf sowie regional Repressionen und Verfolgung. In einer ähnlichen Situation befinden sich Muslime, die vom Islam abfallen und ihre Religion wechseln. Denn sie gelten als Verräter am Islam und an der Gesellschaft. Auch wenn sie heute nur selten angeklagt werden, müssen sie doch oft mit Diskriminierung, Verfolgung oder Tötung durch die Familie bzw. die Gemeinschaft rechnen.

Eine Auseinandersetzung mit diesen Fragen findet in der islamischen Welt kaum statt, da dies schnell den islamischen Vorgaben entgegenstehen könnte. So hatte das iranische Parlament eine Änderung des Strafrechts zur Gleichstellung von Muslimen und Nichtmuslimen in der Kompensation von Delikten mit Körperverletzungs- oder Todesfolge verabschiedet. Das oberste religiöse Gremium des Iran hat diese Gesetzesänderung jedoch abgeschlagen und den Status quo aufrechterhalten, der nichtmuslimischen Männern nur die Hälfte einer Kompensation und einer nichtmuslimischen Frau nur ein Viertel zugesteht. (Nicht anerkannten Nichtmuslimen wird erfahrungsgemäß oft gar keine Kompensation zugebilligt.)

Diese Tatsachen werden erstaunlich wenig thematisiert – weder in der islamischen Welt noch im Westen. Abgesehen davon sollte man alle offiziellen islamischen Äußerungen zu Toleranz, Gleichberechtigung und Integration kritisch auf jedes Wort hin prüfen und an Aussagen des Koran und der Sunna messen. Beispielsweise scheint der Entwurf der Menschenrechtserklärung der Muslim World League auf den ersten Blick sehr liberal und tolerant, beispielsweise was die Rechte von Minderheiten und Frauen anbelangt. Formulierung wie etwa „Gleichberechtigung nach den Maßgaben Gottes“ und nach der „von Gott gegebenen Natur“ könnten sehr liberal gedeutet werden, wenn nicht die in Koran und Sunna fixierten Vorgaben zugrunde lägen. Denn der schöne Schein zementiert tatsächlich nur die bestehenden Verhältnisse und Bestimmungen in der islamischen Welt. Und so lange hierüber nicht offen und unverblümt geredet werden kann, sind auch keine fundamentalen Veränderungen zu erwarten. Die nichtmuslimischen Minderheiten haben somit in den meisten bestehenden Systemen islamischer Ländern einen Höhepunkt ihrer Integration erreicht, der nicht zufrieden stellen kann. Dies wird aber wohl so bleiben, solange kein grundlegender Wandel in der Auseinandersetzung mit Koran, Demokratie und Menschenrechte zu erwarten ist.

Der Vertrag des ´Umar

Es ist unklar, ob dieser Vertrag auf den zweiten, „Rechtgeleiteten Kalifen“ ´Umar al-Khattab (+ 644) zurückzuführen ist oder auf den Ummayadenkalifen ´Umar (717-720).

Beschränkungen für Andersgläubige werden in dem Vertrag des ´Umar etwa wie folgt vereinbart: Andersgläubige werden keine Klöster, Kirchen oder Mönchszellen mehr bauen bzw. in islamischen Vierteln instand setzen, Muslime für 3 Tage beherbergen, keine Spione unterbringen, Muslimen nichts verheimlichen, was ihnen schaden könnte, die nichtmuslimischen Kinder nicht den Koran lehren, Kulthandlungen nicht öffentlich praktizieren oder in Predigten empfehlen, Angehörige nicht am Übertritt zum Islam hindern, sich in Sprechweise, Kleidung, Frisur, Siegel und Namensgebung von den Muslimen unterschieden, keine Sättel gebrauchen, keine Waffen tragen oder besitzen, keine alkoholischen Getränke verkaufen, christliche Bücher und Kreuze nicht auf muslimischen Plätzen und Straßen öffentlich zeigen, die Gottesdienstgeräusche in Gegenwart der Muslime leise halten, die wichtigen öffentlichen Prozessionen nicht abhalten, nicht auf Straßen und Märkten von Muslimen laut beten, Tote nicht neben Muslimen begraben, die Häuser nicht höher als die von Muslimen bauen, Muslime nicht absichtlich schlagen, als Gegenleistung für die Sicherheitsgarantie der Muslime.

Aus: Khoury, Adel Théodor: Toleranz im Islam, München 1980, S. 83-84. Hier wird nicht die übliche Jizya – die so genannte Kopfsteuer – erwähnt, die bis zur Mitte des 19. Jh. von Nichtmuslimen entrichtet werden musste.

Endnoten

[1]   So finden sich beispielsweise unter den Kurden sowohl Sunniten, Alawiten, Yeziden als auch Christen. In Iran hingegen ist der Konflikt mit Sunniten zumeist an deren ethnische Zugehörigkeit geknüpft und das Streben von ethnischen Minderheiten nach Unabhängigkeit bzw. Vereinigung mit Stammesangehörigen etwa in Irak, Pakistan, Turkmenistan oder Aserbaidschan.

[2]   Sure 2:62 „Die Gläubigen, seien es Juden, Christen oder Sabäer, wenn sie nur an Gott und an den Jüngsten Tag glauben und das Rechte tun, so wird ihnen einst Lohn von ihrem Herrn zuteil, und weder Furcht noch Traurigkeit wird über sie kommen.“ Ähnlich Sure 5:69. 22:17 „Zwischen den wahren Gläubigen und den Juden und den Sabiern und den Christen und den Magiern und den Götzendienern wird einst Gott am Tage der Auferstehung entscheiden; denn Gott ist aller Dinge Zeuge.“
5:82″Du wirst finden, daß unter allen Menschen die Juden und Götzendiener den Gläubigen am meisten feind sind; du wirst ferner finden, daß den Gläubigen die am meisten freundlich gesinnt sind, welche sagen: Wir sind Christen. Das kommt daher, weil diese Priester und Mönche haben, und auch weil sie keinen Stolz besitzen.“
Sure 5:51″O ihr Gläubigen, nehmt weder Juden noch Christen zu Freunden; denn sie sind nur untereinander Freunde. Wer aber von euch sie zu Freunden nimmt, der ist einer von ihnen. Wahrlich, ein ungerechtes Volk leitet Gott nicht.“
9:29 „Bekämpfet die, welche nicht an Gott und den jüngsten Tag glauben und welche nicht für verboten halten, was Gott und sein Gesandter verboten haben, und nicht die wahre Religion bekennen, nämlich die Schriftbesitzer, bis sie die Djizya [Kopfsteuer] zahlen, persönlich, in Erniedrigung.“
Koranverse zitiert aus Vergleichende Konkordanz zu Bibel und Koran, Version 1.2, 2001 by AG Ost-West Dienste gGmbH.
Hier muss auf die Problematik der Abrogation im Koran verwiesen werden, wonach selbst unter Muslimen nicht unbedingte Einigkeit darüber herrscht, wann welche Koranverse offenbart wurden und in welchem Maße zeitlich frühere Offenbarungen dadurch aufgehoben sind , zur Toleranzfrage nicht ganz ohne Bedeutung und gerne von islamischen Reformdenkern thematisiert.

[3]   Auch Shurut genannt. Unklar ist, ob dieser Vertrag auf den zweiten, Rechtgeleiteten Kalifen ´Umar al-Khattab (+ 644) zurückzuführen ist oder auf den Ummayadenkalifen ´Umar (717-720).

[4]   Beschränkungen für Andersgläubige werden in dem Vertrag des ´Umar etwa wie folgt vereinbart: Andersgläubige werden keine Klöster, Kirchen oder Mönchszellen mehr bauen bzw. in islamischen Vierteln instand setzen, Muslime für 3 Tage beherbergen, keine Spione unterbringen, Muslimen nichts verheimlichen, was ihnen schaden könnte, den nichtmuslimischen Kindern nicht den Koran lehren, Kulthandlungen nicht öffentlich Praktizieren oder in Predigten empfehlen, Angehörige nicht am Übertritt zum Islam hindern, sich in Sprechweise, Kleidung, Frisur, Siegel und Namensgebung von den Muslimen unterschieden, keine Sättel gebrauchen, keine Waffen tragen oder besitzen, keine alkoholischen Getränke verkaufen, christliche Bücher und Kreuze nicht auf muslimischen Plätzen und Straßen öffentlich zeigen, die Gottesdienstgeräusche in Gegenwart der Muslime leise halten, die wichtigen öffentlichen Prozessionen nicht abhalten, nicht auf Straßen und Märkten von Muslimen laut beten, Tote nicht neben Muslimen begraben, die Häuser nicht höher als die von Muslimen bauen, Muslime nicht absichtlich schlagen,  als Gegenleistung für die Sicherheitsgarantie der Muslime. Aus Khoury, Adel Théodor: Toleranz im Islam, München 1980, S.83-84. Hier wird nicht die übliche Jizya – die so genannte Kopfsteuer – erwähnt, die bis zur Mitte des 19. Jh. von Nichtmuslimen entrichtet werden musste.

[5]   Z. B. auch Ahmadiyya oder Bahai.

[6]   Gerade die Bahai dokumentieren zahlreiche Benachteiligungen dieser Art aus islamischen Ländern.

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