Viele Rentner erhalten Renten unter dem Existenzminimum und sind nicht in der Lage, die Rechnungen für Strom und Heizung zu zahlen. Es gab Fälle, in denen Menschen in ihren eigenen Häusern erfroren sind. Foto: voxpopuli.kz

Moldau: Ein „gekapertes“ Land

Korruption und politisches Unvermögen erschüttern die Republik Moldau

Dass die Republik Moldau ein bettelarmes Land ist, wissen wir „IGFMler“ seit seinem tiefen Fall nach dem Ende des kommunistischen Sowjetsystems. Innerhalb des Sowjetsystems war die winzige Sowjetrepublik unter anderem ein wichtiger Weinlieferant für die Sowjetunion, also für knapp ein Fünftel der Erdoberfläche.

Die aktuelle Situation
Die Republik Moldau, nicht mal so groß wie Nordrhein-Westphalen, gehörte zu den wohlhabendsten Ländern der ehemaligen Sowjetrepubliken. Aber das ist lange her. Seit über zwanzig Jahren befindet sich das Land mit seinen knapp 3,2 Millionen Einwohnern wirtschaftlich in freiem Fall.

Moldau ist zum Armenviertel an der Außengrenze Europas geworden. Eine ganze Generation ist dort ohne elterliche Fürsorge aufgewachsen, weil die Eltern gezwungen waren, sich das Brot für ihre Familie im Ausland zu verdienen. Zehntausende von Frauen und Müttern verkauften ihre Arbeitskraft oder ihre Körper, allein um ihre Familie am Leben zu erhalten. Vielleicht erinnern Sie sich an das Krankheitsbild, das in Moldau entstanden ist, das „italienische Syndrom“. Moldauische Frauen, die jahrelang in Italien als billige Arbeitskräfte für Pflegefälle rund um die Uhr ausgebeutet wurden, die „unbrauchbar“ mit schwersten psychischen Schäden in ihre Heimat zurückkehrten.

Die Arbeit der IGFM

Die Menschenrechtsarbeit der IGFM Sektion Moldau lief auf allen Ebenen: Rechtsberatung für Arme (über 20 000 Fälle dokumentarisch festgehalten), Humanisierung des Strafvollzugs, Hilfsprojekte für Frauen, Rechtsaufklärung für Aids-Kranke, Implementierung und Kontrolle von Gesetzen im Bereich der Menschenrechte, humanitäre Hilfe, Rechtsaufklärung, Aufbau einer bürgerlichen Gesellschaft und vieles mehr. Die Sektion hat der IGFM in Moldau einen großen Namen gegeben, und wir haben sie dabei nach besten Kräften unterstützt.

Seit Jahren berichtet die IGFM-Sektion Moldau nicht nur von dem humanitären Trauma ihres Landes, sondern auch von der politischen Katastrophe. Sie warnt europäische und internationale Gremien, die die politische europäische demokratische Entwicklungsrichtung in Moldau lobten. Sie warnte Europa vor der Forcierung des Assoziierungsabkommens mit Moldau.

Mehr und mehr wird die moldauische Katastrophe wahrgenommen. So musste Thorborn Jagland, der ehemalige Generalsekretär des Europarates, im letzten Jahr konstatieren, dass sich Moldau zu einer ernsthaften Gefahr für den gesamten europäischen Kontinent gewandelt habe. Foto: wikimedia.commons

„Nach Fila(s)t – Plathotniuc in den Knast“ (Vlat Filat, ehem. Ministerpräsident wurde im Oktober 2015 im Zusammenhang mit dem Verschwinden von einer Milliarde Euro aus dem moldauischen Bankensystem inhaftiert; Vladimir Plahotniuc, Vors. der Demokratischen Partei und Oligarch wird als eigentlicher Drahtzieher des Milliardendiebstahls vermutet.). Foto: IGFM-Moldau

Die Sektion berichtete immer wieder über Korruption auf allen Entscheidungsebenen, von „Pseudo-Demokraten“, die EU-Finanzhilfen in ihre eigene Tasche wirtschafteten, von immer größerer Armut, von Menschenrechtsverletzungen wie Verfolgung von NGOs, polizeilicher Verfolgung (jeder zehnte Bürger!), Misshandlung und Folter in Haftanstalten, Rechtswillkür, fehlender Meinungs- und Pressefreiheit, von einem traumatisierten Land. Sie sprach von einem „sachwatschennoj stranje“, einem „gekaperten Land“, was sich im Deutschen nicht so einfach übersetzen lässt und so viel bedeutet wie dass alle politischen Einflusssphären von privaten Interessengruppen, meist oligarchischen Strukturen, okkupiert wurden. Oder kurz mafiöse Gruppen das Land beherrschen.

Sorgen der internationalen Gemeinschaft

Erschwerend zur Aneignung von einflussreichen Positionen sowie der Annektion ganzer Territorien (Transnistrien und Gagausien) innerhalb des ohnehin kleinen Moldaus, kommen äußere machtpolitische Einflussinteressen von Rumänien, Russland und den USA hinzu.

Das Bild, das die IGFM-Sektion über die letzten Jahre hinweg zeichnete, war so schwarz und so gegensätzlich zudem der europäischen Entscheidungsgremien, dass selbst uns, obgleich wir unseren Sektionen vertrauen und die Situation der postsowjetischen Länder gut kennen (s. auch unsere Dokumentation „Menschenrechtslage in der ehemalige Sowjetunion“ als Download auf igfm.de), die Vorstellungskraft dafür nicht reichte.

Politischer Zusammenbruch in 2015

Und doch war kein Wort der IGFM-Sektion Moldau übertrieben. Im Gegenteil. 2015 offenbarte sich die moldauische Katastrophe in vollem Ausmaß und konnte nun vor europäischen und internationalen Gremien nicht mehr vertuscht oder beschönigt werden.

Vier Regierungswechsel und 5 Ministerpräsidenten innerhalb eines Jahres, systematischer Bankenbetrug in Milliardenhöhe, Schmiergelder in zweistelligen Millionenbeträgen, Mafiakämpfe auf der oberen Ebene und ein hungerndes, ausgebeutetes, rechtloses Volk von gerade mal drei Millionen Menschen ganz am Boden. Von dort schafft es sich nun mit letzter Kraft auf die Straße, um um Hilfe zu schreien.

Wir alle wissen, dass die Europäische Union derzeit viele ernsthafte Probleme zu bewältigen hat. Das ist sicher auch ein Grund dafür, dass das kleine Moldau in den Hintergrund geraten war, dass man nur allzu gern hier ein europäisches Erfolgserlebnis gehabt hätte und dass das Ausmaß dieser Katastrophe einen irgendwie kalt erwischt hat. Doch gerade weil wir unseren kleinen, armen Nachbarn nicht mit entsprechender Sorgfaltspflicht wahrgenommen haben, ist es jetzt umso wichtiger, auf die Hilfeschreie aus Moldau zu reagieren.

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