
Dr. Gubad Ibadoghlu. Bildquelle: Public Domain / VOA / Wikipedia
Dr. Gubad Ibadoghlu
Dr. Gubad Ibadoghlu ist aufgrund seines großen internationalen Renommees als Wirtschaftsexperte für den postsowjetischen Raum der derzeit bekannteste politische Gefangene Aserbaidschans. Am 24. Juli 2023 wurde er gewaltsam festgenommen. Offizieller resoluter Einsatz für seine Freilassung erfolgte bereits seitens der EU, den USA und den UN. Gleiches forderten außerdem zahlreiche internationale Politiker, Wissenschaftler sowie Vertreter der Zivilgesellschaft. Nach 274 Tagen Haft wurde Ibadoghlu am 28. Juni 2024 in den Hausarrest entlassen, das Urteil ist noch offen.
Er deckte staatliche Wirtschafts- und Umweltverbrechen der Aliewschen Herrscherdynastie in Milliardenhöhe auf –
jetzt sitzt er schwerkrank in Haft
Eine Übersicht des Falls Ibadoghlu
Politische Aktivitäten und Verfolgung mindestens seit 2014 mit Schließung und Einfrierung der Konten des von ihm geführten geführten Wirtschaftsforschungs-Zentrums im Rahmen der massiven staatlichen Zerstörung zivilgesellschaftlicher, vom Ausland geförderter demokratischer NGOs.
Im Jahr 2019 folgte Ibadoghlus Entlassung als Wirtschaftsdozent aus der staatlichen Universität, da er in seiner Arbeit für die renommierte, auf die kaspische Region konzentrierte Umweltschutzorganisation „Crude Accountibilty“ („Roh – Rechenschaft“) staatliche Intransparenz im Rohöltransfer von fast 100 Milliarden Dollar aufgezeichnet hatte.
Darüber hinaus wurde die Schließung von mehreren Wirtschaftsmagazinen veranlasst, in denen Ibadoghlu Chefredakteur war. Die Parteiregistrierung seiner 2014 gegründeten Bewegung „Demokratie und Wohlstand“ wurde zudem sechs Mal verweigert und eine staatliche Verunglimpfungskampagne wurde gegen die „Aserbaidschanische Jugendbildungsstiftung“ eingeleitet, die Ibadoghlu im Juni 2023 zusammen mit den Oppositionspolitikern Jamil Hasanli und Arif Mammadov in Großbritannien gründete.
Bis zu seiner Inhaftierung moderierte er täglich Wirtschafts- und Politiksendungen auf dem YouTube-Kanal von BIZ TV. Aktuelle Themen waren u.a. die Korruption des Aliew Clans, auch in Berg-Karabach, der Ukraine Kriegs sowie die Unterdrückung der Opposition. Innerhalb seiner Forschungsergebnisse warnte er zuletzt die EU davor, dass bei einer Fortführung des Öl- und Gasabkommens die Menschenrechte in Aserbaidschan ganz ausgelöscht werden könnten. Dazu verfüge Aserbaidschan selbst nicht über die vertraglich festgehaltenen Gasmengen und könne diese nur mit Lieferungen aus Russland und Turkmenistan abdecken. Ibadoghlus Untersuchung über Korruption und Veruntreuung von EU-Geldern seitens des Aliew-Erdogans Bruderbündnisses in der kriegerisch wiedereingenommenen Berg-Karabach Region, stand nur wenige Stunden vor der Veröffentlichung.
Breite mediale Verleumdungskampagne
Unter Einbeziehung und Bedrohung der ganzen Familie sowohl in Aserbaidschan als auch im Exil in den USA oder Schweden – seit 14. Juli mit Vorwürfen des westlichen Agententums, des Atheismus, als LGBTI-Sympathisanten, Verbindungen zur armenischen Diaspora, iranischer Spionage, Anhängerschaft zur „Gülen-Terrororganisation“, Staatsverrat, Präsidentenbeleidung udm.
Gewaltsame Inhaftierung
Am 23. Juli 2023 gegen 13.00 Uhr auf einer Straße 36 km nordwestlich von Baku ereignete sich der plötzliche Zugriff durch eine 20-köpfige Antiterror-Einheit in Zivil, indem Ibadoghlus PKW von vorne und hinten gerammt wurde. Dr. Ibadoghlu wurde daraufhin gewaltsam mit Kopfabdeckung abgeführt und seine Ehefrau dabei geschlagen.
Anklage
Zu Beginn wegen eines Geldfundes von 40 000 US Dollar in seinem ehemaligen Büro des Wirtschaftsforschungs-Zentrums. Folgend für die in Umlaufbringung von Falschgeld durch eine organisierte Gruppe nach Artikel 204.3.1 des aserbaidschanischen Strafgesetzbuches. Seit dem 25. August nach Artikel 167-3.1 (Herstellung, Lagerung oder Verbreitung von religiös-extremistischem Material) ist er wegen Anhängerschaft der von dem aserbaidschanisch-türkischen Bündnis als „Terrorgruppe“ verfolgten Gülen Bewegung angeklagt.
Verurteilung
Seit Juli 2023 befindet sich Ibadoghlu in Untersuchungshaft mit bisher über 20 fehlgeschlagenen Eingaben der Rechtsverteidiger u.a. zu Verbesserungen der Haftbedingungen. Bis dato ohne Beginn des eigentlichen Gerichtsverfahrens. Es drohen ihm bis zu 12 Jahre Haft sowie aktuell eine lebensbedrohliche medizinische Unterversorgung.
Haftbedingungen
Keine Telefonate mit anwaltlichen Vertretern, überfüllte Gemeinschaftszelle mit Schwerverbrechern, Nachtbeleuchtung, medizinische Unterversorgung trotz Ibadoghlus aktuell dringlichen Gesundheitsprobleme: Er leidet unter Herzproblemen und Diabetes-Typ-2. Seit seiner Gefangenschaft hat er sehr stark und schnell an Gewicht verloren, er hat keine Möglichkeit zur Bewegung für physische Immobilität, ungenügende Frischluft und Hygiene, ungenügendes Tageslicht, wird gefoltert und die Verlegung auf eine andere Krankenstation wird ihm verweigert.
Familie
Ehefrau Irada Bayramova und 3 Kinder. Älteste ist Tochter Zhala gefolgt von den zwei Söhnen Ibad und Emin. Zhala ist eine Menschenrechtsaktivistin, die sich auf LGBTQ+-Fälle konzentriert und sich gegen die Latschin Blockade und den Berg-Karabach Krieg eingesetzt hat. Seit 2023 studiert sie, ebenso wie ihr Bruder Ibad, in Schweden, wo sich derzeit auch die Mutter im Exil befindet. Emin studiert im amerikanischen New Jersey über einen Notfallfonds des Dekans der Rutgers Universität. Bruder Galib Bayramow und Cousin von Ibadoghlu stehen unter Ausreiseverbot aus Aserbaidschan.
Menschenrechtshintergrund Aserbaidschan
Die ehemalige Sowjetrepublik hat den Zerfall der UdSSR inmitten des Ersten Karabach-Krieges (1991-1994, Sowjetrepublik Armenien und Autonomes Gebiet Berg-Karabach gegen Sowjetrepublik Aserbaidschan) erlebt. Mit Zehntausenden Gefallenen und insgesamt bis zu einer Million Flüchtlingen auf beiden Seiten. Als Sieger ging damals Armenien und die neue de facto Republik Berg-Karabach/Arzach hervor.
Die Entwicklung der beiden kriegsgebeutelten Parteien verlief seither unterschiedlich. Mit den großen Ölressourcen am Kaspischen Meer, dem Verhandlungsgeschick des KGB Hochkaräters Haidar Aliew sowie dem schnellen Bruderbündnis mit dem türkischen NATO Staat, legte Aserbaidschan eine steile Entwicklung zum heutigen Petro-Staat hin.
Mithilfe des wirtschaftlichen Erfolges und unter Instrumentalisierung des postkriegerischen starken Feindbildes, gelang es dem damaligen Staatspräsidenten Haidar Aliew eine autokratische Clan-Herrschaft nach Sowjetmuster aufzubauen und an seinen Sohn Ilham (seit 2003) zu übergeben. Ilham Aliew und seine Familien-Dynastie stellen heute eine der (einfluss)reichsten global player im südkaukasischen Raum, aber auch weit darüber hinaus, dar. In dieser Machtkonstellation wurde stets gegen innenpolitische Opposition vorgegangen, aber auch internationales Recht zur Selbstjustiz ausgelegt.
Mit der über Jahrzehnte hinweg geplanten gewaltsamen „Rückeroberung“ Berg-Karabachs 2020 sowie der letztlichen Vertreibung der Karabach Armenier aus dem ehemals autonomen Sowjetgebiet im September 2023, steht die Aliew Dynastie heute auf dem Höhepunkt des innenpolitischen Erfolges, den es mit vorgezogenen Neuwahlen im Februar 2024 umgehend festhielt.
Und obwohl internationale Gremien, einschließlich explizit des Europäischen Parlaments, diese Vergehen und Verbrechen gegen das internationale Völkerrecht konstatieren sowie stetig mit erhobenem Zeigefinger deuten, fehlt es ihnen an Handhabe und Reichweite im Südkaukasus.
Weltklimagipfel in Baku – perfides Schauspiel gegen die Menschenrechte
Des Weiteren ist eine sträfliche Diskrepanz zwischen diesen offiziellen Erkenntnissen und der tatsächlichen Realpolitik festzustellen. Anstatt Anklage und Sanktionierung Aserbaidschans und der Türkei, werden im Rahmen der Diversifizierung der Energieressourcen nach dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine am 24.2.2022 zunehmend großrahmige Energieprojekte mit der EU angelegt. Zudem darf sich die Familien-Dynastie im November 2024 als glorreicher Gastgeber des 29. Weltklimagipfels präsentieren.
So stellt der außenpolitische Druck der westlichen Wertegemeinschaft, der sich als Luftblase erwiesen hat, heute längst keine wirkliche Herausforderung für den aserbaidschanischen Autokraten Ilham Aliew mehr da, – ganz im Gegenteil zieht er die internationalen Institutionen immer ungenierter ins Lächerliche.
Und diese wiederum reagieren – gegen jegliches besseres Wissen – realpolitisch mit Belohnung von Menschenrechtsverbrechen. So wird auch die Austragung des Weltklimagipfels im November in Baku vor diesem Hintergrund zum perfiden Schauspiel für die Vereinten Nationen.
Stand: März 2024