Kinderehe im Iran

Kinderehen sind in der Islamischen Republik Iran legal. Mädchen können ab einem Alter von 13 Jahren, Jungen ab 15 Jahren verheiratet werden. Durch diese rechtlichen Voraussetzungen werden die vor allem in ländlichen Gebieten verbreiteten Kinderehen weiterhin ermöglicht.
Im Kindesalter verheiratet
Gesetze der Islamischen Republik Iran zur Unterdrückung von Mädchen und Frauen
Stand März 2022
Seit Jahrzehnten werden Frauen im Iran systematisch unterdrückt. Durch die Mullah-Regierung hat sich die gesellschaftliche Lage von Frauen seit 1979 rigoros verschlechtert. Durch die Legalität der Kinderehe und der Polygynie werden Frauenrechte weiterhin unterdrückt und eine patriarchale Gesellschaft fortgesetzt. Die Chance zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Islamischen Republik Iran wird damit weitgehend verhindert.
Legalisierung der Kinderehe im Iran
Vor der Islamischen Revolution im Jahr 1979 war die Volljährigkeit im Iran für beide Geschlechter bei 18 Jahren angesetzt, was der Definition für Volljährigkeit der UN-Kinderrechtskonvention von 1989 entspricht. Seit einer Gesetzesänderung von 1981 sind Mädchen im Iran jedoch schon ab 9 und Jungen mit 15 Jahren volljährig. [1] Diese Herabstufung der Volljährigkeit iranischer Jungen und Mädchen stellte den Grundstein für die «Legalisierung» von Kinderehe dar und legitimiert die Verheiratung iranischer Jungen und Mädchen bis heute. Der Begriff Kinderehe wird von UNICEF als «rechtlich bindende Ehe, in der mindestens ein Ehepartner zu Beginn der Ehe unter 18 Jahren ist» definiert.
Rechtliche Voraussetzungen
Obwohl die Islamische Republik Iran 1994 die internationale Kinderrechtskonvention ratifiziert hat, wurde festgehalten, dass nationales, Islamisches Recht noch immer vorgehen soll. Seit einer Gesetzesänderung vom 17. Dezember 2000 können Mädchen und Jungen unter 13 bzw. 15 Jahren nur noch mit der Erlaubnis eines Gerichts verheiratet werden. [2] Ab 13 Jahren können Mädchen seit der Gesetzesänderung auch ohne Gerichtserlaubnis (sog. «Heiratsreife») verheiratet werden. [3] Frauen- und Kinderrechtler kämpfen noch immer für eine Änderung der Gesetzeslage. Die parlamentarische Kommission für Rechts- und Justizfragen im Iran hatte zuletzt den Entwurf zur Erhöhung des Heiratsalters für Mädchen auf 16 und für Jungen auf 18 Jahre abgelehnt. [4]
Mütter oder andere weibliche Familienmitglieder können in den Entscheidungsprozess nicht eingreifen. Auch die verheirateten Kinder selbst haben in der Regel kein Mitspracherecht im Vermählungsprozess. [5]
Obwohl die Kinderehe im Iran erst durch die Gesetzesänderung nach der Islamischen Revolution wieder legalisiert wurde, haben zahlreiche Forschungen zu Kinderehe im Iran gezeigt, dass vor allem wirtschaftliche Faktoren wie z.B. niedriges Einkommen pro Kopf und die hohe Inflation Familien dazu bringen, Kinderehen abzuschließen bzw. zu arrangieren und nicht vorwiegend religiöse Gründe, wie häufig vermutet wird. Besonders in ländlichen Regionen führen wirtschaftliche Faktoren zu arrangierten Ehen von Kindern.
Verankerung der Ungleichheit von Mann und Frau

Der britisch-iranische Sozialanthropologe Kameel Ahmady forscht über Kinderehen im Iran.
Das Konzept der Kinderehe im Iran dient vor allem dazu, die patriarchalen Strukturen zu verankern, indem es gesellschaftliche und sexuelle Freiheiten von Frauen unterdrückt und die Ungleichstellung von Mann und Frau reproduziert. [6]
2016 waren über 11% aller verheirateten Frauen im Iran zwischen 10 und 19 Jahren alt, davon 6% unter 15 Jahren. In ländlichen Regionen ist sogar jedes fünfte Mädchen im Alter von 10-19 Jahren bereits verheiratet. [7] Auch regional weist die Rate von Kinderehen starke Schwankungen auf. Demnach ist Kinderehe besonders in den wirtschaftlich strukturschwachen Regionen Zanjan und Sistan & Belutschistan noch häufiger. [8]

Die Wissenschaftlerin Khadijeh Azimi von der Tehran University of Medical Sciences. Foto: researchgate.net
Dieser Text wurde in der Broschüre „Frauenrechte im Iran – Kinderehe, Zeitehe und Reiserechte für Frauen“ abgedruckt.
Konsequenzen von Kinderehen
Eine Heirat bringt einige Veränderungen im Leben der Verheirateten mit sich, unabhängig ihres Alters. Im Fall von jungen Ehepaaren sind diese Veränderungen aber noch einschneidender.
Ende der Schulbildung
Ein verheiratetes Kind geht im Iran in den meisten Fällen nicht mehr in die Schule, allgemein sind die Verheirateten mental weniger weit entwickelt daher weniger eigenständig. [9] Jungen sind traditionell für den Unterhalt verantwortlich und begeben sich auf die Suche nach Arbeit (sie arbeiten häufig als Tagelöhner), während Mädchen für den Haushalt und bald für die Aufsicht der Kinder zuständig sind und zudem auch kranke und ältere Familienmitglieder pflegen müssen. Die Eheleute, insbesondere die Ehefrauen, bleiben daher auf dem Bildungsniveau stehen, das sie bis zum Zeitpunkt der Heirat erreicht haben. Demnach haben junge Ehefrauen bedeutend weniger Schulbildung absolviert als Frauen, die erst zu einem späteren Zeitpunkt heiraten. Darüber hinaus identifizieren mehrere Studien Kinderehe als negativen Faktor für die mentale Entwicklung von Kindern.
Höheres Risiko von häuslicher Gewalt
Besonders Frauen und Mädchen, die jung heiraten, sind häufiger Opfer häuslicher Gewalt, wie die WHO feststellt. Beim Altersunterschied zwischen Mann und Frau gibt es im Iran keine Vorschriften. Daher kommt es nicht selten vor, dass junge Mädchen mit Männern, die um ein Vielfaches älter sind, verheiratet werden. Obwohl die „Ehefrauen“ häufig noch Kinder sind, wird die Praxis der sexuellen Beziehung auch bei Kindern als eheliche Pflicht betrachtet. Der vorherrschenden Auslegung des Korans nach ist diese Verpflichtung in Sure 2, Vers 223 belegt:
Eure Frauen sind euch ein Saatfeld. So kommt zu eurem Saatfeld, wann und wie ihr wollt. Doch schickt (Gutes) für euch selbst voraus. Und fürchtet Allah und wisst, dass ihr Ihm begegnen werdet. Und verkünde den Gläubigen frohe Botschaft.
Die Rollenverteilung in einer islamischen Ehe sieht vor, dass die Ehefrau ihrem Mann sexuell gehorsam ist. Dementsprechend kann ein Mann sexuelle Gewalt anwenden, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Das Konzept von Vergewaltigung existiert in diesem Kontext nicht, weil jede Art von Geschlechtsverkehr im Rahmen einer Ehe als Ausübung der ehelichen Pflichten gesehen wird. Die ‚Erlaubnis‘ der Anwendung von Gewalt gegenüber der eigenen Ehefrau ist nach gängiger Auslegung Sure 4, Vers 34 im Koran festgelegt:
Die Männer stehen in Verantwortung für die Frauen wegen dessen, womit Allah die einen von ihnen vor den anderen ausgezeichnet hat und weil sie von ihrem Besitz (für sie) ausgeben. Darum sind die rechtschaffenen Frauen (Allah) demütig ergeben und hüten das zu Verbergende, weil Allah (es) hütet. Und diejenigen, deren Widersetzlichkeit ihr befürchtet, – ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie. Wenn sie euch aber gehorchen, dann sucht kein Mittel gegen sie. Allah ist Erhaben und Groß.
Todesrate / Geburten in Kinderehe
Die WHO zählt Komplikationen während der Schwangerschaft oder Geburt zu den häufigsten Todesursachen bei jungen Frauen unter 19 Jahren. [10] Auch «Kinderschwangerschaften» und Fehlgeburten gehören zu den negativen Auswirkungen von Kinderehen, da von verheirateten Mädchen – unabhängig der körperlichen und geistigen Entwicklung – trotzdem erwartet wird, dass sie ihren ehelichen Pflichten nachkommen. Da die körperliche Entwicklung von Mädchen noch nicht abgeschlossen ist, können frühe Schwangerschaften schwere Folgen für die Betroffenen haben.
Ursachen/Fördernde Faktoren von Kinderehen
1. Fehlende Bildung
Gemäß UNICEF ist vor allem Schulbildung ein bedeutender Faktor, wenn es um die Abschaffung von Kinderehe weltweit geht. [11] Auch in der Islamischen Republik hat das Bildungsniveau eine Auswirkung auf die Rate von Kinderehen. Demzufolge sind frühe bzw. Kinderehen mit niedrigerem Bildungsniveau und tieferer Alphabetisierungsrate verbunden. [12]
2. Traditionelle Rollenbilder
Kameel Ahmady kommt zum Schluss, dass v.a. traditionelle Normen und das Bedürfnis, die Sexualität von Mädchen und jungen Frauen zu kontrollieren, zu frühen, arrangierten Ehen führt. [13] Darüber hinaus hat er auch einen Zusammenhang zwischen Zeitehe und Kinderehe festgestellt, da Zeitehen größtenteils unregistriert abgeschlossen werden können und so einfacher einzugehen sind.
3. Wirtschaftliche Faktoren
Obwohl gerne religiöse oder konservative Werte als fördernde Faktoren für Kinderehe dargelegt werden, sind eigentlich wirtschaftliche Aspekte viel ausschlaggebender. Wie eine Studie über Kinderehen im Iran zwischen 2007-2015 zeigt, führen vorwiegend Armut, niedriges pro-Kopf-Einkommen und allgemeine wirtschaftliche Unsicherheit dazu, dass Familien sich gezwungen sehen, ihre Töchter frühzeitig verheiraten und so die Kosten des eigenen Haushalts zu senken. [14]
Welche Menschenrechte verletzt der Iran durch die Kinderehe?
Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Fußnoten:
[1] Artikel 1210, Absatz 1 des Iranischen Zivilgesetzbuches. Für die Festlegung des Alters wird nach islamischem Kalender (sog. Mondkalender) gerechnet, was einem Alter von ca. 8 Jahren und 8 Monaten bzw. 14 Jahren und 7 Monaten nach gregorianischem Kalender entspricht.
[2] Art. 1041, iranisches Zivilgesetzbuch.
[3] Art. 1043, iranisches Zivilgesetzbuch. Die Zustimmung des männlichen Vormunds ist dabei zwingend. Für Jungen ist keine Zustimmung des Vaters nötig.
[4] Iran Journal. 2019, “Kinderehen im Iran”. Zugriff am 10. Juni 2021. iranjournal.org/news/kinderehen-im-iran
[5] Ahmady, Kameel. 2017. „The Nexus between the Temporary Marriage and Early Child Marriages.“ Working Paper, http://kameelahmady.com/wp-content/uploads/2019/08/The-Nexus-between-the-Narrative-of-TM-and-ECM.docx-fnal-1.pdf.
[6] Ahmady 2017.
[7] Azimi, Khadijeh. 2020. “The trend of girl child marriage in Iran based on national census data.” Sexual and Reproductive Health Matters 28 (1): 96-98.
[8] Asna-ashary, Mozhgan; Farzanegan, Mohammad Reza; Feizi, Mehdi; Gholipour, Hassan. 2020. “Socio-economic determinants of child marriage: evidence from the Iranian provinces”, Beiträge zur Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik 2020: Gender Economics, ZBW – Leibniz Information Centre for Economics. Kiel und Hamburg.
[9] ibid., 6.
[10] WHO. 2016. “Global health estimates 2015: deaths by cause, age, sex, by country and by region, 2000–2015.”. Genf.
[11] UNICEF. n.d. “Girls’ Education: Introduction”. www.unicef.org/girlseducation/index.htm
[12] Asna-ashary et al. 2020, 5.
[13] Ahmady 2017; Asna-ashary et al. 2020, 6.
[14] Asna-ashary et al. 2020.