Naïla Chikhi

Die Kulturwissenschaftlerin Naïla Chikhi berichtet auf der 53. Jahrestagung der IGFM im März 2025 in Bonn über Frauenrechte und Islamismus.
„Die Odyssee in die Freiheit –
Frauenbewegungen gegen islamistische Diktaturen„
Bonn, 29. März 2025
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich danke Ihnen herzlich für die Einladung zur Jahrestagung der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte und für die Gelegenheit, über den Kampf von Frauen muslimischer Tradition gegen den Islamismus zu sprechen. Diese Frauen bilden eine essenzielle Demokratiebewegung gegen eine totalitäre Ideologie, die seit fünfzig Jahren erstarkt.
Es ist nie leicht, eine Frau zu sein, – insbesondere nicht, wenn das traditionelle Patriarchat durch ein vermeintlich göttliches Wort untermauert wird. Die Frauen in Europa haben diese bittere Erfahrung gemacht. Die Frauen in den so genannten muslimischen Ländern und in den so genannten muslimischen Gemeinschaften hierzulande erleben sie bis heute.
Heute möchte ich Ihnen die Odyssee muslimischer Frauen im Kampf um ihre Freiheit aufzeigen. Ihr Weg ist geprägt von Fortschritten und Rückschlägen, besonders seit der Konfrontation mit der islamistischen Ideologie.
Zur Aufzeichnung der Rede von Naïla Chikhi:
Der islamistische Frauenhass
In muslimisch geprägten Ländern ist Gewalt gegen Frauen allgegenwärtig und wird durch traditionelle Praktiken wie Zwangsverheiratung, Auspeitschungen, sogenannte Ehrenmorde und andere Formen der Unterdrückung verschärft. Der Aufstieg des Islamismus hat diese Repression gravierend verstärkt. Während wir in Europa für Lohngleichheit kämpfen, ringen unsere Schwestern in diesen Ländern weiterhin um ihre Würde und ihre grundlegenden Rechte.
Was versteht man unter Islamismus?
Islamismus ist eine fundamentalistische, politisierte Auslegung des Islam, die ideologisch am äußersten rechten Rand verortet ist. Alle seine Strömungen – ob Wahhabo-Salafismus, Muslimbruderschaft, Taliban oder schiitische Khomeinisten usw. – verfolgen das Ziel, eine repressive Theokratie zu errichten, die auf der Scharia und vermeintlich göttlichen Gesetzen basiert.
Islamistische Bewegungen passen ihre Strategien flexibel an: Sie beeinflussen Gesellschaften, indem sie Familien und Bildungssysteme kontrollieren, demokratische Revolutionen für ihre Machtzwecke instrumentalisieren, Gewalt und Terror anwenden, politische Institutionen unterwandern oder mit Eliten paktieren – sowohl in sog. muslimisch Ländern als auch im Westen. Oft agieren sie subtil und schrittweise, wie es derzeit in Europa zu beobachten ist.
Unabhängig von ihrer Strategie ist die Unterdrückung von Frauen eine ihrer ersten Maßnahmen, die oft in fanatischem Hass mündet. Mädchen und Frauen werden ihrer Grundrechte beraubt, zu Objekten degradiert und in manchen Fällen sogar versklavt.
Wie manifestiert sich der islamistische Frauenhass?
Welche Bilder entstehen in Ihrem Kopf, wenn Sie an Frauen u.a. in Afghanistan, Algerien, Iran, Saudi-Arabien denken?
Trotz patriarchalisch geprägter Strukturen gab es in diesen Ländern Phasen der Emanzipation der Frauen. In den 1960er Jahren erhielten iranische Frauen das Wahlrecht und das Recht auf Scheidung, algerische Frauen Zugang zu Bildung und Beruf, und selbst in Afghanistan genossen Frauen gewisse Freiheiten.
Doch diese Fortschritte wurden mit dem Erstarken des Islamismus aufgehebelt.
In Saudi-Arabien, einer wahhabitischen Monarchie, sind Frauen trotz internationaler Konventionen wie der CEDAW und Modernisierungsbemühungen wie „Vision 2030“ von Mohammed bin Salman weiterhin massiv eingeschränkt. Das islamische Recht hat Vorrang, Aktivistinnen und Dissidentinnen werden inhaftiert und gefoltert, was die anhaltende Brutalität dieses theokratischen Regimes verdeutlicht.
Sowohl Algerien als auch der Iran haben die islamistische Dynamik zu spüren bekommen. Im Iran führte die Machtergreifung Khomeinis zur Einführung der Scharia, zur Geschlechterapartheid und zur Zwangsverschleierung, die seit 1936 verboten war. Das repressive islamische Regime diffamiert säkulare Feministinnen, indem es ihnen vorwirft, mit dem Westen gegen den Islam zu kollaborieren. Es inhaftiert, foltert und vergewaltigt Dissidentinnen vor ihrer Hinrichtung. Diese Vergewaltigungen sollen unverheirateten muslimischen Frauen den Zugang zum Paradies verwehren, da sie als Nicht-Jungfrauen gelten. Diese abscheuliche Praxis verdeutlicht die Grausamkeit eines Regimes, das Religion instrumentalisiert, um Frauen sowohl im Diesseits als auch im Jenseits zu kontrollieren.
In Algerien ebneten ein von der Scharia geprägtes Familiengesetz (1984) und die Islamisierung des Schulsystems (ab den 1970er Jahren) den Weg für die Herabstufung von Frauen zu Bürgerinnen zweiter Klasse. Während des „dunklen Jahrzehnts“ (1989–1999) wurden laizistische Frauenrechtlerinnen zur Zielscheibe islamistischer Terroristen. Frauen, die sich nicht an die islamistischen Vorschriften hielten, wurden brutal bestraft – durch Angriffe, Entführungen, Gruppenvergewaltigungen und Hinrichtungen durch Verbrennung.
Und in Afghanistan? Nach der Machtübernahme der Taliban im Jahr 1996 wurden Mädchen und Frauen brutal unterdrückt. Ihnen wurden das Recht auf Bildung und Gesundheitsversorgung verweigert. Das Tragen der Burka wurde zur Pflicht und die Steinigung wurde wieder eingeführt. Seit dem Abzug der internationalen Truppen im Jahr 2021 sind afghanische Mädchen und Frauen einer grausamen Form des Archaismus ausgeliefert.
Am 8. März 2025, dem Internationalen Tag der Frauenrechte, waren es genau 1.267 Tage, an denen afghanische Mädchen nicht zur Schule gehen durften, und 807 Tage, an denen jungen Frauen der Zugang zu Universitäten verwehrt wurde. Im 21. Jahrhundert verbietet das Ministerium für die Förderung der Tugend und die Verhinderung des Lasters Frauen, sich zu versammeln oder sich im öffentlichen Raum zu äußern. Nachdem die Taliban bereits Haare und Körper der Frau unsichtbar gemacht haben, wollen sie nun sogar ihre Stimmen zum Schweigen bringen! Täglich begehen sie grausame Verbrechen an afghanischen Mädchen und Frauen – und die Vereinten Nationen bleiben weitgehend untätig, während ihre elementaren Menschenrechte mit Füßen getreten werden.
Erinnern wir uns: 2014 wurden jesidische Frauen vom IS sexuell versklavt. Zwischen 2014 und 2019 missbrauchte Boko Haram Mädchen und Frauen als menschliche Bomben bei Selbstmordattentaten. Am 7. Oktober 2023 entführten und vergewaltigten die Hamas-Terroristen israelische Frauen.
Diese Liste der Verbrechen, die Islamisten an Mädchen und Frauen verüben, ist bei Weitem nicht vollständig. Doch sie macht eines unmissverständlich klar: Wo der Islamismus Fuß fasst, sind Mädchen und Frauen oft die ersten und grausamsten Opfer.
Erfahren Sie mehr über Frauenrechte im Iran
Ungebrochener Mut: Frauenbewegungen gegen islamistische Diktaturen
Trotz der Brutalität dieser Unterdrückung leisten Frauen in den zum Islamismus re-islamisierten Ländern unermüdlichen Widerstand gegen diesen religiösen Faschismus.
In Saudi-Arabien haben feministische Aktivistinnen durch ihre Beharrlichkeit zur Aufhebung des Fahrverbots und zur Lockerung des Vormundschaftssystems beigetragen (2018/2019).
In den 2000er Jahren erzielten algerische Feministinnen durch die Aufhebung einiger Artikel des Familiengesetzes erste Fortschritte. Trotz der Allgegenwart des politischen Islam setzen algerische Frauen ihren Kampf für ihre Rechte fort, wie ihre zentrale Rolle in der Hirak-Bewegung von 2019/2020 eindrucksvoll beweist.
Auch im Iran leisten Bürgerinnen und Persönlichkeiten wie Nasrin Sotoudeh, Narges Mohammadi und Ahou Daryaei mutigen Widerstand gegen den islamistischen Faschismus. Die Ermordung von Mahsa Jina Amini im Jahr 2022 löste die Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ aus und stärkte die Entschlossenheit der iranischen Frauen im Kampf für universelle Menschenrechte und Demokratie – ein ständiger Dorn im Auge der schiitischen Islamisten.
Die afghanischen Frauen erleiden zum zweiten Mal das Unheil der Taliban und sind heute das Gesicht des Widerstands gegen die islamistische Barbarei. Es ist unsere Pflicht, ihre Forderungen und ihren Appell an die europäischen Regierungen zu unterstützen: „Keine Anerkennung der Taliban!“ und „Stop Gender Apartheid“.
Müssen wir unsere Regierungen daran erinnern, dass die Rechte von Frauen unveräußerliche und universelle Menschenrechte sind, die nicht verhandelbar sind – weder mit den Taliban, noch mit schiitischen Mullahs oder den Ölmonarchien der arabischen Halbinsel?
Einige Frauen leisten Widerstand und gründen demokratische Bewegungen, andere müssen fliehen. Denn in Ländern mit religiösem Fanatismus ist es für Frauen ein Verbrechen, Demokratinnen, Humanistinnen oder Laizistinnen zu sein. Sie fliehen in Staaten, in denen die Trennung von Politik und Religion, die Gleichberechtigung der Geschlechter und das Recht auf freie Meinungsäußerung gesetzlich garantiert sind, und setzen sich von dort aus für die Rechte ihrer Schwestern ein.

Naïla Chikhi, Expertin für Frauenrechte und Islamismus. Bild: Leh
Die Odyssee in die Freiheit
„Wir, säkulare und demokratische Migrantinnen und Geflüchtete aus Ländern unter dem Einfluss des politischen Islam, stellen bitter fest, dass sich die Rückschritte unserer Herkunftsländer auch in unseren Aufnahmeländern manifestieren“. Selbst in Deutschland, Frankreich und Belgien werden wir weiterhin von Islamisten, die in denselben Ländern ansässig sind, verfolgt und bedroht.
Heute ist das anderswo hier, bei uns in Europa.
Von den Frauen, die von Islamisten im Westen ins Visier genommen werden, möchte ich Ihnen einige vorstellen:
Die Menschenrechtsaktivistin Mina Ahadi entkam in den 1980er Jahren dem Mullah-Regime im Iran. In Deutschland gründete sie den Zentralrat der Ex-Muslime und unterstützt AussteigerInnen aus dem Islam, die sich an sie wenden. Ihr unermüdlicher Kampf richtet sich gegen Steinigungen, Todesstrafen, Kopftuchzwang und Zwangsehen. In vielen iranischen Haushalten ist Minas Telefonnummer bekannt. Aus dem Exil setzt sie sich standhaft für iranische Dissidenten ein und sensibilisiert die europäische Öffentlichkeit für die Menschenrechtsverletzungen in ihrem Geburtsland. Wegen ihres Engagements erhält Mina Ahadi regelmäßig Morddrohungen von islamistischen Extremisten.
Yasmine Mohammed wuchs in Vancouver in einer fundamentalistischen Familie auf, in der sie als Kind misshandelt, zum Auswendiglernen des Korans und zum Tragen des Hidschabs gezwungen wurde. Mit 20 Jahren wurde sie zwangsverheiratet – mit einem Mitglied von Al-Qaida. Aus Angst um die Sicherheit ihrer Tochter floh sie unter falscher Identität. Heute setzt sich Yasmine leidenschaftlich für die Rechte von Apostaten, Atheisten und LGBT-Personen ein. Gleichzeitig prangert sie den Islamismus und das Tragen des Hidschabs an und engagiert sich entschieden gegen die Aufnahme des Begriffs „Islamophobie“ in die kanadische Gesetzgebung.
Auch Yasmine Mohammed wird mit dem Vorwurf der „Islamophobie“ konfrontiert. Dieser Vorwurf ist schwerwiegend, da er als rhetorisches Mittel zur Hetze und letztlich zur physischen Gewalt gegen die Zielperson eingesetzt wird (z.B. Samuel Paty, Salman Rushdie).
Frauen aus dem muslimischen Kulturkreis, die den politischen Islam in Europa kritisieren, sind Diskreditierung, Hass und Morddrohungen ausgesetzt – ebenso wie Fatiha Agag-Boudjahlat.
Die algerisch-französische Geschichts- und Geografielehrerin kennt die Lebensrealität von Frauen in muslimischen Gemeinschaften sowohl aus eigener familiärer als auch aus beruflicher Erfahrung. Sie brach das Schweigen, indem sie die physische und symbolische Gewalt gegen Frauen sowie den gesellschaftlichen Druck auf junge Mädchen anprangerte. Ihre öffentliche Warnung vor dem politischen Islam in Frankreich und ihre Lösungsansätze für ein republikanisches Zusammenleben führten zu Drohungen durch Islamisten.
Vor kurzem wurde Marzieh Hamidi, eine afghanische Taekwondo-Meisterin, die seit 2021 als Geflüchtete in Frankreich lebt, mit Tod und Vergewaltigung bedroht, nachdem sie mutig die jüngsten Anordnungen der Taliban gegen afghanische Frauen anprangerte.
Nach ihrem Exil entschieden sich diese unerschrockenen Frauen, nicht zu schweigen. Sie nutzten die Freiheiten und feministischen Errungenschaften ihrer Gastländer, um ihren unter islamistischer Unterdrückung leidenden Schwestern eine Stimme zu geben. Die Morddrohungen, denen sie ausgesetzt sind, zeigen, wie der Islamismus Europa erreicht hat und hier grassiert.
Was können wir tun?
Ich bin überzeugt, dass es möglich ist, den Islamismus – diesen Faschismus des 21. Jahrhunderts – zu stoppen. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass er seit über einem halben Jahrhundert auf dem Vormarsch ist. Er hatte genügend Zeit, sich zu entfalten, unterstützt durch großzügige Finanzmittel aus Katar und leider auch durch unsere öffentlichen Gelder.
Um dem entgegenzuwirken, müssen die westlichen Staaten ihre Integrationspolitik grundlegend überdenken und vor allem die verschlagenen Akteure – die Islamisten in Anzug und Krawatte – isolieren. Dabei sollten sie auch demokratische Bewegungen und Einzelpersonen unterstützen, die sich gegen diese fundamentalistische Bedrohung wehren, auch im eigenen Land.
Dies erfordert Mut, Weitsicht und die konsequente Durchsetzung unserer demokratischen Gesetze, die das Fundament unserer Gesellschaft bilden.
Oft werde ich gefragt: „Wen und wie können wir im Iran, in Afghanistan, in Algerien unterstützen?‘ Ich frage mich: Warum wollen Europäer immer woanders helfen, anstatt bei den Menschen anzufangen, die direkt mit ihnen zusammenleben?“.
Anerkennung, Förderung und Sichtbarkeit schaffen: Es ist entscheidend, Frauen aus muslimischen Kulturen – unabhängig davon, ob sie religiös sind oder nicht – zu unterstützen, wenn sie für säkulare und humanistische Werte eintreten. Diese Frauen sind oft isoliert, ihnen fehlen Anerkennung und finanzielle Mittel. Wir müssen ihnen eine Plattform bieten, damit sie ihre Erfahrungen im Kampf gegen den Islamismus und seine Misogynie öffentlich machen und ihre Stimme für Gleichberechtigung und Demokratie auf nationaler und europäischer Ebene in die Politik tragen. Gleichzeitig müssen wir sie und ihre Forderungen vor einer Vereinnahmung durch die extreme Rechte schützen.
Das Schweigen brechen: Es ist unerlässlich, das Schweigekartell zu durchbrechen, das diese Frauen erdrückt. Falsche Vorwürfe wie „Islamophobie“ oder „antimuslimischer Rassismus“ diskreditieren sie, da sie dazu dienen, Kritikerinnen des politischen Islam zum Schweigen zu bringen. Es ist an der Zeit, diesen Frauen die volle Entfaltung in unserer Gesellschaft zu garantieren, ohne sie in eine aufgezwungene Gemeinschaftszugehörigkeit zu drängen.
Werden wir den Mut und die Entschlossenheit aufbringen, uns in Europa für die Universalität der Menschenrechte einzusetzen – sowohl für Frauen als auch für Männer, für Menschen aller Glaubensrichtungen und für Nichtgläubige?
Wir dürfen nicht vergessen: Der größte Feind sowohl der extremen Rechten als auch des politischen Islam ist eine moderne, humanistische Gesellschaft in einem demokratischen und laizistischen Staat. Diese Grundwerte unterscheiden uns von diktatorischen Regimen.
Ich danke Ihnen aufrichtig für Ihre Aufmerksamkeit.
Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte erhält hiermit die Erlaubnis, meinen Vortrag «Die Odyssee in die Freiheit: Frauenbewegungen gegen islamistische Diktaturen» auf ihrer Webseite zu publizieren. Die Verwendung von Zitaten aus diesem Vortrag durch Partner, Organisationen oder Journalisten ist nur mit meiner ausdrücklichen, vorherigen schriftlichen Genehmigung zulässig. Naïla Chikhi, 2025.