Der Genozid der Rohingya

Die Rohingya, eine muslimische Minderheit im buddhistischen Myanmar, werden seit Jahrzehnten verfolgt und aus ihrer Heimatregion, dem Rakhinestaat, gejagt. Sie sind Opfer von Massentötungen und Massenvergewaltigung, ihre Dörfer werden niedergebrannt und ihnen wird humanitäre Hilfe verweigert. Bilder: links: Rohingya Flagge, rechts: © UNICEF/UN0120414/Brown

„Die meist verfolgte Minderheit der Welt“

Der Bundesstaat Rakhine liegt im westlichen Teil des Landes, hier braun gekennzeichnet. Bildquelle: Australian National University

Die Rohingya sind eine muslimische Minderheit, die ursprünglich aus der Arakan Region – heutzutage Rakhine genannt – in Myanmar kommen. Sie werden seit der Unabhängigkeit Myanmars vom britischen Kolonialismus 1948 aufgrund ihrer Religion und Kultur systematisch verfolgt. Sowohl während der militärischen Diktatur, als auch mit der heutigen demokratischen Regierung kommt es immer wieder zu Gewalttaten gegenüber Rohingyas, die heute vom Genozid bedroht sind. (Stand: Juli 2020)

Die Rohingya sind eine sunnitisch-muslimische Ethnie und haben eine eigene Sprache und Kultur. Der größte Teil lebt in Myanmar – auch Burma genannt – vor allem im Bundesstaat Rakhine an der Westküste zur Grenze Bangladeschs. Da die dortige Regierung sie nicht als Staatsbürger anerkennt und gleichzeitig unterdrückt, lebt etwa die Hälfte von ihnen als Flüchtlinge in Bangladesch und anderen Ländern Asiens.

1948 – Ende der Kolonialzeit
Mit der Entlassung Myanmars aus britischer Kolonialherrschaft im Jahr 1948 haben die Rohingya den Minderheitsstatus erhalten, der allerdings von der derzeitigen Regierung nicht anerkannt wird. Der Grund für die heutige Diskriminierung und den Hass, unter dem die Rohingya zu leiden haben, ist unklar – Erklärungsversuche reichen von ethnischen und religiösen Feindseligkeiten bis zu burmesischem Nationalismus.

1962 – Militär-Diktatur
Nach einem Putsch des Generals Ne Win versinkt das Land in Obskurantismus und Totalitarismus. Die militärische Diktatur wird fast 50 Jahre andauern. Ne Win zwingt den Buddhismus als Staatsreligion auf, es kommt zu rassistischen Propaganda gegenüber Muslime in vielen Bereichen der Gesellschaft, insbesondere in der Bildung.

1978 – Erste Flüchtlingswelle
Aufgrund der Gewaltausbrüche gegen sie haben tausende Rohingya ihre Heimat Myanmar verlassen. Die Verfolgung der Rohingya in Myanmar ist nun schon seit Generationen im Gange. Etwa 200.000 Rohingya sind aus Myanmar vertrieben worden, als das Militär „blutige Randale in Form von Mord, Vergewaltigung und Brandstiftung“ zur „ethnischen Säuberung“ losgetreten ist.

1982 – Staatenlosigkeit
Die Regierung erklärt die Rohingya als staatenlos und de facto rechtslos. Sie werden im Gegensatz zu 135 anderen Minderheiten nicht mehr als Minderheit anerkannt und verlieren damit ihre Staatsbürgerschaft und elementaren Rechte wie den Zugang zu Lebensmittel, Wasser und Bildung. Auch ihre Freizügigkeit ist extrem beschränkt: ihre Viertel und Dörfer werden mit Stacheldraht von den Restlichen abgetrennt. Die Regierung verlangt, dass sie ihre Sesshaftigkeit und damit ihre burmanischen Wurzeln von vor 1823 (Ankunft Großbritanniens) beweisen können.

1991 – Zweite Flüchtlingswelle
Erneute Angriffe des Militärs zwingen über 250.000 Rohingya über die Grenze nach Bangladesch zu flüchten.

2011 – Bericht von Human Rights Watch
Human Rights Watch berichtet, dass die Rohingya Opfer von erzwungener Sterilisation, Verweigerung der Behandlung, Zerstörung und Brandsetzung von Dörfern, Sklaverei, willkürliche Gefangennahme und Internierung in Lager sind. Frauen werden vergewaltigt und Opfer sexueller Folter.

2012 – Aufruf zur Gewalt
Ein prominenter Mönch, U Wirathu, auch als „der buddhistische Bin Laden“ bekannt, ist Anführer der Bewegung „969“. Die drei Ziffern symbolisieren die Werte Buddhas, der buddhistischen Praktiken und der buddhistischen Gemeinschaft. Die Bewegung ist eine nationalistische, pro-buddhistische Gruppe, die maßgeblich für die anti-muslimische Bewegung verantwortlich ist und behauptet, Muslime seien eine Bedrohung für Buddhisten.

2012 – Dritte Flüchtlingswelle
Im Juni reagiert Bangladesch auf die enorme Zahl flüchtender Rohingya indem es seine Grenzen schließt. Einigen gelingt es dennoch dorthin zu flüchten; seitdem haben zahlreiche weitere Rohingya die Grenze überschritten und sich an die Einheimischen um Hilfe gewandt. Schätzungen gehen von etwa 30.000 myanmarischen Flüchtlingen in Flüchtlingslagern in Bangladesch aus, sowie von weiteren 300.000 nicht registrierten Personen, die keinerlei Zugang zu Schutz oder humanitärer Hilfe haben. Diese Flüchtlinge sind über einen Zeitraum von Jahrzehnten hinweg nach Bangladesch gekommen, um Gewalt und Vorurteilen in Myanmar zu entfliehen. Zahlreiche Rohingya sind auf der gefahrvollen Flucht umgekommen oder mussten extremen Hunger oder Durst erleiden. Bangladesch hat einigen besonders gefährdeten Familien Unterkunft, Verpflegung und Kleidung zugesagt, weist aber immer noch zahlreiche Boote ab, die versuchen an der Küste anzulegen. Weitere Zehntausende wagen regelmäßig die gefährliche Überfahrt über das Meer nach Thailand, Malaysia und Indonesien und hoffen auf Asyl. Doch die Lage ist sehr kompliziert, denn niemand möchte die Rohingya im Land haben.

Geflüchtete Rohingya. Bildquelle: UNFPA Bangladesh/Naymuzzaman Prince

2012 – 2014 – Internierungslager
Tausende Rohingya sehen ihre einzige Chance in der Flucht und in der Ansiedlung in Flüchtlingslagern. Diese befinden sich vor allem in den Stadtgebieten von Maundaw und Sittwe. Einmal in den Flüchtlingslagern angekommen, wird ihre Bewegungsfreiheit von der Regierung durch zahlreiche Restriktionen und Auflagen, wie zum Beispiel Ausgangssperren und Arbeitsverbote, massiv eingeschränkt. Die Lager wieder zu verlassen bedeutet oftmals, sich den Angriffen der örtlichen Ethnie, den Rakhine, auszusetzen. Es sind ca. 140000 Binnenvertriebene in Myanmar und Bangladesch und ca. 86000 sind aus Myanmar geflohen.

2013 – UNO
Die UNO erklärt die Rohingya als eine der meist verfolgten Minderheiten der Welt.

2015 – Kollektivbestrafung
Die muslimische Rebellengruppe Arakan Rohingya Salvation Army hat am 25. August Militär- und Polizeiposten angegriffen. Mehrere Sicherheitskräfte sind dabei getötet worden. Hunderte unschuldige Menschen sind bei der anschließenden Kollektivbestrafung umgekommen: Brandstiftungen, Zerstörungen ganzer Dörfer und Vergewaltigungen haben Menschenmassen zur Flucht getrieben. Einigen Quellen zufolge sind seitdem rund eine halbe Million Menschen vor den Angriffen durch Polizei- und Militäreinheiten geflohen, fast die Hälfte der insgesamt 1,1 Millionen Rohingya. Viele Flüchtlinge lassen sich nahe der Stadt Cox‘s Bazar in Bangladesch nieder, wo ein riesiges Lager in kurzer Zeit aus dem Boden geschossen ist. In Myanmar fristen derzeit noch 120.000 Rohingya als Binnenflüchtlinge ihr Dasein.

2016 – Verleugnen des Genozids
Gegen Myanmars Regierungschefin Aung San Suu Kyi gibt es schwere Vorwürfe: Gleich mehrere UN-Beobachter stellten „ethnische Säuberungen“ oder zumindest „systematische gewaltsame Vertreibung“ fest und kreiden ihr an, dazu zu schweigen. Am 19. September bezieht sie endlich – Dank des öffentlichen Drucks – im Fernsehen Stellung, verurteilte Gewalt gegen die Rohingya, wenn sie auch nicht deren gesamtes Ausmaß darlegt. Gegen all diejenigen, die Menschenrechte verletzten, werde etwas unternommen. Sie beschwört die Einheit des Landes und bittet um Geduld für die junge Demokratie. Am 13. Oktober widerspricht sie offen Oberbefehlshaber General Min Aung Hlaing, indem sie den Vertriebenen, mehr als eine halbe Million, die Wiedereingliederung zusagt. Der Armee unterstehen Teile der Regierung, neben den Ministerien für Verteidigung und Grenzschutz auch das des Inneren. Wichtig ist, die bisherigen Verbrechen aufzuklären und vorrangig humanitäre Einsätze zugunsten der Rohingya sicherzustellen.

Zerstörte und verbrannte Dörfer im Bundesstaat Rakhine. Bildquelle: UNO

2017 – Säuberungsoperationen
Anfang des Jahres haben sich noch ca. 1 Million Rohingya in Myanmar aufgehalten. Nach dem Niederwerfen von der Armee im August müssen erneut mehrere hundert Tausende fliehen. Insgesamt kommen innerhalb eines Monats ca. 6700 Rohingya um und mindestens 288 Dörfer wurden in Rakhine zerstört. Am 27. und 28. August wird das Dorf Gu Dar Pyin komplett zerstört, der Vorfall ist als Gu Dar Pyin Massaker bekannt. Mehrere hunderte schwerbewaffnete Soldaten und Polizeikräfte haben das Dorf umschlossen, auf Zivile geschossen, Frauen und Mädchen entführt und sie gruppenvergewaltigt, das Dorf wurde in Brand gesteckt. Die Armee ist von buddhistischen Mafias unterstützt worden. Erneut lehnt die Staatskanzlerin den Genozid ab.

2019 – Bangladesch schließt die Grenzen
Nach der erneuten massiven Zuflucht der Rohingya nach Bangladesch beschließt das Land im März keine Geflüchtete mehr aufzunehmen: die Lager sind überfüllt. Es wird geglaubt, dass noch ca. 600000 Rohingya im Bundesstaat Rakhine leben. Die Gewaltsituation hat sich aber nicht verändert.

2019 – Vor dem Gericht
Im Dezember hat es in Den Haag am Internationalen Gerichtshof eine Notfallanhörung gegeben. Aung San Suu Kyi hat die Vorwürfe erneut zurückgewiesen. Sie sagt es gäbe weder Massenmorde, noch Massenvergewaltigungen, der Militärangriff sei nur zur Sicherheit gegen die „Terroristen“ (Arakan Rohingya Salvation Army) gewesen.

Aung San Suu Kyi beim Internationalen Gerichtshof der UNO am 10. Dezember 2019. Bildquelle: ICJ/Frank van Beek

2020
Zurückdrängen der Boote
Malaysia, Thailand und Indonesien verweigern sich Flüchtlinge aufzunehmen. Asylsuchende Rohingya riskieren ihr Leben um über das Meer die Nachbarländer zu erreichen. Diese Länder haben Zurückdrängungs-Maßnahmen entwickelt und stoßen die Boote von den Küsten wieder weg. Seit dem ersten Mai hat Malaysia 22 Boote zurückgedrängt.

Urteil
Am 30. Juni sind zwei Offiziere und ein Soldat wegen „Schwäche bei der Befolgung der Anweisungen“ während des Gu Dar Pyin Vorfalls verurteilt worden. Die Regierung verleugnet die Beweise für einen Angriff, das Militär bleibt straflos für den Genozid.

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