Kurdin begeht Selbstmord nach Vergewaltigung

İpek Er ist eines von vielen Opfern von Gewalt an Frauen in der Türkei. Nach der Vergewaltigung durch einen türkischen Staabsunteroffizier starb sie an den Folgen ihres Selbstmordversuchs. Das Bild zeigt Namen von türkischen und kurdischen Opfern von Femiziden. Bildquelle: Twitter pelin @lilpartiii

Kritik der IGFM am geplanten Austritt aus der Istanbul-Konvention:
Frauenrechte müssen in der Türkei stärker geschützt werden

Batman/Frankfurt am Main, 24. August 2020 – Nach der Vergewaltigung durch einen türkischen Stabsunteroffizier ist die 18-jährige Kurdin Ipek Er am 18. August 2020 infolge eines Selbstmordversuch gestorben. Der Täter Musa Orhan, Mitglied der rechtsextremen Gruppierung „Graue Wölfe“, wurde zwar festgenommen, aber trotz medizinischer Beweise wegen „fehlender Fluchtgefahr“ wieder freigelassen. Erst nach dem Tod der jungen Kurdin kam er erneut in Haft. Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) kritisiert das Vorgehen der türkischen Justiz und deren fehlendes Engagement, Gewalt gegen Frauen und Sexualverbrechen zügig und umfassend aufzuklären. Sie fordert die türkischen Behörden auf, den Schutz von Frauen und ethnischen Minderheiten durch eine konsequente Strafverfolgung zu gewährleisten.

Für die in Frankfurt ansässige Menschenrechtsgesellschaft steht dieser Fall in Zusammenhang mit dem geplanten Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention. „Das Frauenschutzabkommen ist ein wichtiges Zeichen, dass das Land Frauen respektiert und sich für deren Schutz einsetzt. Frauen haben es generell schwer, bei Sexualverbrechen vor Gericht Recht zu bekommen. Oft zeigen sie eine Vergewaltigung nicht an, weil damit nach der traditionellen Denkweise ihre Ehre beschmutzt wäre. Manche sehen wie Ipek Er daher Selbstmord als den einzigen Ausweg“, erklärt Vasilis Pavegos, Türkei-Experte und Mitglied des IGFM-Vorstands.

Alkohol, Pillen und ein Eheversprechen
Ipek Er – die Tochter eines kurdischen Hirten – und der türkische Soldat Musa Orhan hatten sich in den sozialen Medien kennengelernt. Ipeks Aussage nach beteuerte er ihr immer wieder seine Liebe und die Absicht, sie heiraten zu wollen. Nach kurzer Zeit kam es zur Vergewaltigung, bei der er sie mit Alkohol und einer Tablette wehrlos gemacht hatte. Wie Gulan Gok, der Anwalt der Familie Er, mitteilte, hielt er Ipek für zwei Nächte und drei Tage gefangen. Wie Ipek vor ihrem Freitod in den sozialen Medien deutlich machte, sah sie sich nach der Vergewaltigung zusätzlich mit dem Versprechen der Ehe getäuscht und ihre Ehre verletzt. Sie kündigte ihren Freitod an. Neun Tage vor ihrem Selbstmordversuch hatte sie Musa Orhan angezeigt. Er wurde festgenommen, aber sofort wieder frei gelassen. Am 16. Juli 2020 versuchte sie sich dann mit dem Gewehr ihres Vaters das Leben zu nehmen und kam schwerverletzt ins Krankenhaus in Batman.

Friedlicher Protest gegen lasche Justiz von Polizei aufgelöst
Am 27. Juli 2020 bereitete die Staatsanwaltschaft von Siirt eine Anklage gegen Orhan wegen sexuellen Missbrauchs vor. Nachdem ein Antrag auf Festnahme vom 1. Ağr-Strafgerichtshof – der 1. Großen Strafkammer – genehmigt wurde, kam Musa Orhan erneut in Haft. Ipek Er erlag nach einmonatiger Behandlung am 18. August 2020 ihren Verletzungen. Die Beisetzung fand unter Polizeiaufsicht nur im engsten Familienkreis statt. Eine Gruppe Protestierender, die sich vor dem Friedhof versammelt hatte, wurde von der Polizei aufgelöst. Bereits zuvor sorgte der Umgang mit dem Fall in den sozialen Medien für großen Aufruhr: Unter dem Hashtag #MusaOrhanTutuklansin (Musa Orhan soll festgenommen werden), forderten die User, den Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Die IGFM weist darauf hin, dass gezielte Gewalt gegen Frauen – insbesondere gegen Frauen ethnischer und religiöser Minderheiten – in der Türkei zunimmt. Der Fall von Ipek Er Fall dokumentiere, wie wichtig es sei, dass der türkische Staat Maßnahmen zum Schutz der Frauen ergreife und nicht wie geplant aus der Istanbul-Konvention austrete.

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