Anwälte im Iran

Das Bild zeigt eine Vorladung vor das Islamische Revolutionsgericht in Teheran. Schriftliche Urteile in politischen Prozessen sind eine Rarität. Den Opfern und ihren Anwälten wird regelmäßig Akteneinsicht verweigert.
Die gefährliche Situation der Anwaltstätigkeit im Iran
Anwälte und Anwältinnen, die sich in der Islamischen Republik Iran für die Opfer von willkürlicher staatlicher Verfolgung einsetzen, gehen durch ihre Arbeit ein enormes persönliches Risiko ein. Fordern sie das geltende Recht ein, werden sie von den Behörden genauso bedroht, drangsaliert, gedemütigt, misshandelt oder auch ihrer Freiheit beraubt, wie andere politisch Verfolgte. Die Vorwürfe sind oft dieselben: Sogenannte „Propaganda gegen das System“ oder angebliche „Verschwörung zum Schaden der nationalen Sicherheit“.
Nasrin Sotoudeh, hier in Handschellen. Rechts im Bild ihr Ehemann Reza Khandan, hinter ihr der Anwalt Abdolfattah Soltani – er war selbst ein politischer Gefangener, wurde aber im November 2018, nach über sieben Jahren Haft vorzeitig entlassen. Foto: youtube.com
Die Journalistin und Autorin Narges Mohammadi ist im Iran eine der bekanntesten Frauen- und Menschenrechtlerinnen. 2016 wurde sie zu 16 Jahren Haft verurteilt. Im Oktober 2020 kam sie endlich frei.
Um einem Angeklagten die bestmögliche Verteidigung zu gewährleisten, bedarf es einer intensiven Vorbereitung und Absprachen mit dem Angeklagten. Im Iran wird Rechtsanwälten jedoch oft der Kontakt zu den Angeklagten vor der Verhandlung verwehrt. Auch haben Anwälte häufig nur beschränkte oder sogar keine Akteneinsicht, was eine Vorbereitung der Verteidigung weiterhin erschwert. Besonders schwierig haben es Anwälte, deren Klienten vor dem Islamischen Revolutionsgericht angeklagt werden. Wollen sie das Gerichtsgebäude betreten, müssen sie sich erst einer Sicherheitskontrolle unterziehen. Dann muss der zuständige Richter den Anwälten den Zutritt zum Verhandlungssaal gewähren. Nicht selten werden Anwälte so sogar von der Verhandlung ferngehalten.
Nasrin Sotoudeh:
Das Islamische Revolutionsgericht benötigt keine Beweise, um sein Urteil zu fällen. Sie folgen dem, was die Geheimdienstagenten ihnen vorgeben. Auch in meiner eigenen Verhandlung, gab der Richter zu, dass seine Verurteilung nur auf dem Bericht der Agenten des Geheimdienstes basiert, in dem geschrieben stand, was ich „verbrochen“ habe und welche Strafe sie dafür fordern. Es gab absolut keine weiteren Beweise.
Gemäß der Scharia besitzen nur solche Geständnisse Gültigkeit, die während der Verhandlung vom Angeklagten vor dem Richter abgelegt werden. In der Praxis haben jedoch meist die Berichte von Geheimdienstagenten erheblichen Einfluss auf das richterliche Urteil. In diesen Berichten geben die Agenten eine eigene Einschätzung zum Fall, oft auf Basis eines Geständnisses, dass mittels Folter vom Angeklagten erpresst worden ist. Diese Berichte geben zusätzlich auch Empfehlungen für die Verurteilung. Für die Anwälte besteht kaum eine faire Chance durch ihre Verteidigung Einfluss auf das Urteil zu nehmen. Richter sind zudem nicht unabhängig. Ernannt werden sie vom Obersten Richter und sind von dessen Gunst abhängig. Ihre Urteilssprechung muss dem Willen des Obersten Richters entsprechen.
Um die iranische Justiz unter Druck zu setzen und Zugang zu ihren Klienten zu bekommen, geben manche iranischen Anwälte Interviews an ausländischen Medien. In dem sie internationale Aufmerksamkeit auf einen Fall lenken, setzen sie die Regierung unter Druck; bringen sich damit jedoch auch selbst in Gefahr. Zwar sind Interviews mit ausländischen Medien nicht prinzipiell verboten, jedoch werden die Anwälte häufig der Spionage verdächtigt und von der Regierung verstärkt überwacht. Das trifft insbesondere dann zu, wenn es sich um iranische Medien handelt, die im Ausland stationiert sind. Den Anwälten wird häufig vorgeworfen, sie würden im Gegenzug von ausländischen Medien für ihr Interview bezahlt werden.
Nasrin Sotoudeh:
Wir machen es dem Geheimdienst schwieriger uns zu unterdrücken. Das hat sogar mein Vernehmungsleiter gesagt. Wären Menschenrechtsanwälte hier nicht so engagiert, bestünde ein hohes Risiko, dass sich Massaker wie in den 1980er Jahren wiederholen.
Ein Brief von Nasrin Sotoudeh über die Anwaltstätigkeiten im Iran
Nasrin Sotoudeh schrieb den nachfolgenden Beitrag auf Bitte der IGFM im November 2014 in einer Zeit, in der sie zwischenzeitlich nicht im Gefängnis war. Übersetzt wurde der Artikel aus dem persischen Original von S. Kazemi:
Wahrscheinlich wissen Sie, dass die Anwaltstätigkeit im Iran mit großen Gefahren, sowohl für die Anwälte selbst, als auch für die politischen Angeklagten, einhergeht. Das Recht sich zu verteidigen und das Recht auf einen Anwalt seiner Wahl, sind beide mit großen Schwierigkeiten verbunden.
1) Womöglich wissen Sie, dass im Iran der 1980er Jahre viele Gegner hingerichtet oder harte Gefängnisstrafen verhängt wurden. Zweifellos hätte kein Gericht solch folgenschwere Urteile fällen können, wie sie es in diesen Jahren taten, wenn ein kundiger Rechtsanwalt neben einem Angeklagten gestanden hätte. Revolutionsrichter konnten damals in Abwesenheit der Anwälte drastische Urteile verhängen. Man muss bedenken, dass damals wie heute viele Anwälte im Gefängnis saßen und viele gezwungen waren, ins Exil zu gehen.
2) Ungefähr zu Beginn der 1990er Jahre öffneten sich für die Anwälte die Türen der Revolutionsgerichte. Trotzdem stand den Anwälten noch ein langer Weg bevor, denn noch immer stand sehr deutlich an den Türen der Gerichtssäle geschrieben: „Anwälte nicht gebilligt!“.
3) Zum Ende der 1990er Jahre fanden die Anwälte langsam ihren Weg ins Revolutionsgericht. Sie waren jedoch mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert. Entweder wurde ihnen weiterhin der Eintritt in die Gerichtssäle untersagt, oder ihnen war die aktive Verteidigung nicht gestattet. Und wenn doch, wurden ihre Vorträge nicht schriftlich dokumentiert. Andere Schwierigkeiten ergaben sich in Bezug auf die Angeklagten, die zu Unrecht beschuldigt wurden. Ihnen wurde nahegelegt, keinen Anwalt für Menschenrechte zu wählen, da das Gericht darauf gereizt reagieren würde. Die Angeklagten, die sich in dieser komplizierten Situation befanden und wie jeder andere Mensch nach Freiheit strebten, verzichteten daraufhin auf einen Anwalt für Menschenrechte, um dem Gericht wohlwollend gegenüber zu stehen und einer harten Strafe zu entgehen. Am Ende bekamen die Angeklagten dennoch die harte Strafe.
4) Mittlerweile nehmen die Ereignisse in Gerichtssälen, und insbesondere in den Revolutionsgerichten, einen anderen Lauf. Mehrfach habe ich gesehen und gehört, dass sich jemand Fremdes während einer Verhandlung oder im Gefängnis als Pflichtverteidiger des Angeklagten vorgestellt hat und der Richter dies bewilligte. Die Angeklagten, die eben erst aus der Einzelhaft in den Gerichtssaal geführt wurden, sind schlagartig verwirrt und überfordert. Urplötzlich verschwindet ihr bisheriges Wissen über ihr Recht auf freie Anwaltswahl. Sie sind derart verunsichert, dass sie an ihrem eigenen Wissen zweifeln. Dieser heikle Vorgang führt zu einem kompletten „Blackout“. In dieser Situation beginnt der ihm bislang unbekannte Anwalt den Angeklagten psychisch unter Druck zu setzen. Systematisch wird er bis zum Äußersten gedrängt, so dass er sich schuldig bekennt.
Nun versucht das Gerichtssystem, sogar die minimal errungene Präsenz der Anwälte wieder zurückzudrängen. Rechtsanwälte werden verhaftet, langjährige Haftstrafen verhängt und letztendlich wird ihnen die Berufserlaubnis entzogen. Nichtsdestotrotz stehen die Anwälte weiterhin zu ihrem Schwur. Wie die Anwälte Abdolfattah Soltani (*) und Mohamad Seyfzadeh, die zu langen Haftstrafen verurteilt wurden.
Wir fordern die Freilassung dieser beiden Personen, sowie aller anderen Anwälte, die sich für die Verteidigung der politischen Angeklagten eingesetzt haben und sich aus diesem Grund nun im Gefängnis befinden.
* Anmerkung der IGFM: Der iranische Menschenrechtsverteidiger Abdolfattah Soltani wurde am 21. November 2018 nach langen internationalen Protesten und über sieben Jahren Haft vorzeitig freigelassen. Ein Islamisches Revolutionsgericht hatte Abdolfattah Soltani im Jahr 2012 wegen seines Einsatzes für die Menschenrechte zu 18 Jahren Haft und 20 Jahren Berufsverbot verurteilt.