Kurzanalyse: Jamshid Sharmahd

IGFM und Student Division Lawyers Without Borders arbeiten gemeinsam an der Publikation einer juristischen Analyse zur Menschenrechtslage in Iran.
In der Kurzanalyse zu dem Fall Jamshid Sharmahd stellt die LWOB einige Ergebnisse ihrer Recherche vor.

Der Fall Jamshid Sharmahd – Einschlägige Verstöße gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte – eine Kurzanalyse, Stand 9. März 2023

Am 21. Februar 2023 wurde der deutsche Staatsbürger Jamshid Sharmahd nach einem sehr umstrittenen Prozess wegen „Korruption auf Erden“ zum Tode verurteilt. Ihm wurde von der iranischen Justiz vorgeworfen, Leiter einer promonarchistischen Exil-Oppositionsgruppe „Kingdom Assembly of Iran“ zu sein, für einen tödlichen Bombenanschlag in einer Moschee der Stadt Shiraz in der Provinz Fars im April 2008 sowie für einen Bombenanschlag auf das Mausoleum des Ayatollah in Teheran im Jahr 2010 als Mitglied der Oppositionsgruppe Tondar verantwortlich gewesen zu sein.

Die Student Division Lawyers Without Borders der Ludwig-Maximilians-Universität in München wird in Zusammenarbeit mit der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte in den kommenden Wochen eine detailliertere juristische Analyse zur Menschenrechtslage in der Islamischen Republik Iran publizieren. Im Rahmen dieser juristischen Recherche würdigen die vier Mitglieder der Student Division, Aurelia Steur, Isabel Ruiz de Vargas Staudacher, Lisa Santopietro und Lisa Sronipah, die Menschenrechtssituation im Land anhand der Fälle Nahid Taghavi und Jamshid Sharmahd kritisch.

Anlässlich der Verurteilung von Jamshid Sharmahd konzentriert sich folgender Kurzbeitrag auf zentrale Menschenrechtsverletzungen nach dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) seit seiner Festnahme im Sommer 2020 und stellt einige Ergebnisse der Recherche bereits vor.

Der deutsche Staatsbürger Jamshid Sharmahd ist seit über 900 Tagen ein politischer Gefangener der Islamischen Republik Iran und wurde zum Tod verurteilt.

Bei dem Vollzug der Festnahme ist Art. 7 IPbpR relevant. Dabei ist zu beachten, dass bei Festnahmen nur unumgängliche und strikt verhältnismäßige Gewalt eingesetzt werden darf. Den Schutz vor einem willkürlichen und gesetzeswidrigen Freiheitsentzug gewährt Art. 9 IPbpR. Nur in den gesetzlich vorgesehen Fällen darf das umfassende Recht auf persönliche Freiheit nach Art. 9 Abs. 1 IPbpR eingeschränkt oder entzogen werden, soweit die Festnahme nicht willkürlich war.

Berichten zufolge wurde Jamshid Sharmahd in Dubai im Sommer 2020 von dem iranischen Geheimdienst festgenommen. Da die Umstände seiner Entführung weitestgehend unbekannt sind, die Festnahme ohne Haftbefehl erfolgte und bei der Veröffentlichung seines Geständnisses im iranischen Staatsfernsehen zu sehen war, dass er körperlich misshandelt wurde, lässt sich auf einen unverhältnismäßigen und unangemessenen Vollzug der Festnahme schließen. Demnach können die Verletzung von Art. 7 IPbpR und Art. 9 Abs. 1 IPbpR bejaht werden.

Das Recht auf Information wird in Art. 9 Abs. 2 IPbpR geschützt. Zum Zeitpunkt der Festnahme sollten dem Festgenommenen die Festnahmegründe dargelegt werden. Jede Person hat gemäß Art. 9 Abs. 4 IPbpR ein Recht auf unverzügliche Haftprüfung durch ein Gericht.

Aufgrund der unklaren Umstände der Festnahme ist davon auszugehen, dass Jamshid Sharmahd zu dem Zeitpunkt der Festnahme noch nicht über die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen informiert worden war. Spätestens als er im iranischen Staatsfernsehen gestehen musste, in Terrorangelegenheiten verwickelt und Anführer einer Terrorgruppe zu sein, erlangte er Kenntnis über die Festnahmegründe. Ferner werden die oben erläuterten Rechte dadurch verletzt, dass er sich seit dem ersten Tag in Isolationshaft befindet.

Art. 10 Abs. 1 IPbpR regelt das Recht auf einen Mindeststandard menschenwürdiger Haftbedingungen. Eine Haft ohne sanitäre Anlagen, Heizung oder Schlafmöglichkeiten stellt einen Verstoß gegen den Artikel dar. Weiterhin ist ein Verstoß gegen den Mindeststandard auch bei der Unterbringung in einer zu kleinen oder überbelegten Gefängniszelle gegeben. Wenn kein ausreichender Zugang zur frischen Luft oder Tageslicht gewährleistet wird, wird darin ebenfalls eine Verletzung des Art. 10 Abs. 1 IPbpR gesehen. Außerdem garantiert Art. 10 Abs. 1 IPbpR eine ausreichende medizinische Versorgung der Gefangenen. Beschnitten ist das Recht auch, wenn die Kommunikationsmöglichkeiten mit Anwälten oder Familienangehörigen vereitelt werden.

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Seit seiner Festnahme befindet sich Jamshid Sharmahd Berichten zufolge in Isolationshaft. Außerdem wird ihm der Zugang zur frischen Luft und Tageslicht verwehrt. Während der Haftzeit verschlechterte sich der Gesundheitszustand von Jamshid Sharmahd wegen einer unzureichenden medizinischen Versorgung massiv. Seine Herz- und Atembeschwerden sowie seine Parkinson-Erkrankung intensivierten sich. Weiter wurden ihm nur verspätet Medikamente gegen seine Parkinson-Erkrankung und Diabetes verabreicht. Daneben verlor er 40 Kilogramm an Körpergewicht und all seine Zähne. Im Übrigen hat er keinen Kontakt zu seinen Strafverteidigern oder anderen Häftlingen. Mit seiner Familie telefoniert er sehr selten. All diese Gründe sprechen dafür, eine Verletzung von Art. 10 Abs. 1 IPbpR zu bejahen.

In Art. 14 Abs. 1 IPbpR ist das Öffentlichkeitsgebot verankert. Obwohl die Verhandlung von Jamshid Sharmahd für öffentlich erklärt wurde, wurde der deutschen Botschaft eine Teilnahme an den Verhandlungstagen nicht gestattet, sodass daraus ein Verstoß gegen das Öffentlichkeitsgebot resultiert.

Das Recht auf Unschuldsvermutung ist in Art. 14 Abs. 2 IPbpR normiert.

Im Fall Jamshid Sharmahd wurde ein Video im iranischen Staatsfernsehen ausgestrahlt, in dem er seinen vollständigen Namen nennen und gestehen musste, dass er in Terrorangelegenheiten verwickelt und der Anführer einer Terrorgruppe sei. Dieses Video wurde noch vor dem ersten Verhandlungstag publik. Eine Verletzung des Art. 14 Abs. 2 IPbpR ist daher naheliegend.

Jedem Angeklagten steht gemäß Art. 14 Abs. 3 lit. b IPbpR das Recht auf hinreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung zu. Bei der Bestellung eines Pflichtverteidigers gegen den Willen des Angeklagten, liegt eine Verletzung des Art. 14 Abs. 3 lit. b IPbpR vor.

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Auch im Fall von Jamshid Sharmahd können Verstöße gegen diese Rechte bejaht werden. Der Anwältin Bahareh Kamali wurde der Zugang zu ihrem Mandanten verwehrt, obwohl sie sich täglich im Evin-Gefängnis nach ihm erkundigte. Ferner konnte er nicht frei über seine anwaltliche Vertretung entscheiden. Die Stellung eines entsprechenden Antrages beim Revolutionsgericht wurde verhindert. Den von der Familie Sharmahd engagierten Anwälten wurde die Akteneinsicht und die Kontaktaufnahme versagt. Lediglich ein vom iranischen Regime zugelassener Pflichtverteidiger, Reza Dordizadeh, durfte das Mandat übernehmen, sodass nur ihm für wenige Stunden Akteneinsicht gewährt wurde, aber ohne die Möglichkeit zur Anfertigung von Notizen oder Kopien und ohne die Möglichkeit, Rücksprache mit seinem Mandanten zu halten. Nur wenige Stunden vor dem nächsten Prozesstag wurden Jamshid Sharmahd und sein Pflichtverteidiger über den anstehenden Gerichtstermin informiert. Zudem wurde der Aufbau einer geeigneten Verteidigungsstrategie zusätzlich dadurch behindert, dass von Gerichtstermin zu Gerichtstermin neue Anschuldigungen vorgebracht wurden.

Aufgrund der erläuterten Aspekte liegt es nahe, eine Verletzung der Rechte auf hinreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung und faire Verteidigung nach Art. 14 Abs. 3 lit. b IPbpR anzunehmen.

Von Art. 19 Abs. 1, 2 IPbpR wird sowohl die Meinungsfreiheit als auch die Meinungsäußerungsfreiheit geschützt. Wesentlich für die Gewährleistung folgender Freiheiten ist eine freie und unzensierte Presse. Auch die Öffentlichkeit hat ein Recht auf den Zugang zu Medienerzeugnissen und Informationen über öffentliche Angelegenheiten. Indem Jamshid Sharmahd wöchentlich seine Radiosendung produzierte und Artikel verfasste, unterstützte er die Aktivistenbewegung Tondar. Obwohl er lediglich seine Rechte nach dem Art. 19 Abs. 1, 2 IPbpR ausübte, wurde er festgenommen und inhaftiert. Dies stellt einen Verstoß gemäß Art. 19 Abs. 1, 2 IPbpR dar.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Verletzungen gegen mehrere Artikel des IPbpR seit der Festnahme von Jamshid Sharmahd anzunehmen sind. Gegen das Urteil vom 21. Februar 2023 kann vor dem Obersten Gerichtshof Berufung eingelegt werden.

Weitere Informationen zu Jamshid Sharmahd

Autorinnen: Aurelia Steur, Isabel Ruiz de Vargas Staudacher, Lisa Santopietro und Lisa Sronipah

Über LWOB München

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Die Student Division Lawyers Without Borders der Ludwig-Maximilians-Universität in München leistet Aufklärungsarbeit über Menschenrechte und deren Verletzungen. Sie arbeitet mit lokalen und internationalen Organisationen, erstellt Newsletter, organisiert Diskussionsrunden und ist in den Sozialen Medien aktiv.

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