Kuba: Interview mit Jorge Angel Perez

Der kubanische Schriftsteller Jorge Angel Perez im Gespräch mit der IGFM über die angespannte Versorgungslage, die Bekämpfung des Coronavirus und die Unzufriedenheit in der Bevölkerung auf Kuba. Foto: Árbol Invertido

„Die Menschen haben Hunger und das ist immer gefährlich“

Wie schätzen Sie die aktuelle Versorgungslage auf Kuba ein?

„Die aktuelle Versorgungslage lässt sich mit einem Wort sehr gut beschreiben: Sie ist katastrophal. Man könnte auch sagen desaströs. Andere Synonyme von katastrophal eignen sich auch sehr gut zur Beschreibung dieser Situation. Insgesamt ist die Lage sehr schmerzhaft für uns. Zwar sind wir an Mangel gewöhnt, aber zur Zeit ist dieser noch viel schlimmer als sonst. Am schmerzhaftesten ist aber das Gefühl, dass wir als Volk für die Fehler einer unfähigen Regierung bezahlen. Über 60 Jahre nachdem die Rebellen aus der Sierra Maestra gekommen sind und die Macht übernommen haben, muss man immer noch stundenlang für Lebensmittel anstehen. Die Regierung kommt über leere kommunistische Parolen nicht hinaus.“

Die Regierung verweist auf die COVID-19 Pandemie als Grund für die angespannte Versorgungslage. Was ist Ihre Meinung dazu?

„In einer Sache ist das Regime wirklich gut: Die Schuld für ihr eigenes Versagen bei den anderen zu suchen, das hat es in den mehr als 60 Jahren Herrschaft wirklich perfektioniert. Natürlich hat die COVID-19 Pandemie einen negativen Einfluss auf die Versorgungslage in Kuba. Denn ohne Tourismus fehlen Devisen um Lebensmittel zu importieren. Aber dafür, dass Kuba überhaupt erst 80 Prozent der Lebensmittel importieren muss, ist ganz klar die Politik des Regimes verantwortlich. Ohne Zweifel, die schlimmste Pandemie in Kuba ist der Kommunismus selbst. Das Schlimme ist, dass den Regime-Bonzen das alles egal ist. Sie müssen sich ja nie stundenlang für Grundnahrungsmittel anstellen. Sie bekommen alles frei Haus geliefert.“

Aber hat die Regierung die Pandemie an sich nicht ganz gut bewältigt? Die Zahl der Infektionen und Toten auf Kuba ist ja im internationalen Vergleich sehr niedrig.

„Aber das sind ja nur die offiziellen Zahlen! Kein Mensch weiß, ob die wirklich so stimmen. Kuba ist eine Diktatur, es gibt keine freie Presse, die Menschen haben Angst die Wahrheit zu sagen. In diesem Klima ist es für das Regime ein Leichtes, den Kubanern und der Welt gute Zahlen vorzugaukeln. Es steht ja schließlich nicht nur der Ruf des kubanischen Gesundheitssystems auf dem Spiel, sondern es geht um handfeste wirtschaftliche Interessen. Bei geringen Infektionszahlen kommen natürlich mehr Touristen als bei hohen. Und der Tourismus ist eine der zentralen Stützen der kubanischen Wirtschaft – nur dass diese Säule wegen der Pandemie praktisch eingestürzt ist.“

Die Regierung verspricht wirtschaftliche Reformen, unter anderem soll die Doppelwährung CUC/CUP abgeschafft werden. Was ist Ihre Meinung zu dieser Reform?

„Ich bin zwar kein Ökonom, verstehe also nicht alle Details dieser Reform, aber ich halte nicht wirklich viel von ihr. Das Regime redet seit 2013 von dieser Währungsreform, passiert ist bisher nicht viel. Jetzt wird gesagt, dass die Löhne durch die Reform massiv angehoben und gleichzeitig die Subventionen für Grundnahrungsmittel eingestellt werden sollen. Dass bedeutet ja im Umkehrschluss, dass sich die Preise für eben diese Grundnahrungsmittel auch massiv erhöhen werden. Im Endeffekt wird der Kubaner nicht mehr Geld in der Tasche haben als vorher. Wie denn auch? Das Hauptproblem der kubanischen Wirtschaft, die mangelnde Produktivität der sozialistischen Planwirtschaft, wird ja durch die Reform überhaupt nicht angegangen. Und diese nicht existierende Produktivität unserer Wirtschaft ist eben der Grund für unsere Armut. Ich halte diese Reform für nichts weiter als ein billiges Schmierentheater, dass die Menschen mit der falschen Hoffnung auf höhere Löhne ruhig halten soll.“

Mit der Abschaffung des 1994 eingeführten Zahlungsmittels Peso convertible (CUC) verbleibt der Kubanische Peso (CUP) als einzige Währung, die sich jetzt über die gesamte Volkswirtschaft hinweg im Kurs von 24:1 zum US-Dollar austauscht.

Wie sie sagen, mangelt es der kubanischen Planwirtschaft an Produktivität. Aber es gibt ja auch einen aufstrebenden Privatsektor auf der Insel, der nach marktwirtschaftlichen Prinzipien funktioniert. Wie geht es dem denn zur Zeit?

„Dem geht es sehr schlecht. Ein Großteil des Privatsektors lebt ja vom Tourismus und der ist durch die Pandemie komplett zum Erliegen gekommen. Dieser Schlag trifft fast alle Selbständigen – vom Taxifahrer über Gastronomen und Besitzer von Pensionen bis hin zu Prostituierten. Diese Menschen haben praktisch gar keine Einkünfte mehr. Hinzukommt die katastrophale Versorgungslage. Und im Fernsehen sind immer die gleichen alten Parolen zu hören. Es gibt also eine große Unzufriedenheit.“

Diese große Unzufriedenheit, die sie erwähnen, hat sich die im Vergleich zum letzten Jahr verstärkt?

„Auf jeden Fall und das aus einem einfachen Grund: Es geht den Menschen schlechter als vorher. Gleichzeitig wird die soziale Ungleichheit in Kuba immer größer. Dadurch entspricht die tägliche Propaganda vom gerechten Sozialismus immer weniger der Realität der Menschen.“

Wie äußert sich diese Unzufriedenheit?

„Immer mehr Menschen fangen an, die Zustände im Land zu kritisieren. Das geschieht vor allem in den sozialen Medien. Die sind auf einmal voll von Kritik. Selbst linientreue Kubaner fangen an, sich kritisch zu äußern, wenn auch vorsichtig. Zur Zeit ist das noch auf die sozialen Medien beschränkt, aber auch das ist ein wichtiger Schritt, weil es das vorher so nicht gegeben hat. Vorher hatten die Kubaner Angst, sich in den sozialen Medien zu äußern. Zur Zeit ist die Unzufriedenheit aber anscheinend größer als die Angst. Auch sind die sozialen Medien nur schwer zu zensieren. Auf Kuba gibt es weder ausländische TV-Sender noch kann man ausländische Presse kaufen. Viele kritische Webseiten sind von Kuba aus nicht erreichbar. Aber Facebook, Instagram und Twitter sind frei zugänglich. Und auf das, was die Menschen dort posten, hat der kubanische Staat keinen direkten Einfluss. Er müsste den Zugang zu den sozialen Medien schon komplett blockieren, aber das ist bis jetzt noch nicht geschehen.

Interessanterweise posten auch die Kinder und Enkel des Castro-Clans ungehemmt in den sozialen Medien. Die Tochter von Mariela Castro zeigt sich zum Beispiel auf Instagram beim Shoppen in New York. Die Enkel von Fidel Castro sieht man mal in einem BMW, mal an einem üppig gedeckten Tisch in einem teuren Restaurant und mal auf einer Yacht im Mittelmeer. Für eine sozialistische Revolution, die ständig von Gerechtigkeit faselt, ist das natürlich ein starkes Stück.“

Aber Kuba war doch seit dem Zusammenbruch des Ostblocks schon immer eine recht ungleiche Gesellschaft. Es gab die Kubaner, die dank Tourismus oder Überweisungen von Verwandten Einkommen in CUCs hatten, und die Masse der Bevölkerung, die in CUP verdiente. Was ist jetzt anders, warum sind die Leute jetzt unzufriedener als vorher?

„Ganz einfach: Die Ungleichheit ist noch massiver und die Situation noch ungerechter geworden. Nicht nur der CUP ist wertlos, sondern mittlerweile auch der CUC. Die Läden in CUC, die vorher einigermaßen gut sortiert waren, sind jetzt genauso leer wie die CUP- Läden. An ihrer Stelle sind die sogenannten MLC-Läden getreten. Das sind Devisenläden, in denen man nur mit frei konvertierbaren Währungen wie US-Dollar oder Euro einkaufen kann. Die einzige Möglichkeit an diese Währungen zu kommen, sind Geldüberweisungen von Verwandten aus dem Ausland.

Vorher gab es Kubaner, die in der Tourismusbranche durch ihre Arbeit CUC verdient haben. Das war zwar eine privilegierte Minderheit, aber immerhin hat sie sich ihr Geld durch Arbeit verdient. Die jetzigen Privilegierten leisten gar nichts, sie haben einfach nur das Glück, Verwandte im Ausland zu haben. Verwandte, die die Diktatur als Verräter und Würmer beschimpft hat, als sie sich dazu entschieden haben, Kuba in Richtung Kapitalismus zu verlassen. Diese Würmer sind nun auf einmal zu wunderschönen Schmetterlingen geworden, die das ganze Land über Wasser halten sollen. Das ist natürlich ein fatales Signal an die Masse der Kubaner, die nur in CUP verdienen und keine Verwandten im Ausland haben.

Vorher konnten diese auch noch ihre CUPs zusammenkratzen und gegen CUC eintauschen. Somit konnten auch sie ab und an mal etwas in den besser sortierten CUC- Läden kaufen, wenn auch nicht viel. Das geht nun nicht mehr. Es gibt heute keine legale Möglichkeit mit CUP/CUC die harten Währungen zu erwerben, die man für den Einkauf in den Devisenläden benötigt. Auf dem Schwarzmarkt werden für den US-Dollar oder Euro Kurse aufgerufen, die sich kein normaler Kubaner leisten kann. Und in die Devisenläden kommen nur die, die eine Karte für ein Konto in Devisen haben. Somit kann sich die Masse der Kubaner nur die Nase an der Scheibe dieser Läden plattdrücken. Dies sind aber die einzigen Läden, in denen es noch regelmäßig Grundnahrungsmittel gibt. Somit ist es für die Mehrheit der Kubaner mittlerweile ein Kampf, überhaupt satt zu werden. Die Menschen stehen mitunter um 3 oder 4 Uhr Morgens auf um sich in die Schlange für Lebensmittel zu stellen. Sie stehen dann viele Stunden an, oft vergeblich. Sie suchen auch die ganze Stadt ab, um einen Laden zu finden, wo es noch etwas zu kaufen gibt.

Dies sind die Gründe dafür, dass die Menschen genug haben und so langsam anfangen, den Mund aufzumachen. Ganz abgesehen davon ist dies natürlich der Offenbarungseid des Sozialismus, wenn die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln nur für diejenigen gesichert ist, die über kapitalistische Devisen verfügen. Eine peinlichere Bankrotterklärung gibt es ja wohl kaum.

Denken Sie denn, dass die Stimmung kippen könnte und es zu Protesten gegen das Regime kommen könnte?

„Ja auf jeden Fall. Ich halte es sogar für wahrscheinlich, dass es diesmal zu einer echten Revolution kommt. Nicht nur bloß eine Revolution in Anführungszeichen wie 1959. Die Menschen haben Hunger und das ist immer gefährlich. Ja, die Kubaner haben lange geschwiegen, aber in den sozialen Medien schweigen immer weniger. Und es kommt bereits zu ersten nicht virtuellen Protestaktionen. Die San Isidro Bewegung protestiert gegen die unrechtmäßige Verhaftung und Verurteilung des Rappers Denis Solis. Die Aktivisten sind jeden Tag zur Polizeiwache marschiert, in der Denis festgehalten wurde. Nachdem Denis zu acht Monaten Gefängnis verurteilte wurde, sind sie in den Hungerstreik getreten. All das ist bemerkenswert in einer Diktatur wie Kuba.“

Steht der Umsturz also vielleicht sogar kurz bevor?

„Das kann ich Ihnen nicht sagen, ich habe leider auch keine Kristallkugel zur Hand. Aber ohne Zweifel steigt der Druck im Kessel Kuba stark an. Wenn das so weiter geht, sich die wirtschaftliche Lage nicht schnell und nachhaltig bessert, dann fliegt denen da oben ihr Sozialismus um die Ohren. Der Druck ist mittlerweile so stark, dass es eigentlich jeden Tag losgehen könnte.

Das bemerkenswerte ist ja, dass es den Menschen in Havanna noch besser geht als anderswo. Die Hauptstadt hat bei der Versorgung stets Priorität, auf dem Land und zwar insbesondere im Osten Kubas, sieht es wesentlich schlechter aus. Und gerade der Osten spielt in der Propaganda der Kommunisten eine große Rolle. Sie sprechen ständig davon, dass die Menschen aus dem Osten Kubas einen unbändigen, gar rebellischen Geist haben, der die Revolution von 1959 erst ermöglicht hat. Nun diese Menschen mit dem unbändigen, rebellischen Geist haben zur Zeit echt Hunger. Ihre Kinder haben keine Milch und ihre Eltern haben keine Medikamente. Falls die Propaganda auch nur einen Funken Wahrheit enthält, haben die Machthaber ein gravierendes Problem.“

Aber hat nicht auch das Volk ein Problem? Es sieht doch so aus als ob diese Herren notfalls mit Gewalt versuchen würden an der Macht zu bleiben.

„Natürlich ist das ein sehr großes Problem für das Volk. Der Machtapparat hat ein unglaublich großes Potential für Repression. Sie haben sehr viele Waffen und auch Menschen, die diese anwenden können. Kuba ist bis oben hin vollgestopft mit Polizei und Militär, an jeder Straßenecke steht jemand in Uniform. Und das ist nur der sichtbare Teil des Polizeistaates Kuba. Die Staatssicherheit trägt zivil und die hat ihre Spitzel in allen Teilen der Gesellschaft. Mehr noch die Stasi regiert quasi dieses Land, denn ohne grünes Licht von der Stasi macht hier kein Minister irgendwas. Insbesondere das Innenministerium ist quasi nur ein anderes Wort für Stasi. Und die kontrollieren ja die Polizei.

Es sieht also wirklich nicht gut aus für das kubanische Volk. Selbst wenn sie es wagen würden zu protestieren, ist ein Erfolg alles andere als garantiert. Denn das Regime hätte nicht das geringste Problem Panzer auffahren zu lassen. Schließlich geht es für die Machthaber um alles. Sie würden nicht nur alles verlieren, ihnen droht auch ein Strafverfahren für ihre Verbrechen. Exil ist auch wirklich keine Option für sie. Wo sollen sie denn hin? Nach Europa oder in ein anderes Land Lateinamerikas? Nein, denn dort gibt es genug Kubaner, die ihnen die Meinung sagen werden, wenn sie sich öffentlich zeigen. Und die verbündeten Russland oder China sind für die luxusverwöhnten Machthaber einfach nicht gut genug. Deshalb werden sie sich leider mit aller Gewalt an die Macht klammern.

Aber wer weiß schon was passieren wird? 1988 wusste auch noch niemand, dass die sozialistischen Diktaturen Europas nur ein Jahr später komplett am Ende sein würden. Vielleicht schaffen wir ja in Kuba das, was die Europäer vor etwas mehr ca. 30 Jahren geschafft haben. Man sollte die Hoffnung auf einen Wandel nicht aufgeben.“

Das Interview führte Martin Lessenthin, IGFM-Vorstandssprecher.

Der renommierte kubanische Schriftsteller Jorge Angel Perez darf auf Kuba nicht mehr veröffentlichen und seine Werke sind für interessierte Leser auf Kuba nicht mehr zugänglich. In seinen Büchern thematisiert er Armut und persönliche Schicksale der kubanischen Bevölkerung.

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